Mittwoch, 19. Juni 2019

Die einsame Kanzlerin

Als ich gestern Abend das Video der Kanzlerin gesehen hatte, wie sie da stand und zitterte (nicht nur zitterte, sondern allergrößte Mühe hatte, stehen zu bleiben und ihre Extremitäten unter Kontrolle zu behalten, was ihr genau so wenig gelang wie Joe Cocker in den 80er Jahren), wie sie da also stand und so offenkundig neurologische Probleme unbekannter Herkunft hatte, war das erschütterndste für mich, dass ihr niemand zur Seite gesprungen ist. 

Kein Sanitäter kam angelaufen, kein Personenschützer, kein Mitarbeiter und nicht mal der neben ihr stehende ukrainische Präsident reichte ihr auch nur den Arm; ja er starrte angestrengt geradeaus, als ob er sich und der Welt weismachen wollte, dass er ihre Notsituation einfach nicht bemerkt.

Da steht sie und hält sich mit eisernem Willen auf den schwankenden Beinen und keine Sau eilt ihr zu Hilfe. Vor aller Augen, in sengender Hitze, die Kameras auf sie gerichtet und kein einziger Mensch fühlt sich berufen, das Protokoll zu missachten und mal schnell zu ihr rüber zu laufen.


In den Berichten hieß es, sie hätte unmittelbar danach wieder "normal laufen" können. So ein Bullshit! Ja, sie konnte laufen, aber das war's auch schon. Flüssiges Gangbild ist was anderes. Sie eilte zur Pressekonferenz, sie war immer noch fahrig (kein Wunder) und jeder, der Augen im Kopf hat, konnte sehen, dass sie mit letzter Kraft - und daher eilig, wie jeder, der Panik hat - unterwegs war. 

Warum man sie nicht aus dem Verkehr und sofort ins Krankenhaus gebracht hat, verstehe ich nicht. 

Die Wirkung, die sicherlich vermieden werden sollte (ein Politiker darf keine Schwäche zeigen, etc. blabla), ist so viel verheerender. Alles wäre okay gewesen, wenn sie umgekippt wäre oder ihr der Präsident wenigstens seine Hand auf ihren Rücken gelegt hätte - das wären dann Bilder gewesen, die nie gesendet worden wären, man hätte nur von einem Schwächeanfall in Gluthitze gelesen und niemand hätte sich tiefergehende Gedanken gemacht.

So aber, die Kamera draufgehalten, haben sich zumindest mir diese Bilder unauslöschlich ins Hirn gebrannt: ein schrecklich anzusehendes Symptom, eine sichtlich panische wie stoische Kanzlerin, die im Stehen zusammenbricht und niemand hilft.

Und heute kraucht sie schon wieder in Gluthitze in Goslar rum. Sie muss doch gar keine Wahlen mehr gewinnen...

23 Kommentare:

  1. Ja, der ukrainische Präsident hätte sie stützen sollen und fragen, ob sie Hilfe braucht, er stand ja direkt daneben und hat das Zittern offensichtlich bemerkt. Schlimm finde ich auch, wie auf Twitter spekuliert wurde, ob sie Alkoholikerin sei. Ich kenne diese Kreislaufgeschichten seit meiner Jugend, und meist geht es nach kurzer Zeit wieder von selbst, aber ich muss mich einen Moment irgendwo abstützen können.
    geschichtenundmeer

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  2. So gnadenlos, ohne jede Empathie, was sind da für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tätig? Ist es der Umgang mit Macht/Politik, der Gefühle verkümmern lässt? Ich habe in einer Partei auch viel Schadenfreude erlebt gegenüber Menschen der eigenen Partei, die Schwierigkeiten hatten. Diese Atmosphäre verleitet dazu, selbst auch keine Schwäche zeigen zu wollen.

