Dienstag, 26. Februar 2019

Gefährliche Wanderungen

Gestern bin ich mit fürchterlichen Schmerzen in den Schultern aufgewacht und ich war drauf und dran zu glauben, dass ich jetzt schweren Schulterkrebs habe und ich brauchte doch tatsächlich einige Stunden angestrengten Überlegens, zu erinnern, womit ich mir diese Schmerzen zugezogen habe.

Als es mir endlich einfiel, so um die Mittagszeit, dachte ich, kein Wunder! Ich war nämlich am Wochenende an meinem Lieblingsort auf dem Lande, mit dem geliehenem Hund und zusammen mit anderen Freunden, die am Sonntag eine 10 Kilometer Wanderung durch die Märkische Schweiz geplant hatten.

Nun bin ich ja unterdessen in einer körperlichen Verfassung, in der mir 10 Kilometer wie ein Klacks vorkommen, wenn auch eine gewisse Herausforderung darin liegt, diesen Marsch nicht auf ebenen und gefegten Parkwegen sondern über hügelige Waldwege zu absolvieren. Die Märkische Schweiz heißt nicht umsonst Märkische Schweiz. 

Aber ich traute mir das über-Stock-und-Stein-geklettere durchaus zu, der Leihhund an meiner Seite machte mich geradezu übermütig, denn mit einem Trick, den niemand bemerken würde, könnte ich meine evtl. versiegenden Kräfte schonen: einfach das Tier an die Leine nehmen und das Kraftpaket auf Ritalin-Entzug zöge mich bergauf und bergab.

Wir liefen also los und schon nach ca. 300 Metern bogen wir vom rechten Wege ab und begaben uns direkt in eine Schlucht. Die Silberkehle.




Und schon dachte ich, was geht denn hier ab? Da in diesem Wald haufenweise Bäume umgefallen sind und die aus Prinzip niemand wegräumt, musste ich direkt unter ein paar Bäumen durchkriechen, auf allen Vieren und da war ich schon gleich bedient. Nichts, was ich mir unter einer Wanderung vorstelle. Und dann ging es weiter: unten dümpelte ein düsterer Wasserlauf, an dessen steilen Ufern sich die Bäume in die Höhe reckten und unsereiner musste sich langhangeln, immer kurz vorm Absturz in die dunkle Brühe weiter unten.

Schon Fontane schrob: "
Das Wasser ist schwarz, dunkle Baumgruppen schließen es ein und die Oberfläche bleibt spiegelglatt, auch wenn der Wind durch den Wald zieht. Es ist, als hätten diese Wasser einen besonderen Zug in die Tiefe."




Meine Mitstreiter und der Leihhund waren im Glück ob der Herausforderungen an Mensch und Material, ich jedoch kehrte nach fünf weiteren Minuten um, bzw. wollte ich natürlich nicht wieder unter diesen Bäumen herumkriechen, sondern wählte den Weg die Schlucht ganz hinauf und das war ein sehr großer Fehler, denn dem war ich nun überhaupt gar nicht gewachsen. Das sah nämlich von unten harmlos aus, aber das war es natürlich nicht, jedenfalls nicht für eine Frau wie mich, die erst seit acht Wochen nicht mehr raucht und erst seit kurzer Zeit ihr Idealgewicht hat. Da habe ich mich getäuscht, was meine Kondition, Motorik und Kampfeslust betrifft.

Mir bollerte das Herz vor Anstrengung und der Leihhund, der leichtfüßig um mich herum sprang, war mir auch keine Hilfe, denn wenn ich ihn jetzt angeleint hätte, wäre das völlig nutzlos gewesen. Ich hätte ihn mit ins Verderben gerissen, wenn ich ausgerutscht wäre, denn noch wiege ich mehr als der Hund. So ähnlich muss sich Reinhold Messner in der Todeszone gefühlt haben: kein Handyempfang, auf sich allein gestellt; jetzt bloß nicht mit dem Knöchel umknicken.

Ich hielt mich an jedem Zweiglein fest, um irgendwie diesen blöden Hang hochzukommen, dorthin, wo es gewiss einen Weg geben würde, auf dem ich mich wieder würde bewegen können, wie eine Frau mit Würde, aber bis dahin ruinierte ich - fürchte ich - jede Menge frische Triebe in Flora und Fauna. Außerdem sind mir so viele Zweige direkt in die Gusche gezwirbelt, dass ich bestimmt die eine oder andere Zecke mitgenommen habe und in absehbarer Zeit an Borreliose erkranken werde. Am Ende war ich froh, dass mich kein Förster erschossen hat bei meinen Versuchen, dieser bescheuerten Silberkehle zu entkommen. 

Endlich wieder in der Zivilisation war ich heilfroh, dass ich ohne Achillessehnenriss oder Beinbruch davongekommen war und spazierte munter um den Großen Tornowsee bis zur Pritzhagener Mühle, was sich jetzt ziemlich toll anhört, aber mehr als 2 oder 3 Kilometer sind das nicht. Für den Hund natürlich das doppelte, denn der rennt ja in einer Tour vor und zurück.



