Montag, 4. März 2019

Nervöse Fische

Seitdem ich neulich auf der Berlinale war, bin ich doch Mitglied eines Lesekreises und am letzten Wochenende war es soweit: das erste Treffen, an dem ich teilnahm.

Eilig las ich den ganzen Samstag von morgens bis abends noch das letzte Drittel des Buches (Steinfest; Nervöse Fische), bevor ich mich auf den Weg machte in ein koreanisches Restaurant in Schöneberg. Die Frau von der Berlinale, die mich so herzlich eingeladen hatte in diesen Kreis, hatte ein paar Tage zuvor geschrieben, dass sie nicht erscheinen werde, wegen familiärer Verpflichtungen. So kannte ich wirklich keine Menschenseele und wusste daher nicht im geringsten, was mich erwarten würde.

Sowas finde ich meist gut. Ich überlege dann immer, dass ich mich ja völlig neu erfinden könnte. Mir rasch eine völlig neue Identität oder wenigstens einen Spitznamen zulegen könnte, aber dann bin ich doch immer bodenständig durch und durch, so dass ich mich ganz authentisch gebe und kreuzbrav den Namen nenne, auf den ich getauft wurde... also..., dass ich im Grunde meines Herzens eine femme fatale bin, weiß wirklich nur ich.

Ich wurde freundlich aufgenommen in der Runde, die aus einem Mann und vier Frauen bestand. Der Mann hätte Buchhändler sein können, denn Männer, die lesen, sind immer eher blutleere Geschöpfe, das weiß ich aus Erfahrung. Es gibt nur wenige Ausnahmen, beispielsweise der Belletristik-Leiter meiner früheren Wirkungsstätte. Der war unfassbar schön und beißend spöttisch, praktisch eine Legende, aber ein Verlust für alle Frauen, denn natürlich liebt diese Lichtgestalt nur seinesgleichen. 

Männer, die lesen, sind eine ganz eigene Kategorie und dieser hier passte recht gut in meine Vorurteile-Schublade. Freundlich und sanft und ein ganz klein bisschen quengelig. Also nur den Eindruck von quengelig vermittelte er, in Wahrheit quengelte er kein bisschen. Die Frauen hingegen alle unauffällig herzlich und auf den ersten Blick kompatibel mit Gott und der Welt (also so ähnlich wie ich).

Jedenfalls lasen wir angestrengt die koreanische Speisekarte. Ich wusste mit all den unaussprechlichen Namen nichts anzufangen und die anderen Gottseidank ebenfalls nicht - man will ja nicht gleich als Trottel dastehen, weil man keinen Schimmer hat, was BimDimSan (o.s.ä.) ist. Die Fotos gaben auch keinen Aufschluss, außer dass alles schmerzhaft gesund aussah. Ich entschied mich für Süßkartoffel-Glasnudeln mit mariniertem Rindfleisch, die sich später als der Glücksgriff überhaupt erwiesen, aber das soll hier kein Thema sein.

Nachdem nun endlich alle bestellt hatten, wurde gebeichtet. Es hatte nämlich niemand der Anwesenden das Buch gelesen, bis auf eine andere, aber die hatte den Schluss nicht mehr geschafft. Die anderen hatten es gekauft, mitgebracht aber nicht angerührt.

Ich war einerseits amüsiert und auch erleichtert, weil auf den eigentlichen Sinn des Treffens offenbar sehr nachlässig bestanden wird - mir also in Zukunft niemand übel nehmen wird, wenn ich es auch mal nicht schaffe. Andererseits war das doch ein sehr hektisches Lesen den gesamten Samstag gewesen; im Grunde hatte es mir den Tag versaut, denn der fulminante Anfang des Buches, hinüber zu einem vielversprechendem Mittelteil hielt sein Versprechen nicht: ein maues, nicht enden wollendes Ende ödete vor sich hin. Ich blätterte eilig Seite um Seite um und dachte "Oh nee, nicht noch eine blöde Finte, irgendwann muss doch mal Schluss sein" und lieber hätte ich stattdessen andere Dinge gemacht.

Dann wurde ich aufgefordert, über das Buch zu sprechen, wenn ich es schon mal gelesen habe. Haha, sehr witzig. Ich rede ja gerne und zuweilen höre ich mich sogar gerne reden, aber der Koreaner hatte eine schlechte Akustisk und war brechend voll, obwohl alle auf Bänken ohne Lehne sitzen müssen. Kurz: ich musste gegen einige Dezibel anbrüllen und da geht ja der feinste Satzbau unter. Und es machte auch sonst keinen Sinn und Spaß schon gar nicht, vor lauter letztlich wildfremden Menschen über ein Buch zu referieren, das niemand gelesen hat.