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  3. Danke für diesen Post. Er sollte in alle Medien. Vieles wird ihr unreflektiert (obgleich als Nicht- CDU- lerin, habe ich nach inflationären Diskussionen meinen Bekanntendunst sortiert) vorgeworfen, zu recht kritisiert oder hinterfragt (generell wird dem Volk leider zuwenig drastisch vermittelt, wie kompliziert Politik (der Eiertanz!) im Weltgefüge ist). Ich habe mir, nach kurzer Ambivalenz, dieses Video auch angesehen und war erschüttert und begeistert zugleich. Was für eine taffe und sofort wieder als Gastgeberin souverän agierende Frau. Aus der überspitz- missmutigen Phrase "Nun merkel doch nicht so", ist ein positiv- couragierter Slogan geworden= "Jetzt wird gemerkelt!", aka dem Frauen- Plakat " We can do it " umwandelnd in "Do it"- ist das neue Ich"! Mein Respekt für sie ist erfrischt.

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    1. Ja, man könnte sich verleiten lassen, Respekt vor dieser Kraftanstrengung zu haben. Aber eigentlich ist es Stärke an der falschen Stelle.

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  4. Du hast mir aus der Seele gesprochen/geschrieben.
    Ich war entsetzt, dass der ukrainische Präsident Ihr nicht geholfen.
    Ihr starkes Kreislaufproblem könnte man nicht ignorieren.
    Ich finde es schade, dass Frau Merkel sich nicht von der politischen Bühne zurück zieht und sich dann noch ein paar schöne Jahre gönnt.
    Petra

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    1. Nun ja, allzulange wird sie nicht mehr Kanzlerin bleiben.

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  5. Man muß Frau Merkel nicht mögen oder ihr zustimmen, aber um Politiker latschen so viele Leute herum - war keine von diesen Nullen imstande, der Frau mal ein Glas Wasser oder einen Schokoriegel zu geben? Nö, da läßt man sie stehen - peinlich nicht für Frau Merkel, die sich ja gehalten hat, sondern für ihre offensichtlich untauglichen Mitarbeiter.

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    1. "peinlich nicht für Frau Merkel, die sich ja gehalten hat,"

      Peinlich ist da sowieso nix dran, eher schmerzlich, wie sie sich gehalten hat. Sinnbild maximaler Isolation.

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  6. Auch hier mal wieder eine etwas andere Perspektive: Warum bittet sie verdammt noch mal nicht auch um Hilfe? Welche Vorstellung von der eigenen Rolle muss man haben, damit man das eben gerade nicht tut? Wenn das System drumherum sowas fordert, dann mag das scheiße sein, aber eine Politikerin, die sich im Abgang befindet, wäre eigentlich in der perfekten Rolle, um solche bekloppten Muster zu durchbrechen. Glaubt irgendein Politiker tatsächlich von sich selbst, dass den Menschen da draußen nicht bekannt wäre, dass sie genauso aus Fleisch und Blut gemacht sind wie alle anderen auch? Wenn der Körper aussteigt und man dennoch krampfhaft versucht ein wie auch immer geartetes -im Kern völlig irrelevantes- Ritual abzuschließen, dann hat das für mich jedenfalls nichts von Stärke, sondern zeugt eher von Blödheit.

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    1. "Wenn der Körper aussteigt und man dennoch krampfhaft versucht ein wie auch immer geartetes -im Kern völlig irrelevantes- Ritual abzuschließen, dann hat das für mich jedenfalls nichts von Stärke, sondern zeugt eher von Blödheit."

      Wenn der Körper aussteigt, steigt der Körper aus. Zu vernunftsbegabten Entscheidungen war sie - schätze ich - gar nicht mehr in der Lage.

      Ich bleibe dabei: schlimm war die Nichtrekation der anderen.

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    2. Öhm, das ist ein wenig unlogisch. Sie hat ja offensichtlich bewusst entschieden weiterzumachen. Ist das dann nicht auch eine "vernunftbegabte Entscheidung"?

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  7. Auch von mir danke. Ich habe mich wie viele andere auch gefragt warum niemand etwas getan hat. Wenn sie sich hätte übergeben müssen, hätte man sie dann auch besudelt da stehen lassen?! Kein Protokoll und kein Staatsgast kann so wichtig sein.

