Donnerstag, 8. März 2018

Andere Frauen, andere Leben

Zeitlebens bin ich fasziniert von Menschen, die Dinge machen, die mir völlig fremd sind. 

Ich las in der Zeitung von einer Frau, Juristin, die mit 36 Jahren beschloss, Nonne zu werden. Hierzu fand sie sich an der Tür zum Kloster in Altomünster ein und als ihr eine Nonne die Tür öffnete und sie freundlich anlächelte, nahm sie das als gutes Zeichen und zog gleich ein.

Leider ist besagtes Kloster wohl schon damals, 2015, in eher renovierungsbedürftigem Zustand, außerdem fehlte es an Nachwuchs - also wurde der Laden im Januar 2017 aufgelöst und die letzten paar Nonnen zogen aus, wohin auch immer.

Aber diese Frau blieb, denn sie war der Meinung, Gott wolle das so. Die Erzdiözese München findet das nicht so toll und meint, sie sei eine gewöhnliche Hausbesetzerin und keineswegs eine Postulantin (also eine Anwärterin auf ein zweijähriges Noviziat, an deren Ende man Nonne wird). 

Naja, seitdem lebt sie also ganz allein in dem Kloster, das Wasser wurde ihr abgestellt und in die Chorkapelle, in der sie sieben Mal am Tag beten möchte, kommt sie nur rein, wenn sie durch einen schmalen Gang unter dem Dachstuhl kriecht - denn die Tür haben sie ihr auch verschlossen. 

Sie hat eine Räumungsklage erhalten, gegen die sie vor Gericht aufbrausend aber gut vorbereitet ankämpft. Nun muss der Vatikan entscheiden und prüft und prüft. Das Brautkleid, mit dem sie am Tag ihrer Verlobung mit Jesus Christus reüssieren will, hat sie schon gekauft und hält es fröhlich in die Kamera. Sie sieht erwartungsgemäß wie aus der Zeit gefallen aus, vom Kleid gar nicht zu reden.

Nun frage ich mich: was muss in einer inzwischen 39 jährigen Frau vorgehen, die mutterseelenallein in einem vor sich hin bröselndem Kloster lebt und dabei - trotz allem - sehr glücklich ist? Was ist schief gegangen in so einem Leben? Und hat man nicht nachts Angst, so ganz allein im Gemäuer?

Als wir mal ein Chorwochende im Winterrefektorium des Doms zu Brandenburg verbrachten und ich im schlecht beleuchtetetn, düsteren Kreuzgang das Klo suchte, wurde mir schon äußerst mulmig.

Und weshalb zieht sie nicht in ein anderes Kloster, da könnte sie sich ja auch zur Nonne ausbilden lassen? Und was denken die anderen Nonnen von ihr, die brav ausgezogen sind? Womöglich freuen sie sich, dass sie die Querulantin los sind? Oder sitzen die jetzt in einer anderen kargen Kammer und bewundern die Ausdauer des jungen Talents? Aber wer um Himmels Willen kriecht freiwillig mehrmals täglich und womöglich auch in der Nacht durch Dachfirste, um in der Kapelle beten zu können, wo sich doch praktisch überall beten lässt, wenn man denn beten möchte?

Ich finde das alles wirklich faszinierend und frage mich, was muss passiert sein in so einem Leben, um da zu sein, wo sie ist? Warum will man da hin und weshalb will man bleiben? Was wird kompensiert, verdrängt und was ist nie geheilt?


Aus der SZ vom 5.3.18 "Mit Gottes Hilfe gegen den Vatikan"

14 Kommentare:

  1. Für Sie wird es einen Sinn machen, aus welchem Grund auch immer. Persönlich finde ich, man könnte die Zeit sinnvoller verbringen, wenn man etwas bewegen wolle, in der Zeit auf dem Klumpen Erde, der mit hoher Geschwindigkeit durch All fliegt.

    Aber ... jeder so wie er will.

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  2. Ich glaube gar nicht mal, dass da viel schief gelaufen ist. Nicht mehr als in einem anderen Leben auch.
    Sie hat einen Sinn in ihrem Leben gefunden, das ist viel wert.
    Wenn sie diesen Sinn nicht als Nonne, sondern als Konzernchefin gefunden hätte, würde man sie zielstrebig und duchsetzungsstark nennen. Es kommt halt auf die Perspektive an.

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  3. "...die mutterseelenallein in einem vor sich hin bröselndem Kloster lebt und dabei - trotz allem - sehr glücklich ist? Was ist schief gegangen in so einem Leben?"
    Tja, was musste schiefgehen, dass sie sehr glücklich werden konnte? Und warum vermuten wir wir hinter diesem Glück außerhalb der bürgerlichen Norm insgeheim unglückliche Umstände?
    Ich kannte mal ein junges Pärchen, das ganz ohne jede Art von Geld und Besitz lebte. Darüber wollte ich einen Film für den WDR machen. Nach langen Vorrecherchen sagte man mir, das gehe nicht, die beiden seien offensichtlich krank.

