Montag, 1. Mai 2017

Tanz in den Mai


Eine meiner hervorstechendsten Fähigkeiten ist die chamäleonhafte Anpassung innerhalb einer peergroup, zu der ich nicht gehören möchte, die ich aber gerne beobachte. 

Daher sagte ich begeistert zu, als meine Schwester und ihr Mann mich einluden zum Tanz in den Mai, und zwar ins Vereinsheim der Schrebergartenkolonie, der sie seit neuestem angehören. Beide sind begeisterte und begabte grüne Daumen; als sie vor Jahren meinen Balkon bepflanzten, hatte ich Pulks von Gaffern vorm Gartenzaun, die sich nicht mehr einkriegten wegen all der Pracht. 

Meine Schwester, ein eher sprödes, dennoch liebenswürdiges Geschöpf, fügt sich überraschend problemlos in die Pflichten der mit dem Besitz einer Laube einhergehenden Vereinsmeierei. Sie hat einen Terminkalender voller Sitzungstermine, an denen sie widerstandslos teilnimmt. 

Aus dem verlottertem Grundstück haben die beiden innert Wochen ein Schmuckstück gemacht, Schulterprobleme inklusive, und haben sich damit bei den anderen Laubenbesitzern bereits den nötigen Ruf erworben, der unabdingbar für eine geglückte temporäre Lebensgemeinschaft über die Sommermonate ist. 

Jedenfalls luden sie anlässlich ihres Hochzeitstages mich und ihren anderen Trauzeugen zu diesem ersten flirrenden Höhepunkt der Gartensaison ein. Der andere Trauzeuge war nur gekommen, weil er kürzlich einen ehemaligen Studienkollegen in der Kolonie traf, den er schon damals inbrünstig anbetete; er hoffte auf ein Wiedersehen beim allgemeinen Besäufnis bei Schnitzel und Eisbein. Ich hingegen habe eine erklärte Schwäche für Zusammenkünfte wie Familienfesten mit peinlichen Tanten, und so ein Laubenpieperfest ist im Grunde nichts anderes. 

Dass im Vereinsheim geraucht werden darf, weil die Vorstandsvorsitzende raucht, machte das ganze Unterfangen nur sympathischer. 

Wir wurden mit großem Hallo empfangen, erstens weil so eine gewisse raue Herzlichkeit dem Laupenpieper eigen ist und wohl auch, weil wir den Altersdurchschnitt kräftig nach unten drückten (und ich schätze mal, dass uns das gestern eines der letzten Male gelungen ist, außer wir verlegen unsere Freizeitgestaltung künftig in die Seniorenresidenz Rosenhof). 

Aber die heutige Alten haben ja überhaupt keine Lust, alt zu sein und das merkt man natürlich in der Wahl der Frisuren und vor allem der Bekleidung.

Die Discokugel hatte zu tun, um gegen all das Lurex anzuglimmern, das sich die Damen übergeworfen hatten. Eine ca. 70 jährige, weißhaarige Frau hatte die Original-Frisur von Suzi Quatro und trug einen Anzug wie einst the Godfather in "Der Pate". Eine andere stelzte auf hohen, goldenen Hacken, schwarzem Rock, goldener Paillettenbluse und einer schwarzen 'Motorradlederjacke' von Ulla Poepgen durch die Festhalle. Stimme wie ein Reibeisen und sogenannter pfiffiger Kurzharrfrisur, verteilte sie exstatisch die Teller mit Schnitzel. Das Essen war genau so, wie ich es erwartet habe.


Das muss so
Um 17 Uhr begann die Sause, um 18 Uhr war das Essen auf dem Tisch und ab 18.30 Uhr dachte ich, dass ich vielleicht doch etwas zu übermütig zugesagt habe, bis Mitternacht durchzustehen; denn der DJ begann seinen Job und die flackernde Beleuchtung markierte den Beginn des Tanzes. Draußen schien gleißend hell die Sonne und wir hörten Grausamkeiten wie "Ich bin geboren, dich zu lieben".

