Mittwoch, 13. Februar 2019

Das schwarze Sofa

Nachdem Das Magazin für Radikale Heiterkeit schon von einem Abend auf der Berlinale berichtet hat, möchte ich ihm in nichts nachstehen, wenn ich auch natürlich gewohnt nüchtern geblieben bin und daher keine Exzesse im wörtlichen Sinn zu beichten habe. Im übertragenen Sinn auch nicht, so gesehen.

Das einzig Exzessive war die Anzahl der Menschen, die ich kennengelernt habe, wohl weil ich so außergewöhnlich kommunikativ war. Dabei musste ich mich im Grunde nur von etwas ablenken und zwar gründlich und das ist mir auch gelungen, dem Himmel sei Dank. Und nein, darüber werde ich nicht näher berichten. Ein jeder von uns musste sich schon mal von etwas ablenken.

Jedenfalls stand ich sehr kurz auf der Preisverleihung im Gedränge und erspähte die einzige Sitzgelegenheit, ein schwarzes Sofa, am Rande des Saals, neben der Treppe, die hinunter zur Garderobe und den Waschräumen führte. Zunächst blieb die Auftragsmörderin neben mir sitzen, aber im Gegensatz zu mir hatte sie berufliche Pflichten zu erfüllen, während ich nur aus Jux und Tollerei erschienen bin.

Sie verschwand mit den Worten "Ich dreh mal 'ne Runde" und ich winkte ihr gleichmütig hinterher. Kaum war sie weg, setzte sich ein hornaltes Mütterlein zu mir. Sie sah aus wie eine 80 jährige Ex-Ballerina, mit einem außergewöhnlichem Gesicht und sehr gerader Haltung. Sie stellte sich mir formvollendet vor und ich bedauerte, dass ich sie nicht kannte, denn natürlich war sie eine Schauspielerin und im Prinzip kenne ich sie alle, nur nicht die aus deutschen Vorabendserien, weil ich die beim besten Willen nicht sehen kann. Die Auftragsmörderin kam auf einen Sprung vorbei, sie kannte die kleine Dame, was diese erkennbar erfreute.

Sie sei auf der Suche nach Freunden, die ihr gesagt hatten, dass sie auf diesem Empfang seien und ich dachte bei mir, was für eine couragierte 80jährige, denn eins ist klar, wenn ich erstmal 80 bin, werde ich auf keinen Berlinale Empfang mutterseelenallein gehen, in der Hoffnung, dass ich Freunde treffe. Ich werde nur aus dem Haus gehen, wenn ich schriftlich habe, dass ich Freunde treffen werde, besser noch, sie holen mich ab. Im Grunde mache ich das heute schon so. Es nützt einem der schönste Empfang nichts, wenn man kein back up hat, so sieht's doch aus.

Nach einer Weile verschwand die Ballerina wieder im Getümmel und ich sah ihr bewundernd hinterher. Lange Zeit blieb mir nicht, denn schon setzte sich die nächste Frau zu mir auf's Sofa, die ich für weitaus älter hielt als ich es bin; im Gelauf des Gesprächs allerdings stellte sich raus, dass sie zwei Jahre jünger ist. Diese nun duzte mich unverfroren, offenbar hielt sie mich für Fachpublikum und unter Filmleuten duzt man sich offenbar. Sie teilte mir sogleich mit, dass sie einen Roman geschrieben hat, von dem sie 10 Exemplare pro Monat verkaufe, obwohl der Verlag keine Werbung mache, das sei doch nicht schlecht, oder? Ich fragte nach dem Namen des Verlags, denn für derlei bin ich ja durchaus Fachfrau und deshalb weiß ich, der Name des Verlages bedeutet alles und bestimmt über Wohl und Wehe einer jungen Schriftstellerkarriere.