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  4. Meine Liebe,
    deine Frage ist leicht zu beantworten.

    Mit Tippse wär das nicht passiert.
    Aber eine gelernte Juristin ...
    Da ist das "schief gehen" bereits dem Studium immanent.
    Sozusagen Bestimmung.
    Sieh sie dir doch an, Goethe, Heinrich Heine und Bud Spencer.
    Alles ist in bester Ordnung. Und was ist schon so eine läppische Kirchenbesetzung gegen "vier Fäuste für ein Halleluja!"

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  5. @ All:
    In der Tat mag sie glücklich sein. Ich finde nur so faszinierend, WESHALB sie glücklich ist. Es wären keine Umstände, die mich glücklich machten. Weder bete ich irgendeine Gottheit an, noch würde ich dafür allein in ein riesiges Gemäuer ziehen, in dem ich mich kriechend in meine Lieblingsräume begeben müsste.

    Stellt euch mal vor, eure Schwester würde sich für diesen Weg entscheiden. Würdet ihr nicht auch denken, dass sie es mit ihrem Glauben jetzt ein klein wenig übertreibt?

    Mir ist jegliche Form von Fanatismus verdächtig, auch wenn er sich nur unter Zuhilfenahme einer anerkannten Religion völlig auf sich selbst bezieht, sich im stillen Kämmerlein vollzieht und niemandem sonst schadet. Verdächtig insofern, dass ich vermute, dass ein Mensch sich flüchtet in so eine innere und äußere Situation, wovor auch immer. Und dass er das nicht täte, wenn es ihm in seinem Leben zusammen mit anderen Menschen gut gegangen wäre.

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  6. Moin Annika

    »und frage mich, was muss passiert sein in so einem Leben, um da zu sein, wo sie ist? Warum will man da hin und weshalb will man bleiben? Was wird kompensiert, verdrängt und was ist nie geheilt?«

    Gar nichts ist da schief gegangen, wenn Du mich fragst. Ganz im Gegenteil: Da hat jemand was begriffen. Schief gegangen – das ist, wenn Top-Manager sich zwei Wochen in einem tibetischen Kloster verstecken, um danach leistungsfähiger für den Kapitalismus zu sein. Schiefer geht nicht.

    »…die mutterseelenallein in einem vor sich hin bröselndem Kloster lebt…« Tja, offenbar erklären schnelles Internet, Farbfernseher und automatisches Garagentor nicht alles, was wir unter menschenwürdigem Leben verstehen wollen.
    Daß Menschen sich entschließen, auf einem Segelboot zu leben, kommt recht häufig vor. Schritt eins für eine solche Entscheidung besteht darin, sich zu entscheiden, was man alles »an Land« läßt, was man nicht braucht. Beim Rasenmäher ist die Entscheidung noch einfach – aber dann geht es doch schnell ans Eingemachte. Die Qualität einer solchen Wahl definiert sich eben nicht über »Ich habe auch Mikrowelle und Tiefkühltruhe«.

    »Aber wer um Himmels Willen kriecht freiwillig mehrmals täglich und womöglich auch in der Nacht durch Dachfirste, um in der Kapelle beten zu können…«
    Eine nahe Verwandte von mir war Nonne. Ich habe sie zu ihren Lebzeiten gelegentlich in ihrem Kloster besucht. Kriechgänge zum Gebet gab’s zwar nicht, aber ich kann mich noch gut an mein Entsetzen erinnern, als ich mir die Lebensbedingungen von Schwester Karina ansehen mußte. Sie waren in der Gesamtheit der alten Dame unwürdig und gehören eigentlich vor den Kadi. Und trotzdem habe ich nie einen zufriedeneren Menschen kennengelernt. Jahrzehnte später glaube ich zu ahnen warum. Ein Thema für einen langen Abend bei einer guten Flasche Wein, aber es gibt ja auch glückliche Offiziere in einer Armee.

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    1. Hm. Wie immer sind deine Kommentare viel zu schade für ein Kommentariat ;) Du denkst immer so schön und jedes Mal denke dann ich: was ist dem noch hinzuzufügen? Leider gar nichts, und das tut mir leid, weil ich dir so gerne auch etwas kluges antworten möchte.

      Okay, was dich und die anderen Kommentatoren von mir unterscheidet, ist, dass ihr der Frau glaubt, glücklich zu sein.

      Mir geht es nicht so sehr um den Verzicht auf Geld und eine Mikrowelle. Mir geht es um den Aspekt der Einsamkeit, der völligen Zurückgezogenheit und des in sich selbst versenkens, ohne Ablenkung, ohne ein liebes Wort, eine Umarmung, ohne die Freude, mit anderen Menschen zu sein. Die Flucht davor lässt mich meinen, dass alles andere davor nicht so glücklich war und dass es eben eine Kompensation ist.