Auf der Tanzfläche fand etwas statt, was mich entfernt an Schränke schieben erinnerte, gleichwohl hatten die Herrschaften meinen Respekt, denn so unermüdlich wie gebrechlich drehten sie sich im Kreis; ich hätte mir schon längst die Hacken langgekotzt. 

Meine Schwester erkannten wir nicht wieder. Sie ist bekannt dafür, dass sie früh ins Bett geht; selbst auf dem Gipfel ihrer Jugend und Schönheit ging sie früh ins Bett, anstatt wie ich die Nächte durchzumachen. Sie wollte unbedingt tanzen, sah aber nur in unsere entgeisterten Gesichter. Kein Mensch kann zu diesem disco-fox-gesampelten-Andrea-Berg-Scheiß tanzen, außer man ist durch 20 Jahre Laubenpieper-Mitgliedschaft ausreichend abgestumpft, denn schon das Hören dieses Klangmatsches aus der Hölle verlangt eine ausgeprägte, frühkindlich erworbene Fähigkeit zur Abspaltung.

Neben Suzi Quatro saß übrigens ein Mann mit einer Mini-Pli, der aussah wie der schafliebende Dr. Doug Ross in Woody Allens "Was sie schon immer über Sex wissen wollten". Die beiden saßen stumm nebeneinander, bis sich ihnen ein Paar gegenüber setzte, das sogar noch jünger war als wir. Sie waren geradezu aufsehenerregend jung und unterhielten sich freundlich mit dem stummen Paar, das sichtbar auflebte. 

Am gegenüberliegenden Tisch unterhielt sich eine Frau mit ihren Tischnachbarinnen, der man ansah, dass sie mal eine Schönheit war; ihr Haar war üppig, aber noch an der Grenze zu lässig frisiert, sie war mit Glitzerschmuck behangen, ihr Gesicht strahlte Wärme und Güte aus. Beobachtet wurden sie dabei von ihrem Gatten, der den ganzen Abend kein Wort sagte, ihr nur missmutig mit den Augen folgte. Sie ließ sich von dem Griesgram nicht beirren, manche Frauen sind einfach nicht kaputtzukriegen. 

Meine Schwester wollte immer noch tanzen, während wir beschlossen, noch bis 20.30 Uhr durchzuhalten, keine Minute länger. Der vergötterte Studienkollege ließ sich nicht blicken, mein Schwager wollte früh ins Bett, denn ein Hochbeet bauen ist keine Kleinigkeit und ich wusste, mehr Blogcontent konnte nur noch der krakeelende Opa links hinter uns bieten, aber bis der besoffen genug sein würde, um endlich eine Schlägerei anzufangen, konnten noch Stunden vergehen. Und noch länger C-Prominenz der deutschen Schlagerlandschaft ausgesetzt zu sein, würde nur einen lästigen Hörsturz provozieren. 

Plötzlich stand meine Schwester auf und ging zum DJ. "Was macht sie denn jetzt bloß?" bekümmerte sich ihr Mann und auch mir wurde Angst und Bang. Drei Monate in der Laube und schon nicht wiederzuerkennen, bald wird sie sich mit einer bicolor-Frisur zuschanden ondulieren. Vergnügt kam sie an den Tisch zurück und meinte, sie habe sich Marianne Rosenberg gewünscht und dann müssten wir alle tanzen. Ich sagte, dass ich jetzt aufs Klo gehe und erst um halb neun zurück komme, pünktlich zum Aufbruch. Okay, sagte sie, wenn er es bis halb neun nicht spielt, gehen wir. 

Der Schlager-Gott meinte es gut mit uns. Um 20.35 standen wir wieder in der Sonne, verabschiedet vom zweiten Vorsitzenden, der unseren Abgang sehr bedauerte. Als ich nach Hause kam, saßen meine Freundinnen von gegenüber im Garten und trotzten der Kälte mit Erdbeer-Margaritas, wir bewunderten die perfekte Mondsichel und warteten den Rest des Abends auf den Mai.

