Als ich 15 Jahre alt war, schrieb ich diesen Aufsatz. Ist also schon sehr, sehr lange her. Ich habe keine Ahnung, woher all diese dystopischen Phantasien kamen. Naja, naturwissenschaftlich war ich minderbegabt, wie leicht zu erkennen ist und ich habe auch (schweren Herzens) alle ungelenken Formulierungen belassen.
Unser Deutschlehrer gab uns als Aufsatzthema nur diesen einen Satz:
„Der letzte Mensch der Erde sitzt in einem Zimmer. Plötzlich klopft es an der Tür.“
Verstört sah er auf, viele Gedanken schossen ihm durch seinen Kopf. Sein ganzer Lebenslauf lief wie ein Film vor seinen Augen ab.
Vor 26 Jahren, im Jahre 1981, wurde er geboren. Er wuchs in geordneten Verhältnissen auf, litt keinen Mangel an materiellen Dingen – aber wer tat das schon zu dieser Zeit? Man hatte alles im Überfluss, alles war vollautomatisiert, die Menschheit litt unter etwas ganz anderem: die immer mehr verschwindende Natur, die immer größer werdende Fremdheit untereinander und vor allem unter Langeweile. Man war unzufrieden. Gewiss, es fehlte einem an nichts, aber aus diesem Grund hatte man auch nichts, wofür man lebte.
Gut, zu Anfang gab es noch etwas: Liebe. Ein Gefühl, über das eine Menge geredet wurde. Aber je mehr darüber geredet wurde, desto weniger schien es ihm, desto weniger rechnete er damit, jemals so für einen Menschen empfinden zu können.
Er ging zur Schule, fing mit seinem Studium an: da alle Arbeiten automatisch ausgeführt wurden und nur noch selten die menschliche Hand gebraucht wurde, studierte man. Jeder Mensch hatte sich am Ende seiner Schulzeit auszusuchen, was er studieren will. Wenn er dieses Thema beendet hatte, musste er sich einen neuen Bereich aussuchen, der ihn interessierte.
So verhinderte man, dass die Menschen arbeitslos auf den Straßen herumlaufen – man beschäftige sie mit einem Studium, das ganze Leben lang. Nun, so ein Leben ist nicht allzu lang: durch die andauernde Unzufriedenheit sank die Sterblichkeitsquote rapide ab: das durchschnittliche Sterbealter war mit 40 Jahren erreicht.
Er war mitten in dem Studium im Bereich der Botanik (er interessierte sich schon immer für die Pflanzen, die einmal auf der Erde existiert hatten), als er von der Hiobsbotschaft erfuhr: Die Erde war langsam am Vergiften, da sie völlig ausgebeutet worden war. Denn weil die Menschen alles zum Überleben benötigten, war sie nur noch eine Hülle, die langsam verfaulte. Es war damit zu rechnen, dass man nicht mehr lange auf der Erde leben kann. Sie war langsam am Zusammenstürzen.
Er nahm die Nachricht gelassen auf. Ihm lag denkbar wenig am Leben. Er hatte noch nie einen großen Sinn in seinem Dasein gesehen. Er beobachtete mit einer beängstigenden Gleichgültigkeit, wie die Erde um ihn herum in sich einfiel. Dieser Prozess spielte sich natürlich nicht innerhalb von ein paar Wochen ab. Er zog sich über zwei, drei Jahre hinweg. Darauf achtete er nicht so genau.
Es gab viele Todesfälle in dieser Zeit, ganze Städte stürzten zusammen. Die Zerstörung der Erde ging langsam, aber stetig voran.
Bis er eines Tages mit gemäßigtem Erstaunen beobachte, wie auch seine Umgebung immer mehr zusammenbrach. Es war ein einziges Chaos, aber alle Menschen nahmen dies ruhig und ohne Angst vor dem bevorstehenden Tod hin. Keiner bemühte sich, sich vor den zusammenstürzenden Häusern zu schützen – in dem jahrelangen Vegetieren, wo man zwar keinen Hunger leiden brauchte und auch sonst alles hatte, was man zu Leben braucht, hatte man den Willen zum Leben verloren. Man sah keinen Sinn, in dem was man tat, aber man nahm es auch hin, ohne zu fragen oder zu murren.
Dann wurde es wieder stiller und er war allein, langsam ging er in den Trümmern umher und ihm überkam eine große, stumpfsinnige Traurigkeit: warum musste gerade er überleben? Er ging in irgendein Haus, dass noch erhalten war und fand das Zimmer, in dem er nun saß. Er hielt immer noch das Messer in der Hand, mit dem er sich vorhin seine Pulsadern aufgeschnitten hatte, um seinem Leben endgültig ein Ende zu setzen.
Plötzlich klopft es an der Tür.