      Aber in der Tat ist es für die Frau irrelevant, was ich von ihrem Weg halte, bzw. was mich dazu treiben müsste, diesen einzuschlagen.

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  7. Moin, liebe Annika

    Nun lob doch nicht so heftig! Das ist ja peinsam und schreckt Deine anderen Leser ab. Mir nicht, versichert!
    Ich habe noch etwas nachgedacht über das Thema. Sicher besteht der Unterschied auch darin, wie stark Menschen in ihrem sozialen Umfeld verankert sind und in wie weit sie ihr Leben als Produkt von Gemeinschaft erfahren. Streitbegriff »Kontemplation«: Die praktisch orientierte Lebensweise gegenüber dem reinen Betrachten. Dabei liegen sie oft gar nicht so weit auseinander. Vita activa und vita contemplativa. Nach Hannah Arendt sind die Grundanliegen dem einen nicht überlegen verse vica. Letztlich geht es in beiden Fällen um Erkenntnis und nach danach strebt ein jeder.
    Du auch!

    »…um den Aspekt der Einsamkeit, der völligen Zurückgezogenheit und des in sich selbst Versenkens, ohne Ablenkung, ohne ein liebes Wort, eine Umarmung, ohne die Freude, mit anderen Menschen zu sein.«

    Man muß die Begriffe nur oft genug wiederholt lesen, damit sich ihre Subjektivität erschließt. Wenn man in irgend einem dieser Begriffe einen Wert entdeckt, so ist es ein persönlicher Wert, aber kein universaler. Nun ist das mit universalen Werten eben so eine Sache – so hochtrabend muß man gar nicht argumentieren. Letztlich läuft es auf eine Frage des Respekts vor einer Lebensleistung hinaus. Wie die zustande kommt, ist aufgrund genau dieser Unbestimmbarkeit nebensächlich. Einzig einschränkende Argumentation wäre, sie würde unter Verletzung grundlegender humanistischer Gesetze zustande kommen – was in diesem Falle ganz klar nicht der Fall ist.

    Im Grunde krankt Dein nicht Verstehen der Kloster-Besetzerin daran, daß Du eine künstliche Trennung zwischen einem »funktionierenden Kloster« (mit vielen Nonnen) und einer einsamen Kloster-Besetzerin konstruierst. Der Unterschied existiert überhaupt nicht; nur eine konsequente Fortsetzung mit anderen Mitteln. Entscheidend war doch, überhaupt ins Kloster zu gehen, ganz unabhängig von der Bausubstanz des Gemäuers. Deus lo vult. Wer das verinnerlicht hat, läßt sich nicht durch eine Räumungsklage abschrecken. Vergl. dazu → Kinderkreuzzüge.

    »…- trotz allem - sehr glücklich ist? Was ist schief gegangen in so einem Leben?«

    Eben gar nichts. Was wollen wir denn mehr als Glück? Eine Gebrauchsanweisung dafür, ja… aber die ist eben nicht universal erhältlich.

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  8. Mein Lieber, du hast mich auch schon mal gelobt und nicht zu knapp ;)

    "Man muß die Begriffe nur oft genug wiederholt lesen, damit sich ihre Subjektivität erschließt."
    Ich finde, so oft muss man sie nicht lesen, um Subjektivität zu erkennen. So gut wie alles, was hier schreibe, ist subjektiv.

    "Im Grunde krankt Dein nicht Verstehen der Kloster-Besetzerin daran, daß Du eine künstliche Trennung zwischen einem »funktionierenden Kloster« (mit vielen Nonnen) und einer einsamen Kloster-Besetzerin konstruierst."
    Stimmt genau. Hast du schön geschrieben und ich musste lachen.

    "Der Unterschied existiert überhaupt nicht; nur eine konsequente Fortsetzung mit anderen Mitteln"
    Ein Unterschied besteht aber doch, meiner Meinung nach. Stell dir vor, deine Tochter ginge ins Kloster. Und nach einem Jahr bliebe sie ganz allein dort zurück, freiwillig und mit Freuden. Es wäre Winter, lausig kalt und du wüsstest, sie hätte nicht mal fließend Wasser, um ein Bad zu nehmen oder einen Tee zu kochen. Hättest du nicht einen klitzkleinen Moment das Gefühl, sie würde sich eventuell in etwas verrannt haben?


    P.S: Und wie schaffst du es eigentlich, in den Kommentaren Zeilen auf kursiv zu setzen?

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    1. »Stell dir vor, deine Tochter… würde ein einziges Mal eine Bibel in die Hand nehmen und ihren Mjölnir-Anhänger nicht am Hals tragen. Ja, dann würde ich auch nervös werden.

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  9. Hach, meine Liebe,

    gib zu, es sind doch bloß die ganzen Spinnen in den alten Gemäuern, die dich innerlich schaudern lassen.

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  10. Vielleicht weil Kapellenganggekrieche und Wassermangel so viel besser, sicherer und lebenswerter sind, als die scheißige Welt da draußen?

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