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    1. Ich hoffe, da schreibt jmd. dereinst seine Doktorarbeit drüber...

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    2. Vielleicht auch unter dem Aspekt "Unterlassene Hilfeleistung"...

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    3. Genau an sowas dachte ich.

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  8. Danke, ich rege mich immer noch auf, dass da niemand geholfen hat. Nicht mal zugegriffen hat der. Furchtbar!
    Ilka von https://wasmachstdueigentlichso.wordpress.com/

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  9. Schatzi, ich lese da immer wieder, dass alle es befremdlich finden, dass ihr keiner geholfen hat. Dabei ist das doch sonnenklar. Sie ist die Kanzlerin. Unerbetene Hilfeleistung ist deswegen nicht möglich. Der unerbetene Helfer greift in das Persönlichkeitsrecht des anderen ein, setzt sich über den Willen des anderen hinweg. Bevormundet. Was auch immer ich sonst von Frau Merkel halte, ich halte sie für alt, erfahren und sogar in einer solchen Situation besonnen genug, zu sagen, wann sie Hilfe in Anspruch nehmen will. Ihr in dieser Situation nicht zu helfen war in meinen Augen ein Akt des Respekts. :o)

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    1. Hm. nein, nein, nein.
      Stell dir vor, dir passiert sowas. Ich denke, jedem und jeder gönge der Arsch auf Grundeis, weil man weiß ja nicht, ob es sich gleich ablebt oder nur eine kurze gruselige Attacke das Kommando übernommen hat. Im Affekt kämpft der Mensch um sein überleben und in Panik wird er meist ganz still, egal, welchen Beruf man ausübt oder ob man gerade auf dem heimischen Balkon oder im Bendlerblock steht.

      Da müssen Außenstehende hin und zwar sofort und Nebenstehende haben einen Arm anzubieten, hirnrissige Staatsakte müssen andere unterbrechen, das kann die/der Betroffene nicht auch noch regeln.

      Meine Meinung.

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  10. Ich glaube, dass niemand so recht wusste, wie er sich in solch einer Situation verhalten soll. Einer Kanzlerin zu Hilfe eilen, die schon so viele Jahre unerschütterlich im Rampenlicht steht..? Sie ist ja nicht umgekippt, sie hat "nur" gezittert. Und jetzt ist es eine Woche später tatsächlich noch mal passiert. Ich mag die Kanzlerin gern, und ich frage mich wie alle anderen Menschen in Deutschland, ob da nicht mehr hintersteckt.

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    1. Ja, das frage ich mich als interessierte Hypochonderin natürlich auch. Und wenn ich das noch dreimal sehe, krieg ich das auch.

      Davon abgesehen: sollte es ein drittes Mal in aller Öffentlichkeit passieren und die verfrachten sie immer noch nicht ins Krankenhaus, schreibe ich eine Petition.

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  11. Ich schätze, wenn ihr ihre Leute zu Hilfe geeilt wären, hätte man wirklich weithin angenommen, dass es sich um eine akute Hitzereaktion handelt. Da aber niemand kam, wirkte das (auf mich) so, als sei es absichtlich nicht zu einer Reaktion ihrer Umgebung gekommen- mit ihr abgesprochen meinetwegen. Das verleitet natürlich dazu, diese Zitteranfälle für, naja, Anfälle zu halten, die vielleicht öfter vorkommen. Diese Bilder haben auf diese Weise mehr Besorgnis hervorgerufen, als eine Unterstützung und Hilfeleistung das hätten tun können.

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  12. ich hab da eine ganz andere meinung. krankheiten sind privatsache und wenn merkel sie nicht thematisiert, gehen sie uns nichts an, ich vertraue ihr da, dass sie sich verantwortungsbewusst benimmt. Dein mitgefühl und irritation, dass niemand spontan hilft, kann ich natürlich verstehen. ich würde aber davon ausgehen, dass sie das nicht will.

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