Dienstag, 20. Juni 2017

Gefährliche Frauen

Stand in meinem Horoskop, dass mir am Abend "knisternde Begegnungen"ins Haus stehen. Naja, beim Mütterle im Kaff hatte ich letztmalig knisternde Begegnungen, als... ach Gott, ich erinnere mich nicht mehr.

Ich beschloss am frühen Abend einen Spaziergang zu machen, auf meinen eigenen Spuren, sozusagen. Als ich das Haus verließ, stand schräg gegenüber ein Mann vor seiner Haustür, den ich einer Familie zuordnete, die dort früher gewohnt hatte und die, wie mir meine Mutter erzählt hatte im Laufe der Jahre, nach und nach an die sieben Häuser in unserer Straße aufgekauft hatte. Immer wenn jemand verstarb, war die Sippe der Strübings zur Stelle, um das Haus des oder der Verblichenen zu einen Super-Vorzugspreis zu erwerben. Für ihre eigenen zahllosen Verwandten.

Ich ging grußlos an ihm vorbei, schlenderte den Berg hinauf ins Dorf, machte hier und da ein Foto, von dem verlassenem Kiosk, an dem wir früher Süßigkeiten gekauft hatten oder von dem ebenso leerem Geschäft für Schreibwaren. Ich schwelgte in Erinnerungen, überließ mich ganz meiner Melancholie und dachte gerade so an meine erste Liebe, der ich jetzt gerne zufällig begegnet wäre, schon allein, um mein Horoskop in Erfüllung gehen zu lassen. Nicht dass ich mir da viel Knisterei erwartet hätte, aber es wäre doch eine nette Abwechslung gewesen.

Gerade als ich vor dem Ladengeschäft einer früheren Nachbarin und Freundin meiner Eltern stand, die sich neuerdings als Künstlerin verdingt und ihre selbstgemalten Machwerke in eben jenem Laden ausstellt, und ich gerade so überlegte, welches Bild ich durch die Fensterscheibe fotografieren werde, um es zu verbloggen, hörte ich ein klicken und eine Stimme sagte "Und ich fotografiere jetzt Sie!"

Der Mann aus meiner Straße stand 10 Meter von mir entfernt und sah mich misstrauisch an.

"Weshalb fotografieren Sie mich?"
"Nur zur Sicherheit. Wer hier rumläuft und alles fotografiert, den fotografiere ich auch."
"Wie bitte?"
"Wie ich schon sagte, wer hier durch die Straßen läuft und fotografiert, dem gehe ich lieber mal hinterher."
"Sag mal", wechselte ich zum vertraulichen Du, " bist du nicht einer von den Strübings?"
"Ja. Wer will das wissen?"
"Na, ich bin doch Annika."
"Ach! Lebst du nicht in Berlin?"
"Ja, aber das tut jetzt nichts zur Sache. Sag mal, wie bist du denn drauf, dass du dir an einem Samstagabend ans Bein bindest, einer harmlosen Frau durchs ganze Dorf zu folgen, weil du sie für gefährlich hältst?"
"Hört sich ein bisschen paranoid an, wa?"
"Ein bisschen? Das ist krank. Warum machst du sowas?"

Wir gingen den Weg gemeinsam zurück und er erzählte mir, dass man heutzutage aufpassen muss und man könne nie wissen. Ich hätte ja auch fotografieren können "wo was zu holen ist" und das dann an meine befreundeten Verbrecher melden können.
"Aber hier ist doch gar nichts zu holen, das Kaff ist doch total ausgestorben." Ich ging kopschüttelnd neben ihm her.
"Denkst du! Die Gegend hier nennt man das Goldene Dreieck."
"Wie bitte, hier gibt's ein Goldenes Dreieck?"
"Hier kriegst du alles. Drogen. Waffen. Alles."

Was ist nur aus dem Kaff geworden? Das Mütterle wohnt am Goldenen Dreieck. Das weiss die bestimmt gar nicht.

Und dann zeigte er mir die sieben nebeneinanderliegenden Häuser der Strübings und bei einem stellte er fest, dass das Gartentor nicht verschlossen und eine Jalousie nicht heruntergezogen war, was ihn sehr erboste.

"Am besten ist, du fotografierst das schnell. Zur Sicherheit."
"Ist ja schon gut, Kleines."

Ah, der Paranoide fing an flirten. Jetzt aber schnell die Biege gemacht, denn unter einer 'knisternden Begegnung' stelle ich mir was anderes vor.

6 Kommentare:

  1. Großartig!
    Wie die Welt sich verwandelt.

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  2. Melancholie ist das Vergnügen, traurig zu sein.

    Victor Marie Hugo
    (1802 - 1885)

    .... seufz (ړײ)

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    1. Ja, schauerlich. Dann hatte der auch noch einen Blumenkohl Ohr.

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  4. Schätze, das war gar kein Strübing, das war ein Mitglied der gewitzten Silberkettchen-Bande, die das Geschäft vermiesenden ex-Nachbarn wie Annika eine Räuberpistole aufbindet, damit sie ohne ein Foto geschossen zu haben schön friedlich nach Hause latschen und darauf warten, überfallen und ausgeraubt zu werden. (Silberkettchen.)

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    1. Herr Glumm hat die Sachlage trefflich erkannt ;)

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