Samstag, 21. Dezember 2019

Bei Königs zuhause

Ach, jetzt haben wir es endlich wieder geschafft: die längste Nacht bricht heute heran und ab morgen geht es wieder aufwärts. Es ist aber auch sehr dunkel in diesem Jahr. Zum Ende hin spülte es mich in eine Millionärs... ach, was sage ich: Milliardärsvilla. 

Als ich neulich auf diesem Konzert war, wurde auch für einen Chor geworben. Keine großen Ansprüche, keine Aufführungen, nur zum Spaß halt. Ging gleich zum Dirigenten, der mir versprach, einen Kontakt herzustellen, denn der Chor würde bei einer Dame proben, die ihr Haus geöffnet habe für die Proben und sie möchte vorher wissen, wen sie da einlasse. Aha, nun ja, also nix Gemeindehaus irgendwo, sondern eher Salon, hach dachte ich, mal sehen, wie das wird. 

Zu dritt meldeten wir uns bei der Dame, die huldvoll zurückschrieb, wir seien ihr herzlich willkommen, es wäre allerdings schön, wenn eine von uns auch die Tenorstimme singen könne. Ich empfahl mich, denn wie sagte ich während meiner aktiven Chorzeit immer "Untenrum bin ich echt gut". 

Schon "Stille Nacht, Heilige Nacht" muss ich nach unten oktavieren, weil mir höhe Töne Stimmbandlähmungen verursachen. Ich bin praktisch das stimmliche Gegenteil von Marianne Rosenberg, die hoch singt und mit einer tiefen Sprechstimme überrascht, während ich eher wie Franziska Giffey spreche, aber singe wie russischer Domkosake. 

Wir fuhren in dieser Woche zur angegebenen Adresse und standen andächtig vor einem Trumm von Villa, und zwar genau die Art von Villa, zu der wir niemals Zutritt erlangen würden, normalerweise.  Ehrfucht nahm von mir Besitz, denn landpomeranzisch wie ich nun mal bin, bin ich nicht frei von Dünkeln in die umgekehrte Richtung. Will sagen: echter Geldadel merkt in der ersten Millisekunde, dass ich aus einem handfesten niedersächsischen Reihenhaus stamme, da kann ich noch so vermeintlich natürlich säuseln - es wird immer eine Leutseligkeit zu erkennen sein, die verrät, dass ich mitnichten meine Freizeit in gigantischen Gründerzeitvillen verbringe.

Nun ist schiere Größe durchaus beeindruckend; in dem "Salon", in dem wir geprobt haben, hätte meine Wohnung gleich zweimal reingepasst. Aber, und das beobachte ich nicht zum ersten Mal, sichtbarer Reichtum hat nicht unbedingt etwas mit Geschmack zu tun. Es will sich auch selten ein heimeliges Gefühl einstellen. Wenn das nicht wie in der Bibliothek von Downton Abbey aussieht, hat die Hausherrin meiner Meinung nach kein Talent für's Ambiente - da kann noch so viel gefällige, gegenstandslose Kunst im Original an den Wänden hängen. 

Wenn ich dafür auf seelenlosen Sofas (gelb-orange) und Stühlen (Kirschholz) sitzen muss, die farblich mit gar nichts korrespondieren, auch nicht mit den endlosen Vorhängen (schlammfarben), die wegen der bodentiefen Fenster angebracht sind, dann hat das alles sicher eine Menge Kohle gekostet und die Bilder wurden auch nicht selber in die Wand gedübelt, aber ich möchte gar nicht tauschen. Anders übrigens bei der Villa, die mal die Auftragsmörderin gehütet hat; da wäre ich sofort eingezogen und hätte nichts verändert.

Die ca. 25 Damen und drei Herren bevölkerten den Raum zwar; schon allein deshalb, weil uns der Chorleiter zum umhergehen während des singens aufforderte, aber ich dachte, wie wohl der Raum wirkt, wenn man hier mal ganz allein ein Buch liest? Man ist dann ja doch irgendwie verpflichtet, jeden Abend 30 Leute einzuladen, um sich nicht ganz verloren zu fühlen, oder? Schließlich waren wir nur in einem Raum zugange. Das Haus birgt ja noch viel mehr, auf mehreren Stockwerken, die wir gewiss nie zu Gesicht bekommen.

Die Hausherrin indes entsprach dem Klischee einer etwas überkandidelten Charity-Witwe, schmal wie Wallis Simpson, aus der Ferne leicht derangiert wirkend, aus der Nähe indes erkennt man Spuren früherer Schönheit, mit überbordender, huldvoller Freundlichkeit, die in nichts meiner eigenen, leicht gequälten Leutseligkeit nachstand, mit dem unbedingten Willen, sich zu amüsieren, sich zu bewegen (= wippen beim singen) und etwas zu bewegen, nämlich am liebsten 30 andere, vielleicht nicht ganz so reiche Menschen, zu beglücken mit temporärer Aufenthaltsgenehmigung in ihren heiligen Hallen. Ich will das gar nicht kleinreden; die meisten reichen Leute hätten da wohl keine Lust zu, nehme ich an. 

Alles in allem ein skurriler, dennoch schöner Abend, denn singen macht einfach Spaß, egal wo. Punkt.

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