Samstag, 1. Juli 2017

Die Frau im Gully

Jeder hat bestimmt das Video gesehen von der Frau, die in den Gully fiel. Bemerkenswert für mich ist nur, dass ihr niemand geholfen hat. Der Typ, der gefilmt hat, schwenkt seelenruhig weiter nach rechts, dann wieder nach links - man kann von Glück sagen, dass es sich um eine beherzte Person handelte, die sich allein aus ihrer Notlage befreien konnte. Allerdings blieb ihr auch nichts anderes übrig.

Ich stelle mir vor, ich falle bis zum Hals in so ein Loch mit Brackwasser und kein Schwein interessiert's, von der Tatsache abgesehen, dass man mich zum YouTube- und Nachrichtenstar verwertet und ich deshalb um die Weihnachtszeit bei Günter Jauch sitze, Menschen 2017. 

Naja, in meinem Bezirk war außer größeren Pfützen nix passiert, kein Wunder, hier ist ja nie was los, außer damals, als es eine Geiselnahme in der Deutschen Bank gab und bis auf weiteres der Verkehr vollständig zum erliegen kam, aber ich war mit dem Rad unterwegs und somit nicht betroffen von dem Monsterstau, der sich, glaube ich, erst drei Tage später wieder auflöste. 

Ich bin tapfer zum Feldenkrais gefahren, das mache ich seit neuestem, für den Rücken. Ich musste über eine triefnasse Wiese laufen und hab nur vorher überlegt, auf welche Schuhe ich zukünftig verzichten kann, denn dass die das Gematsche nicht überleben würden, war gesetzt.

Memo an mich: Gummistiefel kaufen und im Auto deponieren. 

Trotzdem sind wir heute wie geplant ins Vabali gefahren. Was soll ich sagen? Das Publikum hat sich verändert. Sonst habe ich da immer nur unheimlich schicke Hipster gesehen, jetzt sind neben denen auch ehemalige Fachbereichsleiter Deutsch vor Ort und haben schwerelosen Sex im Pool. 


Rainy Days in Moabit

Ich hielt ein Nickerchen nach dem anderen, auf dem Wasserbett schlief ich anderthalb Stunden tief und traumlos. Vorher und nachher schwamm ich und noch später aß ich die Rice Bowl, die ich jedem wärmstens ans Herz lege. Danach musste ich schon wieder schlafen. Ich gebe ein Heidengeld aus, um in aller Öffentlichkeit zu schlafen. 

Der hübscheste Hipster von allen war derart von sich ergriffen, dass er sich - wie Gott ihn schuf - im Innenpool auf die Brüstung stellte, die Arme hochreckte, als müsste er gähnen oder als würde er sich in der nächsten Sekunde wie ein Silberrücken auf die Brust trommeln, was er dann Gottseidank unterließ. 

Er ließ sich von allen betrachten und erst, als er sich ganz sicher war, dass ein jeder seine kleine Präsentation wahrgenommen hatte, stieg er wieder runter vom Olymp und ich dachte, Scheiße aber auch, der Fluch der zu frühen Geburt. Andererseits, mit so einem albernen Gehabe möchte man ja auch nicht näher zu tun haben. 

Als ich mich zum lesen in einer der herrlich bequemen Sessel verkrümelte und leise vor mich hinlachte über den von mir sehr verehrten Max Goldt (gibt es eigentliche einen Besseren? Wohl kaum), setzten sich zwei junge Frauen neben mich; und da sie so grazil waren, teilten sie sich einen Sessel und fingen an, äußerst leise zu flüstern. und zwar so leise, dass ich mir sicher war, dass die eine unmöglich auch nur ein Wort der anderen verstehen konnte. 

Mir war natürlich klar, was hier los war. Das waren keine Mitte-Mädchen, das waren Undercover Verfassungsschutz-Mädchen, die einen abhörsicheren Ort brauchten, um sich die Depeschen persönlich zu übermitteln. Dieses fast nicht wahrnehmbare Gewispere schien mir so unnatürlich und nervig dazu, dass ich mir einen anderen Sessel suchte. Nachher müssten die mich umbringen, weil sie denken, dass ich was gehört habe. Und dann würde ich Weihnachten nie bei Günter Jauch zum Jahresrückblick eingeladen. 

Sehr viel später, in der Raucherecke, saßen zwei Frauen neben mir, wir kamen ins Gespräch, unter anderem über die Frau im Gully; beide hatten rote Handtücher über die Schultern gelegt. Wie sie mir erzählten, was sie gestern, am Tag der biblischen Wolkenbrüche, so alles erlebt hatten und was ihnen in Wellnesstempeln wie diesem schon alles geklaut wurde, zum Beispiel Adiletten und ein Bademantel, kam eine andere Frau und fragte in die Runde, wer ein rotes Handtuch gesehen habe. Niemand hatte. 

Weinerlich und vorwurfsvoll zugleich maulte sie "Aber ich brauch das jetzt zum Sport!" (mit Betonung auf "brauch"). Wir drei machten uns über sie lustig und in unserer nur sehr kurz währenden Bekanntschaft brachten wir es gleich zu einem running gag. Manchmal entwickeln sich die Dinge schnell. Als sie sich von mir verabschiedeten, meinten sie "Und jetzt rücken Sie das rote Handtuch raus, sie braucht es jetzt. Und die Adiletten auch."

Ich behielt natürlich alles für mich.


4 Kommentare:

  1. Der Fluch der frühen Geburt. ;D Ähnliches dachte ich neulich angesichts eines Handwerkers, der hier im Haus beschäftigt war. So unfassbar attraktiv, dass ich für 2 Sekunden mein Alter vergaß. Und die Tatsache, dass ich nicht in das "Beuteschema" dieser absurd attraktiven Männer falle. Hoffentlich ist diese Reaktion kein Zeichen dafür, dass mir ne Midlife-Crisis ins Haus steht

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    1. Leider nicht auszuschliessen *schluchz*, aber ich hoffe das Beste für dich. ;)

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  2. Versprich mir, dass wir da hin gehen, wenn ich dich besuchen komme! :)

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