Dienstag, 14. April 2020

Nachrichten aus dem Home Office

Zuerst dachte ich, ich lass das mal alles auf mich wirken.




Wie zum Beispiel jede Menge verrückte Frauen sichtbar wurden. Alte Frauen, die mich (mit Maske) auf der Straße anschrien, im Vorbeigehen, "Es gibt keinen Virus!", soso, dachte ich, hoffentlich hast du Recht. Verwirrte Frauen, die in der Bank (übermäßig dramatisch geschminkt, junge-Mädchen-Frisuren tragend) nicht in der Lage waren, eine Überweisung auszufüllen, jeden und jede ansprachen "Können SIE mir helfen?", gefährlich nah und ohne jede Rücksicht alles kontaminierten, was es halt in einer Bank anzufassen gibt - diese ältlichen Frauen also mit weit auf gerissenen Augen, verpeilt durch die Straßen schwankend - die gab es plötzlich zuhauf. Wo kommen die nur alle her, frage ich mich. 

Dann gab es plötzlich in meinem kleinen Wäldchen Völkerwanderungen, gibt es bis heute. Verstehe ich, ich rette mich ja auch täglich in die grün explodierende Zwitscherbude. Habe mir den Leihhund geholt, für eine ganze Woche war er bei mir, bei jedem Videocall lag er neben mir auf dem Boden, eine Weile, um dann den Versuch zu starten, irgendwie auf meinen Schoß zu kommen, dabei ist er viel zu groß und schwer und ich bin dafür wenig zu haben, wie ich feststellen musste. Nach 4 Tagen nannte ich ihn nicht mehr Leihhund, sondern Stalker und das meine ich nicht mal scherzhaft. Stalker mit ADHS Syndrom, denn er kommt nie zur Ruhe, außer er darf neben mir auf dem Sofa liegen.

Wie gerne wäre ich mit Martin Rüther befreundet, den hätte ich gerne mal gefragt, was es damit auf sich hat und wahrscheinlich hätte er mir klar gemacht, dass es ganz allein an mir liegt weil ich irgendetwas grundfalsch mache - wenn ich nur wüsste, was? 




Ich überlege seitdem nur noch halbherzig, dass jetzt eine günstige Zeit wäre, mir selber einen kleinen Welpen zuzulegen; nie wieder hätte man die Gelegenheit, in aller Ruhe einen kleinen Hund stubenrein zu bekommen, erste Erziehungsversche zu starten und ihn langsam daran zu gewöhnen, auch mal allein zuhaus zu bleiben. Aber wenn das dann auch so ein ADHS-Stalker wird, hätte ich den immer an der Backe.

Nach Corona werde ich sowieso viel öfter im Home Office bleiben - nicht weil ich das so schätze, sondern vor allem, weil das die Arbeitgeber zu schätzen gelernt haben werden. Ich selber finde HO inzwischen richtig doof und an manchen Tagen schleiche ich mich in meine Firma, die einem Geisterhaus ähnelt und erfreue mich an meinen beiden riesigen Bildschirmen und dem rückenschonenden Bürostuhl - die reinsten Glücksmomente sind das.Wer hatte das vor sechs Wochen geahnt? Da habe ich mir einen HO-Tag immer als Geschenk an mich gegönnt.

Was noch? Ich kann keine Nachrichten mehr ertragen. Ich bin mit Verdrängen beschäftigt und lese lieber gefühlige Abhandlungen zum Thema in ZEIT, SZ und FAS. Alles, was mit Zahlen, Fakten, Krankheitsverläüfen, etc. zu tun hat, wird ignoriert, denn all dieses Wissen setzt sich auf meiner ansonsten schon löcherigen Festplatte bombensicher fest und sollte ich dann doch erkranken, wüsste ich in einer Hundertstelsekunde alles, was mich nun erwarten könnte und in meiner kleinen hypochondrischen Welt wäre sofort ausgemachte Sache, dass ich sowohl spätestens als auch mindestens an der Intubation krepieren werde. Nein, Gedankenstopp, nichts ausmalen, die Energie folgt der Aufmerksamkeit. 