Nachmittags dann mit allen wiedervereint auf dem Bootssteg Kaffee und Kuchen eingenommen und selig in den Sonnenuntergang zurück nach Berlin gefahren, mit einem schnarchenden Hund im Auto - was will man mehr von einem Wochenende?

Nur diese höllischen Schulterschmerzen, oder sind es eher Armschmerzen? Ich kann die Arme kaum heben, ich denke, es handelt sich um die sogenannte Panik-Zerrung, eine von mir eigens erfundene Erkrankung, die ich nicht weiter erläutern muss, denke ich. Man stelle sich vor, wie ich durch die Hügel kraxel und mich in Todesangst in junge Triebe kralle, um nicht die Schlucht herunterzukullern. 

Die letzte Panik-Zerrung hatte ich seinerzeit bei meiner letzten, aus dem Ruder gelaufenen Reitsstunde, als das Pferd einen kleinen Satz machte und ich drei Tage lang nicht gehen konnte, weil ich mit der ganzen Kraft meiner Oberschenkel einen Sturz vom Pferd verhindern wollte. Was mir auch gelungen ist, aber meine Beine waren demoliert, kann ich euch sagen. 

Okay, ein Weichei bin ich also immer noch. Mal sehen, ob ich das in den Griff bekomme. 

Edit: hier der weltschönste Kommentar

Nun, ich war auf dieser Wanderung auch dabei. Was uns Annika hier verschweigt, wir hatten vorher in die Runde kommuniziert, dass wir mit voller Ausrüstung losziehen werden. 

Volle Ausrüstung war dummerweise unpräzise kommuniziert. Jedenfalls hatte sich Annika barfuß mit Pömps und einem freilaufenden Hund bewaffnet. Als wir uns nach ca. 5 Minunten an der ersten überhängenden Felswand abgeseilt hatten, stand Annika nebst Hund oben und realisierte, dass sie ohne Karabiner, Geschirr zum Abseilen und ein Portiönchen Courage uns nicht folgen können würde. 

Auf dem Weg aus der Schlucht hinaus wurden ihr die Pömps zum Verhängnis. Zwar bohrten sie sich tief in den Boden und boten so guten Halt, nur gab die gute märkische Erde den 15cm langen Absatz nicht mehr frei. Es erforderte eine ausgeklügelte Technik, die Anhöhe zu besiegen. Sehr kleine Schritte, die Hände bei Herausziehen des Schuhs in feuchtes Moos und stachliges Gesträuch gekrallt, immer in der Hoffnung, ihn nicht dem Abhang und letzendlich der überhängenden Felswand zu überlassen. 

Was hätten wir in einem solchen Fall tun sollen? Immerhin hätten wir erst einmal Glück gebraucht, um von diesem gefährlichen Konsumgut nicht erschlagen zu werden. Zum Zurückwerfen war die Wand zu hoch und der Schuh sowieso zu leicht. 

Jeder von uns unterdrückte ein pietätlosen Schmunzeln, wie wohl die Fortbewegungstechnik mit nur einem Schuh aussehen würde. Hoch konnten wir auch nicht mehr klettern. Die Zeiten, in denen wir im Sportunterricht das Seil hinauf geklettert sind, waren längst vorbei. Zudem hätten wir neben der ganzen Ausrüstung auch noch unsere seit der Schulzeit angesammelten körperlichen Reserven hinauf ziehen müssen. 

Es blieb uns nichts weiter übrig, als Annika ihrem Schicksal zu überlassen. In vollem Umfang wurde uns nun der innere Kampf bewusst, den Reinhold Messner damals mit sich ausgefochten haben muss, als er seinen Bruder am Berg zurück lassen musste. 

Als der Weg einfacher wurde, entstand unseren neue Geschäftsidee, Sherpas in der Märkischen Schweiz! Wir würden sie natürlich anders nennen, waren wir doch nicht im Himalaja. Kurz vor dem Kaffetisch, an dem wir auch Annika wohlbehalten wieder trafen, waren wir uns einig: Pömpser!

17 Kommentare:

  1. Das erinnert mich an eine meiner ersten Wanderungen nach langer Zeit, die ich - stark geschönt - auf dem Blog beschrieben habe. Irgendwann werden wir die Berge hinauftänzeln wie junge Göttinnen.
    geschichtenundmeer

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  2. Oh, würdest du diese Geschichte bitte hier verlinken? Die möchte ich gerne lesen.

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    1. P.S. Meine ist natürlich auch stark geschönt. Ich habe noch gar kein Idealgewicht.

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    2. Bitte sehr: https://geschichtenundmeer.wordpress.com/2017/07/23/geschichten-vom-see-neureuth/

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  3. Herrlich. So stelle ich mir einen gelungenen Ausflug vor.