20 Kommentare:

  1. Na, wenn das kein wundervolles kleines Stück "heile Welt" ist. Die Beschreibung erinnert mich ein wenig an meine Erlebnisse während meiner Reha vor 15 Jahren ... :)

    AntwortenLöschen
  2. Ich verstehe was nicht: Wieso sagt deine Schwester, die doch auf Marianne Rosenberg tanzen will und sozusagen die Einladerin ist, dass ihr, also sie und ihr Mann und du, jetzt plötzlich geht, wenn der Song nicht bis 20.30 gespielt wird? Sie schien doch da voll in ihrem Element zu sein... Ach naja, vielleicht war ich heute einfach zu lange in meinem Schrebergarten, ganz ohne Vereinsmeierei und deutschen Schlager, dafür mit einem Rudel Kindern und anderen Geburtstagsgästen. Uns wurde stattdessen die Internationale auf Slowenisch zu Gehör gebracht, oder Slowakisch, was weiß denn ich. (Aber das Vereinsheim ist tatsächlich nur 50 Meter entfernt.)
    Und: "innert Wochen"? Du hast doch hoffentlich keinen Österreicher gefrühstückt?

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Naja, wir hatten ihr, bevor sie zum DJ rannte, schonend beigebracht, dass keiner von uns länger als bis halb neun bleibt. Sie wollte was reißen bis dahin. Ein letztes Aufbäumen.

      Ich frühstücke keine Österreicher, schon aus Prinzip nicht, aber ich drücke mich gerne manieriert aus.

      Dir alles Gute, ewige Jugend und Schönheit zum Geburtstag!

      Löschen
  3. Danke, aber ich bin jetzt offiziell alt. Sagt mein Sohn.

    AntwortenLöschen
  4. Hört sich auch ein bisschen wie eine Zeitreise in die 80`er an

    AntwortenLöschen
  5. Du meintest nicht doch Bob Ross, den Maler mit den künstlichen Kräusellocken?
    "Here we are ..."
    https://www.youtube.com/watch?v=baa1h0U6M_8

    AntwortenLöschen
  6. ha, ha! Das erinnert mich an den glorreichen Tag, als mich (damals Student) ein großväterlicher Freund und Gönner einlud, ich pflichtschuldigst erschien und mich auf der Feier zur 50jährigen Mitgliedschaft im Deutschen Teckelclub wiederfand.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Das sind hinterher die schönsten Erinnerungen!

      Löschen
  7. ich hatte auch schon derartige erlebnisse. allerdings hat mich der jahrelange umgang mit gewissen personen tatsächlich dazu gebracht einige "schlager" zu tolerieren. Frau Fischer allerdings immer noch nicht....und ein Feuerwehrfest hier auf dem Lande ist fast nicht zu toppen...inkl. eines wirklich tänzerisch sehr begabten Greises der flott seine Runden drehte und so manchem sehr viel jüngeren Mann die Show stahl...schon deshalb weil er wirklich jede halbwegs ansehnliche Frau auf die Tanzfläche bat. Und normalerweise tanzen hier die Männer nicht mit "fremden" Frauen, nur mit der eigenen. Ob er eine hatte glaube ich deswegen nicht, aber im Alter darf man alles..glitzer, freche antworten und rülpsen am tisch...herrlich...eigentlich ein grund sich zu freuen...

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ich war ja im letzten Sommer in so einer Tanzbude (Publikum 20-80). Da hat ein Greis von 80 eine junge Frau von 25 den ganzen Abend übers Parkett gescheucht, war eine ziemliche Freude, das zu sehen. Die zwei waren die tanzwütigsten Menschen, die ich je gesehen habe.

      Dennoch freue ich mich nicht auf die Zeit, in der ich rülpsen darf und nur noch Lurex trage...

      Löschen
  8. Einfach nur herrlich! Sie sind eine scharfe Beobachterin und Ihre Feder ist noch schärfer als Ihre Augen. Ich freue mich auf weitere Einträge, nachdem ich Ihr Blog kürzlich entdeckt und viele viele Seiten nachgelesen habe.

    Herzliche Grüße aus Köln!
    Irene

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Besten Dank für diese freundlichen Zeilen! Aus Köln, mon Amour. Wo meine Lieblingstante wohnt.

      Löschen
  9. oh oh wie wunderbar geschrieben

    AntwortenLöschen