Was ich nun nie vergessen werde, ist dieses gleißend helle Licht, das seit dem Lock down jeden Tag scheint. Ich nenne das "Dallas-Himmel", weil mir schon damals beim Dallas-gucken bei Außenaufnahmen immer dieser grellblaue, wolkenlose Himmel aufgefallen ist mit extrem kalten Sonnenlicht und so ist das seit Mitte März auch über Berlin. Schon schön, diese Helligkeit, ich will mich nicht beschweren, es könnte für meinen Geschmack nur etwas weniger gleißend sein. Trifft man draußen jemanden, sieht man auch aus 2 Metern Mindestabstand jede Pore und Schlimmeres; es ist ein erbarmungsloses Licht.

Da ich keine Nachrichten mehr sehe, schaue ich Netflix. Netflix ist gar nicht so toll. Es ist selten mal wirklich Gutes dabei. Zwei Wochen habe ich alle Folgen von Mad Men noch mal geschaut, aus lauter Alternativlosigjkeit. Modisch bin ich seit jeher in die 60er Jahre verliebt; Anfang 70er geht auch noch. Bis auf Joan Harris, die Godmother aller Sekretärinnen, ist das Personal doch eher kotzbrockig angelegt, also musste ich mich auf die Kleider konzentrieren. 

Ja, und ich koche natürlich jeden Tag. Überhaupt esse ich sehr viel. Und ich muss viel putzen und aufräumen. Man schmutzt und flust die Wohnung ganz schön voll, wenn man 24/7 daheim ist. Meine Wohnung weiß gar nicht, wie ihr geschieht. Endlich wohne ich mal meine Miete richtig ab. Meinem Vermieter schrob ich einen freundlichen Brief, ob ich wohl während der Ausgangssperre wieder in den Garten darf, aber er antwortete, das sei "leider" nicht möglich und ich muss gestehen, da habe ich ihn verflucht. Ich möchte hier nicht in Einzelheiten gehen, aber eine Welle von ungeheurem Hass schwappte so über mich, dass ich nicht anders konnte. 

Eine zweite Hasswelle schwemmte mich beinah auf den Ozean, als ich hörte, wie ReWe, Aldi und Lidl ihre Kassiererinnen für die Mehrbelastung zu entlohnen gedenken: zwischen 100-250 Euro Essensgutscheine, also die Möglichkeit, für 100 -250 €uro im eigenen Laden einkaufen zu dürfen. Da wollte ich eine Weltrevolution vom Zaune brechen und jeder Kassiererin zurufen: Bleibt zuhause, lasst euch krankschreiben, dann können eure Bosse die sagenhaften Gewinne zur Abwechslung mal selber erwirtschaften! Ich war schon lange nicht mehr so sauer.

Ostern habe ich das Kontaktverbot gebrochen. Zu dritt auf einer großen Terasse bei 23 Grad - es war Verheißung und Erinnerung zugleich. Früher war das ganz normal und heute wissen wir nicht, wann wir jemals wieder diese Unbeschwertheit haben werden. 

Hier was Saugutes von Sybille Berg: Bankrotterklärung

Zum Schluss noch ein Hinweis auf diese Website
Mehr darüber zu lesen drüben bei Frau Nessy


15 Kommentare:

  1. Die Mädels am Bankautomat sind Trickbetrügerinnen. Die haben den Enkeltrick auf die nächste Stufe gebracht. Sie haben doch nicht Ihre Bankdaten da gelassen?

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    1. Das "Mädel" war ca. 70 Jahre alt und das alles fand nicht im Vorraum einer Bank statt, sondern drinnen.