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  4. Meine Beste, ich kann mir nichts erheiternderes vorstellen, als deine Beschreibungen eines Ausfluges mit nahezu tödlichem Ausgang....verzeih, das ich beim schreiben noch kichern muss....."Fontane schrob"...und schon ist es um meine Morgens-Contenance geschehen....Herrlich.
    Andererseits graut mir immer noch ein bissl vor dir....raucht nicht, trinkt eh nix, hat fast Idealgewicht...ich bin froh, das du immer noch hypochondrierst, sonst wäre es ja nicht zum aushalten mit dir ;-))))

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    1. Ich sage dir, es hat sich nix verändert! Es dürfen auch alle Leute weiterhin bei mir in der Wohnung rauchen, weil ich nix so sehr hasse wie militante Ex-Raucher. Muss allerdings gestehen, dass ich kaum noch Raucher kenne.

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  5. Nun, ich war auf dieser Wanderung auch dabei. Was uns Annika hier verschweigt, wir hatten vorher in die Runde kommuniziert, dass wir mit voller Ausrüstung losziehen werden. Volle Ausrüstung war dummerweise unpräzise kommuniziert. Jedenfalls hatte sich Annika barfuß mit Pömps und einem freilaufenden Hund bewaffnet. Als wir uns nach ca. 5 Minunten an der ersten überhängenden Felswand abgeseilt hatten, stand Annika nebst Hund oben und realisierte, dass sie ohne Karabiner, Geschirr zum Abseilen und ein Portiönchen Courage uns nicht folgen können würde. Auf dem Weg aus der Schlucht hinaus wurden ihr die Pömps zum Verhängnis. Zwar bohrten sie sich tief in den Boden und boten so guten Halt, nur gab die gute märkische Erde den 15cm langen Absatz nicht mehr frei. Es erforderte eine ausgeklügelte Technik, die Anhöhe zu besiegen. Sehr kleine Schritte, die Hände bei Herausziehen des Schuhs in feuchtes Moos und stachliges Gesträuch gekrallt, immer in der Hoffnung, ihn nicht dem Abhang und letzendlich der überhängenden Felswand zu überlassen. Was hätten wir in einem solchen Fall tun sollen? Immerhin hätten wir erst einmal Glück gebraucht, um von diesem gefährlichen Konsumgut nicht erschlagen zu werden. Zum Zurückwerfen war die Wand zu hoch und der Schuh sowieso zu leicht. Jeder von uns unterdrückte ein pietätlosen Schmunzeln, wie wohl die Fortbewegungstechnik mit nur einem Schuh aussehen würde. Hoch konnten wir auch nicht mehr klettern. Die Zeiten, in denen wir im Sportunterricht das Seil hinauf geklettert sind, waren längst vorbei. Zudem hätten wir neben der ganzen Ausrüstung auch noch unsere seit der Schulzeit angesammelten körperlichen Reserven hinauf ziehen müssen. Es blieb uns nichts weiter übrig, als Annika ihrem Schicksal zu überlassen. In vollem Umfang wurde uns nun der innere Kampf bewusst, den Reinhold Messner damals mit sich ausgefochten haben muss, als er seinen Bruder am Berg zurück lassen musste. Als der Weg einfacher wurde, entstand unseren neue Geschäftsidee, Sherpas in der Märkischen Schweiz! Wir würden sie natürlich anders nennen, waren wir doch nicht im Himalaja. Kurz vor dem Kaffetisch, an dem wir auch Annika wohlbehalten wieder trafen, waren wir uns einig: Pömpser!

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    1. Ich habe schon lange nicht mehr so gelacht wie eben!
      Wer auch immer diesen Kommentar geschrieben hat: ich will sie oder ihn heiraten, auf der Stelle!

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    2. Ich saß beim Kaffe neben der Hausherrin auf der Bank....

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    3. Das ist doch mal wieder typisch! Du wurdest doch erst neulich vom Fleck weg geheiratet. Verdammte Axt!

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  6. Kleiner Tipp: wenn es im Wald zieht, einfach Tür zumachen. Wirkt Wunder.

    (PS: Du bist die Größte, liebe Annika. DANKE!)

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  7. wie immer sehr schön geschrieben. Ich mag es, wenn Menschen über sich selbst lachen können. Hattest du denn wirklich Pömps an? War ein Scherz, oder? Aber du schaffst das bestimmt. Ordentliches Schuhwerk an (auch im Sommer mit Knöchelschutz!) und regelmäßig losziehen. Teleskopstöcke sorgen für Entlastung (allerdings nicht bei umgestürzten Bäumen.

    Mir "droht" im Herbst übrigens ein zweiwöchiger Wanderurlaub mit dem Sohn in den Alpen. Unsere letzte Tour dort waren 21 km mit 1.300 Höhenmetern, ich kam fast auf allen Vieren ins Ziel und konnte mich am Tag danach kaum noch bewegen. Seitdem hat er (nicht ich) etliche Kilo abgenommen und ich fürchte, dass er dann JEDEN TAG so eine Tour wird machen wollen.

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  8. Dann würde ich ihn an deiner Stelle zur Adoption freigeben ;)

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