Wie ich vermutet habe, handelte es sich um einen Selbsverlag, mit dem man keinen Blumentopf gewinnen kann: Immerhin hat sie angeblich keinen Cent aus eigener Tasche investieren müssen, was ich ihr kaum glauben konnte, aber das war auch egal, denn nun kam sie zum wichtigsten Thema; ihr neuer Freund. Ein Franzose aus dem Internet, der sei auf ihrem Twitteraccount gelandet und seitdem seien sie zusammen und im Oktober zieht er zu ihr nach Berlin, sein Haus in Frankreich habe er schon verkauft und sie hätten sich auch schon zweimal gesehen und sexuell sei er die Erfüllung ihres Lebens, obwohl er einen Hüftschaden habe und kleiner sei, als sie. 

Ihr hörte ihrer atemlos vorgetragenen Intimbeichte zu, die Auftragsmörderin kam auf einen Sprung vorbei und nach ein paar mitgelauschten Sätzen verschwand sie sofort wieder in der Menge. Die hatte es gut, sie hatte ja berufliche Verpflichtungen.

Eine dritte Frau setzte sich zu uns auf's Sofa, die ich nun ausnahmsweise sofort erkannte und von der ich zufällig erst kürzlich eine beeindruckende Doku gesehen hatte und da ich inzwischen einigermaßen enthemmt war von dieser detailreichen französischen Liebesgeschichte, machte ich der Dokumentarfilmerin sofort Komplimente über ihre fabelhaften Oberarme beeindruckende Dokumentation über bescheuerte Neonazis und schon wollte die deutsche Catherine Deneuve neben mir auch die Mailadresse von der Doku-Filmerin haben (meine hatte sie sich schon umständlich in ein Notizheft geschrieben), die nun in mehrmaligen Anläufen versuchte, so deutlich zu buchstabieren, wie es der Klangteppich eines Empfanges eben erlaubt. 

Die Auftragsmörderin kam des Weges und ich stellte ihr die Doku-Filmerin vor, so standen wir zu dritt, Catherine Deneuve blieb sitzen und stand dann auf, um sich zu trollen. Ich hatte nun auch jedes Detail ihres Lebens erfahren, einschließlich ihrer langjährigen, sexuell unerfüllten Ehe und dem besorgten Sohn, der den Franzosen auch verdächtig findet. Ich wünsche dem jungen Glück aber trotzdem alles Gute. Vielleicht sollte ich mir auch einen Twitteraccount zulegen und gewönne dann einen sexuell begabten Skandinavier mit Hüftschaden für mich.

Ich setzte mich wieder, eine weitere Frau auf dem Weg zur Garderobe stoppte, ging in die Knie, stellte sich als Petra vor, und sei das nicht ein toller Empfang, so nette Leute und ich fragte mich insgeheim, mit wem sie mich wohl verwechselte, dann kamen ihre Freunde vorbei, die sich mir auch vorstellten und inzwischen hatte ich das Gefühl, dass ich auf dem schwarzen Sofa einer Königin gleich Hof hielt. Ehrlich gesagt, machte mir die Sache zunehmend Spaß.

Die Auftragsmörderin setzte sich eine Weile zu mir, dann kam eine Kollegin von ihr vorbei, die sich umgehend beschwerte, dass Autorinnen schlechter bezahlt werden als Autoren und da dachte ich: "Da waren sie wieder, unsere drei Probleme" und schon gab ich Tipps zum Entgelttransparenzgesetz, das freilich ein stumpfes Schwert und außerdem nur anwendbar in Unternehmen ab 200 Mitarbeiter*innen ist und so eine Autorin schreibt ja für gewöhnlich ganz allein bei sich daheim. Ich hätte es nie erwähnen sollen. Völlig nutzloses Wissen über ein so gut wie nutzloses Gesetz. 

Die kleine Ballerina kam wieder vorbei, im Schlepptau ihre Freunde. Ich war gottfroh, dass dieser gewiss beschwerliche Ausflug für sie von Erfolg gekrönt war. Es hätte mir sehr leid getan, wenn sie wieder nach Hause hätte gehen müssen, ohne mit jemand anderem außer mir gesprochen zu haben; wo ich sie nicht mal kannte. So möchte man als Schauspielerin in seinen späten Achtzigern doch wirklich nicht enden.  

