Samstag, 22. Juli 2017

In der Seminarhölle oder: Sind Sie einsam?


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Getoppt wird diese Unsitte nur von zweitägigen Seminaren. Ich finde keine Worte für meinen Überdruss, während der Arbeitszeit nicht mehr zu arbeiten, sondern in nicht enden wollenden Meetings darauf achten zu müssen, dass mir die Augen nicht zufallen. Wenn ich doch nur mit offenen Augen in korrekter Haltung schlafen könnte, das würde so vieles erleichtern. Aber nein, mir flattern unkoordiniert die Augenlider und kurz bevor ich meinem Sitznachbarn an die Schulter sinke, rufe ich mich selbst zur Ordnung, was mich Kraft kostet, die ich nicht habe.

Jedenfalls machte ich den Fehler, ein Seminar außerhalb der Stadt zu buchen, zwei Tage mal raus, das stellte ich mir erhohlsam vor. Ich weiß nicht, was mich geritten hat,  brunzdoofe Idee.

Thema: "Manipulation: wie erkenne ich sie, wie wehre ich mich"


Nur Frauen vor Ort. Männer brauchen solche Seminare offenbar nicht. Schade eigentlich. Aber gut. Das ganze Spektrum an Klischees saß im Kreis. Auch schlecht. Ich sitze lieber parlamentarisch, mit einem Tisch vor mir, auf dem ich mich ein bisschen ablegen kann. 

Die Trainerin ein sanftes, ewig breit lächelndes Wesen, hohlwangig, mit tiefen Augenringen. Da konnte sie noch so viel lächeln, ihre Groggyness war nicht zu übersehen. Vielleicht spiegelte sie auch nur zufällig meinen Gemütszustand, obwohl ich weit entfernt von hohlwangig bin. 

Wir hatten einen schönen Raum, wenn Herbst oder Frühling gewesen wäre. Zwei Wände komplett verglast, Süd-West-Seite. Keine Klimaanlage, und natürlich die notorische Kreischerin "Nein, nicht die Tür aufmachen, das zieht." Ja, du Ausgeburt der Hölle, das ist doch der SINN vons Janze. Aber auch dies der ewige Kreislauf, 20 müssen schwitzen, weil es einer zieht. 

Ebenso unausweichlich die Vorstellungsrunde, mit der man locker anderthalb Stunden verbringt, ohne das irgendwas substanzielles passiert. Und natürlich nicht zeitsparend der Reihe nach, sondern mit einem dämlichen Tennisball, den ich an die Frau weiterreichen musste, die sich nach mir vorstellen sollte. 

Kaffepause. Zu diesem Zeitpunkt waren wir schon alle faltenfrei, weil wir literweise Wasser in uns reingekippt hatten und schleppten uns mit geschwollenen Beinen und Schwindelgefühlen zur Kaffeetheke. 

Dann die unvermeidliche Kleingruppenbildung, alle mussten vor die Kamera und sich gegenseitig manipulieren, was aber nicht ging, da vorher Rollenaufgaben verteilt wurden. Also eine ganz bestimmte Meinung bis aufs Blut verteidigen, was dann letztlich eine Runde von unangenehmen Besserwissern und Rechthabern ergab, das talentierte manipulieren hingegen unter den Tisch fiel.

Später Mittagspause, es gab Rindsgulasch und Schweinebraten, ein leichtes Sommeressen. 

Im Anschluss gab ich auf. Der Nachmittag würde mit Filme gucken verplempert werden und ich hatte überhaupt keine Lust, auf einer Leinwand zu sehen, wie beschissen ich aussehe bei 32 Grad. Ich ging auf mein Zimmer, "wegen Kreislauf" und blieb bis 18 Uhr dort. Ich schlief tief und fest ein und dann guckte ich Shopping Queen. Den Rest des Abends mit allen anderen auf der Terasse; der einzig gangbare Weg, ein Seminar bei Gluthitze zu überstehen. 

Der zweite Tag machte mir ein wenig Angst. Meine Sitznachbarin unterhielt sich mit der Frau neben ihr. Die war mir schon aufgefallen, weil sie eine gleichermaßen dröhnende wie schrille Stimme hatte, eine seltene Mischung, zugleich sprach sie sehr langsam und akzentuiert, ein schwerfälliger, ohrenbetäubender Singsang. Jedenfalls infomierte sie über ihr Hobby. "Ich mach Channeling und höre die Stimmen von Verstorbenen." Ja, scheiß die Wand an, das hatte mir gerade noch gefehlt. Wie können Frauen, von denen ich im allgemeinen viel halte, nur so aus dem Ruder laufen? 

Wieder Grüppchenbildung, nun sollte aktives zuhören (o.s.ä.) geübt werden, 40 Minuten lang, Gottseidank draußen auf der Wiese. Ich verschwand mit zwei Frauen in die hinterste Ecke des Gartens. Wir sahen das als Extrapause für die Trainerin und für uns. Wir unterhielten uns über alles mögliche und dachten gar nicht daran, aktiv zuzuhören. Als die Trainerin bei uns vorbeikam, taten wir kurz so als ob und später, als wir über "unsere Erfahrungen" berichten sollten, war die eine von uns dreien so geistesgegenwärtig, dass sie überzeugend davon faselte, dass diese Technik "Ruhe reinbringt" ins Gespräch und dass man "Zeit gewinnt" und dass das alles "sehr positiv" war. Klasse Frau!