Aber ich bin zuversichtlich, denn sie waren wirklich alle ausgesprochen nett und in meiner Welt ist nett nicht die kleine Schwester von Scheiße, sondern einfach nett. Bin gespannt, ob beim nächsten Termin wenigstens ein paar andere das neue Buch gelesen haben werden. 




P.S. "Nervöse Fische" möchte ich unbedingt empfehlen. Sätze für die Ewigkeit drin, en masse. Und wenn jmd. gut schreibt, ist mir die Handlung fast egal.


11 Kommentare:

  1. Ich dachte, dass Buch ist zum Ende hin einfach nur öde.

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    1. Die Handlung, ja. Aber er schreibt zum niederknien.

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  2. Ich lese so gut wie gar keine Bücher. Wenn ich doch mal eins anfange, das mir gefällt, sitze ich ruckzuck am Schreibtisch und schreibe selbst, weil es mich dazu animiert hat. Manchmal wünsche ich mir, ich könnte noch mal ein Buch lesen ohne diesen doofen Ich auch-Zwang.

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    1. Für uns, deine Leser, ist es allerdings von Vorteil, dass du diesen doofen ich-auch-Zwang hast ;)

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  3. Ein Lesekreis, der nicht liest. Sehr schön. Ich würde ja gerne einen Lesekreis für schlechte Bücher gründen. Da besprechen wir dann Promi-Biografien oder Enthüllungsbücher vom KOPP-Verlag. Treffen tun wir uns einmal im Monat bei Burger King. Wer macht mit? #Carpediem

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    1. Ich bin sowas von dabei! Wir fangen an mit: Heino: „Mein Weg“

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    2. Ein guter Einstieg. Jetzt brauchen wir nur noch zwei Mitstreiter(*innenX), dann gründen wir das "Unliterarische Quartett" und werden endlich berühmt!

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  4. Okay, das Ganze jetzt mal aus Autorensicht: Ein "Lesekreis"(wobei: Männer lesen nicht, es sei denn, sie sind irgendwie verweichlicht) verabredet sich zur Besprechung eines Buches. Man tut das aber nicht in einem Wohnzimmer oder Stuhlkreis, sondern in einem ultravollen Speiserestaurant, in dem man vielleicht essen, sich aber als Gruppe unmöglich über ein Buch austauschen kann. Dann stellt sich heraus, dass bis auf eine niemand das Buch gelesen hat. Was aber auch nichts macht, denn auch die eine hat nur quergelesen. Was aber wiederum nichts macht, denn obwohl ihr der Inhalt nicht zusagt, ist das Buch für sie in Summe knorke, weil "Sätze für die Ewigkeit". Diese eine war zudem lange in der Buchbranche.
    Jetzt möchte ich nur noch wissen, warum ich mich ein Jahr lang oder mehr hinsetzen und so viele Seiten füllen soll.

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    1. Also:
      1) "blutleer" meint nicht zwingend verweichlicht; das ist noch mal eine andere Kategorie. Ich kann's ja nicht ändern, ich habe mein Leben lang noch keinen Mann kennengelernt, bei dessem Anblick ich weiche Knie bekommen habe UND der all die zeitgenössischen Briten und Amerikaner gelesen und geliebt hat, die ich so lese und liebe.
      2) Zwischen Autoren und Lesern bestehen Unterschiede. Ganz bestimmt.
      3) Ich quergelesen? Wie kommst du denn da drauf? Ich habe ungeduldig und eilig gelesen, da in Zeitnot, aber nicht quer.
      4) Manchmal ist das so: der Roman flacht zum Schluss ab oder findet kein Ende, aber ich kann es dennoch lobpreisen und anbeten. Lies mal, es gefällt dir sicher.
      5) Jahre in der Buchbranche - drum empfehle ich das Buch doch, damit der Autor stinkreich wird.
      6) Das alte Problem: man kann sich seine Leser nicht aussuchen. Hauptsache, sie ernähren dich, oder?

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    2. Und es klappt mit den Empfehlungen hier:
      Ich bin nun schon beim "Bildungsroman" angelangt, wo Martin Schlosser, seine Mutter und andere zahlende Gäste gerade durch Kempowskis Archiv geführt werden. (Was mich natürlich sofort an das Erschleichen schwelgerischer Widmungen erinnert hat.)
      Aber man ist natürlich auf der sicheren Seite, wenn mann sich nicht ein Jahr oder mehr hinsetzt und so viele Seiten füllt. Nachher trifft sich der Lesekreis noch bei Burger King!
      Grüße aus dem Süden von
      Uli

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  5. Wie gut, dass ich (fast) keine Bücher lese :-P

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