Anmerkung: ich habe unterdessen nach ihr gegoogelt: sie ist eine wirklich beeindruckend gute Schauspielerin und shame on me, dass ich so eine Banausin bin.

Jedenfalls begleitete ich die Auftragsmörderin auf ihrer nächsten Runde und noch mehr Menschen kamen vorbei, diesmal alles Kollegen und Kolleginnen von ihr, durch die Bank ebenso entzückende Menschen wie die Auftragsmörderin selbst und was soll ich sagen, ich bin jetzt wieder Mitglied eines Lesezirkels und werde demnächst ein Geheimblog zusammen mit einer Dramaturgin schreiben.

Im nächsten Jahr komme ich wieder.



22 Kommentare:

  1. Wie immer eine reine Freude und weckt die Neugier in mir, wer dir da wohl alles aufs Sofa kam, wo ich lt. meinem kollegen angeblich so neugierig bin..tstststs

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  2. Mein Gott, was für ein klasse geschriebener Text! Danke für die Einblicke!

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  3. Beim letzten Satz blieb mir kurz das Herz stehen. Ewige Pessimistin die ich bin, dachte ich schon, oje - bis nächstes Jahr nur noch Geheimblog...
    Jedoch, au contraire, wie der kleine Franzose sagen würde, nächstes Jahr ein neuer Berlinale-Bericht und bis dahin hoffentlich noch viel mehr!
    Wie immer danke sagt
    Uli

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  4. Bekloppt. Schön bekloppt. Berlin ist schön bekloppt. So. Jetzt hab ich's.

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    1. Was würdest du hier alles zum aufschreiben finden! Ich hab auch wieder diese kleinen schwarzen Heftchen ergattert...

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    2. Die kleinen Schwarzen.. ohhh! ich dachte, ich hätte alle vollgeschrieben?!

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    3. Es gäbe neue. Willste haben?

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    4. Aber ja doch!!!! GERN!
      (Da hab ich mal ein paar Tage nicht hier reingeschaut...?!)

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  5. Ich war mal auf einer Berlinale-Premieren-Party eingeladen. Es war die teuerste Party meines Lebens, weil der Film, in den ich eine für meine bescheidenen Verhältnisse gar nicht geringe Summe Geldes investiert hatte, zu einem der größten kommerziellen Flops der Filmgeschichte wurde. Gerade die Tage habe ich aber nach Jahren noch mal 48,37 € überwiesen bekommen.

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    1. Ach.... welcher Film das war verrätst du nicht?

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    2. Iron Sky. Diese bekloppte finnische Comedy mit den Space-Nazis. Das Projekt gibt es heute noch (Sequels, Games, Merchandising), aber inzwischen mit einem langen Rattenschwanz an Gerichtsverfahren, Konkursen, Verleih-Problemen, schlechten Ratings ...) Tja, das war meine kurze Karriere als Crowdfunding-Filmproduzent. ABER: Ich tauch in den Credits auf! Und die Party damals war gar nicht mal übel ;-)

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    3. Annika, meine Liebe, ich hoffe, du kennst Iron sky. Wenn nicht, hol das nach, denn ich kann hier nur sagen:
      Danke!
      Danke für Iron Sky. Danke an alle, die sich finanziell und sonstwie an dieser Perle schrägen Filmschaffens beteiligt haben. Ich schließe euch alle in mein Nachtgebet ein - was sämtliche finanziellen Verluste schlagartig ausgleichen sollte.

      :o)

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    4. "Iron Sky" sagt mir gar nichts, aber nun muss ich mal drum kümmern. Wenn du ihn gut findet, dann muss er gut sein.

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    5. https://youtu.be/UBC85Uui8BU
      https://www.youtube.com/watch?v=bbCJ1jDSVxo

      Hat mir gut gefallen

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  6. Vielen Dank für die Verlinkung meines Gonzo-Berichtes! ;) Eine überfällige Frage: Wer ist eigentlich diese "Auftragsmörderin", von der hier immer die Rede ist? Wie kann man sie erreichen? Ich hätte da nämlich einige Aufträge.

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