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  2. Netflix: kennst du die isr. Serie "Shtisel"? Großartig. OmU, aber macht nix. Sehr witzig, sehr wahr. Und natürl. "Better call Saul", wo ich jede Woche sehnsüchtig eine neue Folge erwarte. "Mad Men" hab ich auch geguckt, von vorn bis hinten, wobei ich mich zum Ende hin immer öfter gefragt habe: wieso (gucke ich den Scheiß) eigentlich. Aber diese Frage scheint mir mit zunehmendem Alter ohnehin immer seltener tatsächlich bla bla bla ich geh ins Bett. Küsschen.

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    1. Ging mir bei Mad Men genau so. Ich fand's immer bekloppter und die Figuren lebloser.
      Danke für die Tipps. Better call Saul habe ich mal begonnen, bin aber nicht reingekommen. Ich versuch's noch mal. Shtisel kenne ich nicht, bin gespannt.
      Liebste Grüße

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    2. Glummi: Shtisel war wunderbar! Was habe ich mit Kiva (hinreißend!) mitgebangt. Und was einem Eltern alles versauen können! Das war alles so wunderbar gespielt, und die OmUs haben mich auch nicht gestört.
      Ich hoffe auf Staffel 3 - weißt du was?

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    3. Wunderbar finde ich auch die Einsprengsel von Jiddisch, das höre ich sehr gern. Was Staffel 3 betrifft, die ist wohl seit 1 Jahr in der Mache, war aber bislang nicht mal in Israel zu sehen. Nichts genaues weiß man nicht.

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  3. Der stalkende Leihhund sieht aber hübsch aus.

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    1. An Schönheit ist er in der Tat kaum zu übertreffen und auch mit Charakter ist er ausgestattet. Wennn er mich nur MANCHMAL aus den Augen lassen würde...

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  4. Erst dachte ich die Borgelfe ist erkrankt,
    nun Blogt sie wieder.(Gott?) Dem Home Office sei Dank!

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  5. Wattn niedliches Hündchen! Und warum darf der nicht auf Dich draufkrabbeln? Den merkt man doch gar nicht.
    Einen Eigenhund? Wenn nicht jetzt, wann denne sonst? Mehr Zeit und Ruhe für Hundeerziehung am Stück hast Du nie wieder!
    Da kaufst Du Dir erst mal 4,5 Lehrbücher und meldest ihn an 3 Hundeschulen gleichzeitig an. Viel hilft viel! Außerdem kompensieren sich so die Fehler der Hundelehrer, während andere Dinge bei Meinungsgleichheit viel schneller begriffen werden. Nehme ich jedenfalls an.
    Außerdem ist das edle Tier am Abend dermaßen fertig, daß er froh und dankbar ist, wenn Du ihn in Ruhe lassen kannst. Und er Dich!
    Außerdem wirst Du dann für eine gewisse Zeit Hunde-Spezialistin; die Einzige auf der ganzen Welt, die einen Hund tatsächlich richtig erziehen kann ( keine Angst! Erfahrungsgemäß legt sich diese Superiorität nach ein, zwei Jahren. Frühestens.) Diese ausschließliche Beschäftigung mit sich selbst, die das mit sich bringt, befähigt das Tier in aller Regel, seine Tätigkeiten und Pflichten allein zu erfüllen. Das macht es stolz und unabhängig. Hunde lieben das!
    Keine Angst vor Welpen! Das ist das preiswerteste Fitneß-Programm, was man sich denken kann. Du fühlst Dich unterfordert, zu wenig Bewegung und nicht genug Auslauf? Lerne Deine Stadt im Zick-Zack-Kurs kennen. Zeige Deinem Hund, daß Du Dich für die selben Dinge begeistern kannst wie er/sie/es. Schnüffel ruhig mal an 56 Ecken und Bordsteinen in einer halben Stunde, balg Dich mit ihm um Knochen oder kläfft zusammen Farradfahrer an.
    Lerne etwas elementares über die Natur von Welpen! Nach fünf Wochen, 4 zerstörten Teppichen, zwei Stuhlbeinen und einem geplatzten Goldfischglas sind sie nicht mehr niedlich. Wenn Du zum Tier wirst und auch der Welpe zu einem – dann werdet ihr euch lieben und Du wirst diese Entscheidung zum Tier niemals bereuen.
    Tu es jetzt! Und lass Dir von einem Hundeliebhaber sagen, daß sie bei steigender Größe umso pflegeleichter sind.