Schon war Mittagspause und ein paar ganz Schlaue meinten, sie müssten leider nach dem Essen schon zurück nach Berlin, unaufschiebbare Termine. Da ich den gestrigen Tag schon süßes Leben hatte, ging das für mich natürlich nicht. Die Teilnahmebescheinigung musste ich mir noch erarbeiten. Mir blieb nichts erspart.

Wir mussten uns alle hinstellen, die Trainerin hatte einen Tennisball in der Hand, gab ihn der nächsten Frau und sagte: 

Dies ist eine Fuchspelzmütze. 
Reihum, bis der Ball wieder bei ihr ankam. Nächster Satz:
Dies ist eine Fuchspelzmütze vom Mützenmachermeister.
Und immer so weiter.
Dies ist eine Fuchspelzmütze vom Mützenmachermeister Franz Müller Lüdendorf.
Ab hier durfte sich jede setzen, die sich versprochen hatte.
Dies ist eine Fuchspelzmütze vom Mützenmachermeister Franz Müller Lüdendorf mit Extra Fuchsschwanz.
Ich wollte mich entleiben.
Dies ist eine Fuchspelzmütze vom Mützenmachermeister Franz Müller Lüdendorf mit Extra Fuchsschwanz am Fuchsfellmützenrand. 
What the fuck hat das mit Manipulation zu tun? 

Aber es wurde noch besser. Ein Kartenspiel. Zwei Tische wurden rangeschleppt. Auf dem wurden ca. 20 Karten ausgelegt, auf denen Alltagsgegenstände abgebildet waren. Aus jeweils zwei Karten sollten intuitiv und so schnell wie möglich Wortpaare gebildet werden.  Die zwei Karten wurden von neuen Karten ersetzt, ....ach, allein das beschreiben dieses Blödsinns lässt mir schon wieder den Kamm schwellen. 

Wir waren so ermattet, dass wir zum Schluss der Trainerin das "Blitzlicht" verweigerten, ein letzter Akt des Widerstands. Keine von uns war willens, ihr zu bescheinigen, wie hilfreich oder sonstwas das Seminar war. 

Zuhause angekommen legte ich mich auf's Sofa, eine Stunde blieb mir noch, bis zum Grillen nebenan. Dachte ich. Aber einige Freunde kamen früher und schauten vorher bei mir vorbei. Schlechter Zeitpunkt, obwohl ich für gewöhnlich mag, wenn bei mir vorbeigeschaut wird. Aber die waren ja schon frischgeduscht und hübsch verpackt, während ich hingegen in desolater innerer wie äußerer Verfassung war, mit dem dringenden Wunsch, allein zu sein. Die gingen dann pünktlich rüber, während ich gezwungen war, mich eilig zu restaurieren.

Aber dann wurde doch noch alles schön.


14 Kommentare:

  1. In Zukunft bestehe ich bei jedem Post auf diesen letzten Satz.

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  2. Tennisbälle, Rollenspiele mit Kamera und schlechtes Essen. Manche Dinge ändern sich wirklich nie.

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  3. Mein tiefstes Beileid!

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  4. Ich frage mich bei solchen Erlebnissen immer, warum ich nicht da vorne stehe und eine solche Show abziehe und damit Geld verdiene.

    Da ich eher autodidaktisch veranlagt bin, zieht es mich bisher eher selten auf solche Seminare und daher bleiben wir solche Begnungen erspart.

    Viel Glück, bei der nächsten Auswahl.

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    1. Da vorne stehen stelle ich mir noch schlimmer vor. Die ganze Zeit konzentriert sein und mit den Seminar-Chrashern zurande kommen. Och nö.

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  5. Spätestens beim "Tennisball-Test" müsste mal Jemand die 112 rufen!

    Ich sehe meistens parallel zum Geschehen inneren Auges die Comic-Version, und als Seminarleiterin würde ich nach 10 minütigem, kollektiven Kopf-gegen-Wand-Training, ein Satireprogramm zum Überleben des Arbeitsalltages erarbeiten lassen.
    Aka Dr. Hesse:
    "Die Welt ist außerhalb der Irrenhäuser nicht
    minder drollig als drinnen..."

    Herzlich gelacht!

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    1. Ich seh zwar keine Comicversion, aber zum verbloggen eignet sich derlei gut. ;)

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  6. Ich sehe das alles so deutlich vor mir - und ich bin nicht einmal eine Frau. Die Frage ist aber wirklich, warum es Frauen in solche Seminare zieht. Liegt es am Titel, der "Frauensolidarität" verspricht, Nestwärme, geteiltes Leid - was ist es? Für sie ist es schließlich genau so sehr eine Beleidigung ihrer Intelligenz wie für Männer. Vielleicht sind Männer sich einfach nur klarer darüber, dass sich auf diese Weise nicht wirklich "soziale Bindungen" herstellen lassen. Sondern nur durch Fußball und Saufen.

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    1. Oh doch, da lassen sich sogar sehr gut soziale Bindungen herstellen. Geteiltes Leid ist halbes Leid. Und das Thema ist im Prinzip interessant. Hätte man was draus machen können. Ich weiß nur nicht, weshalb sie diesen Quatsch mit uns gemacht hat.

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  7. Hey, ich mache auch Channeling! Nur nenne ich das "meine Johnny Cash- und Motörhead-Playlist". :D

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