    Liebe Grüße,

    das Pantoufle

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    1. Na, bin ich froh, dass du noch fröhlich schraubst und erquickende Ratgeber-Kommentare schreibst. Ick hab'ma bereits ein paar Sorgen gemacht.

      Mit einem Eigenhund gehe ich tatsächlich ernsthaft schwanger - allein, es wird den Leihhund nicht freuen, denn er ist von Geburt an der König (auch) in meiner Wohnung und wird fremde Welpen als Störfaktoren eliminieren.

      Aber eine günstigere Zeit zur Welpenaufzucht gibt es nie wieder (außer ab Rentenbeginn, aber dann bin ich womöglich schon zu klapprig und kann nur noch einen Chihuahua bewältigen; hätte den Vorteil: ich wäre schon taub und würde sein nerviges Gekläffe nicht mehr hören).

      Der Leihhung ist'ne Wucht; wenn du dir endlich mal whatsapp anschaffen würdest, würde ich dir Filmchen schicken.

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  6. Um Gottes Willen, mach das bloß nicht! Du hast so ein Vieh tatsächlich Tag und Nacht am Bein und kannst nicht einmal in Ruhe wandern oder wegfahren.

    Wie ein Kleinkind, dass niemals selbstständig wird.

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  7. Hach.
    Jetzt ist es also soweit.
    Weichgekocht vom Coronawahn zum Welpenwunsch.
    Muss ich mir Sorgen machen? Wie reagiert der Borgwürfel auf derlei pelzige Gedanken?
    Ich meine, gut, der Leihhund ist ein Leihhund- und das hat bestimmt Gründe, weswegen er verliehen wird...
    Und Welpen. Oh je. So süüüüüüß und pissen liebevoll alles voll und benagen und scheißen und wollen zum Tierarzt und bekrault werden und bittebitte lasse sie bloß nicht alleine in der Wohnung. Kabel sind auch ganz toll zum dran ziehen und wo soll man sich sonst klemmen, wenn nicht in der Tür oder unter Frauchens Pantoffel, die dann blöderweise ganz dumm stürzt. Trotzdem. Gehe zum Tierarzt. Begib dich direkt dorthin. Ziehe keine 2.000 Mark ein. Und wenn du wieder arbeitest mit Platz im Büro, da freut sich der Welpe bestimmt ganz doll. Und du bleibst sicher guten Gewissens beim Doppelköpfen während das Tierchen daheim munter seinem Schwanz nachjagt (nimm bloß nix coupiertes). Und wenn sich der Leihhund dann nicht mit Welpchen verträgt oder umgekehrt. Ach. Und all die guten Ratschläge die man dann bekommt. Sowas wie:

    Der Welpe ist nicht dein Freund sondern dein Untertan.
    Und das bleibt auch so wenn er sozusagen verwelpt, also ausgewachsen ist.
    Annika Rudelchef. Willst du das wirklich?

    Ich vermute ja. Seufz. Das einzige was mich vielleicht zur Tierfreundin machen könnte ist, dass ich mir sicherlich keins anschaffen werde. :o)

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    1. Alles kein Problem,solange man genug Leben in sich hat, das auch teilen zu können. Sonst aber wären es die absurdesten Gedanken gegen das Kinderbekommen.
      <Wie ein Kleinkind, dass niemals selbstständig wird.« Gilt auch für viele »Erwachsene«

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