Mittwoch, 22. Mai 2024

Der letzte Mensch der Erde

Als ich 15 Jahre alt war, schrieb ich diesen Aufsatz. Ist also schon sehr, sehr lange her. Ich habe keine Ahnung, woher all diese dystopischen Phantasien kamen. Naja, naturwissenschaftlich war ich minderbegabt, wie leicht zu erkennen ist und ich habe auch (schweren Herzens) alle ungelenken Formulierungen belassen. 

Unser Deutschlehrer gab uns als Aufsatzthema nur diesen einen Satz:

„Der letzte Mensch der Erde sitzt in einem Zimmer. Plötzlich klopft es an der Tür.“

Verstört sah er auf, viele Gedanken schossen ihm durch seinen Kopf. Sein ganzer Lebenslauf lief wie ein Film vor seinen Augen ab.

Vor 26 Jahren, im Jahre 1981, wurde er geboren. Er wuchs in geordneten Verhältnissen auf, litt keinen Mangel an materiellen Dingen – aber wer tat das schon zu dieser Zeit? Man hatte alles im Überfluss, alles war vollautomatisiert, die Menschheit litt unter etwas ganz anderem: die immer mehr verschwindende Natur, die immer größer werdende Fremdheit untereinander und vor allem unter Langeweile. Man war unzufrieden. Gewiss, es fehlte einem an nichts, aber aus diesem Grund hatte man auch nichts, wofür man lebte. 

Gut, zu Anfang gab es noch etwas: Liebe. Ein Gefühl, über das eine Menge geredet wurde. Aber je mehr darüber geredet wurde, desto weniger schien es ihm, desto weniger rechnete er damit, jemals so für einen Menschen empfinden zu können.

Er ging zur Schule, fing mit seinem Studium an: da alle Arbeiten automatisch ausgeführt wurden und nur noch selten die menschliche Hand gebraucht wurde, studierte man. Jeder Mensch hatte sich am Ende seiner Schulzeit auszusuchen, was er studieren will. Wenn er dieses Thema beendet hatte, musste er sich einen neuen Bereich aussuchen, der ihn interessierte.

So verhinderte man, dass die Menschen arbeitslos auf den Straßen herumlaufen – man beschäftige sie mit einem Studium, das ganze Leben lang. Nun, so ein Leben ist nicht allzu lang: durch die andauernde Unzufriedenheit sank die Sterblichkeitsquote rapide ab: das durchschnittliche Sterbealter war mit 40 Jahren erreicht. 

Er war mitten in dem Studium im Bereich der Botanik (er interessierte sich schon immer für die Pflanzen, die einmal auf der Erde existiert hatten), als er von der Hiobsbotschaft erfuhr: Die Erde war langsam am Vergiften, da sie völlig ausgebeutet worden war. Denn weil die Menschen alles zum Überleben benötigten, war sie nur noch eine Hülle, die langsam verfaulte. Es war damit zu rechnen, dass man nicht mehr lange auf der Erde leben kann. Sie war langsam am Zusammenstürzen.

Er nahm die Nachricht gelassen auf. Ihm lag denkbar wenig am Leben. Er hatte noch nie einen großen Sinn in seinem Dasein gesehen. Er beobachtete mit einer beängstigenden Gleichgültigkeit, wie die Erde um ihn herum in sich einfiel. Dieser Prozess spielte sich natürlich nicht innerhalb von ein paar Wochen ab. Er zog sich über zwei, drei Jahre hinweg. Darauf achtete er nicht so genau.

Es gab viele Todesfälle in dieser Zeit, ganze Städte stürzten zusammen. Die Zerstörung der Erde ging langsam, aber stetig voran.

Bis er eines Tages mit gemäßigtem Erstaunen beobachte, wie auch seine Umgebung immer mehr zusammenbrach. Es war ein einziges Chaos, aber alle Menschen nahmen dies ruhig und ohne Angst vor dem bevorstehenden Tod hin. Keiner bemühte sich, sich vor den zusammenstürzenden Häusern zu schützen – in dem jahrelangen Vegetieren, wo man zwar keinen Hunger leiden brauchte und auch sonst alles hatte, was man zu Leben braucht, hatte man den Willen zum Leben verloren. Man sah keinen Sinn, in dem was man tat, aber man nahm es auch hin, ohne zu fragen oder zu murren. 

Dann wurde es wieder stiller und er war allein, langsam ging er in den Trümmern umher und ihm überkam eine große, stumpfsinnige Traurigkeit: warum musste gerade er überleben? Er ging in irgendein Haus, dass noch erhalten war und fand das Zimmer, in dem er nun saß. Er hielt immer noch das Messer in der Hand, mit dem er sich vorhin seine Pulsadern aufgeschnitten hatte, um seinem Leben endgültig ein Ende zu setzen.

Plötzlich klopft es an der Tür.

Mittwoch, 1. Mai 2024

Harvard und MIT

Ich hatte als Ausflugsziel den Harvard Campus auf dem Zettel. Ich wollte mir sogar einen Harvard Sweater kaufen. Ich wollte unbedingt über den Campus schlendern, ich kann nicht mal richtig erklären, weshalb eigentlich; wahrscheinlich wegen all der Bücher und Filme, die ich gelesen und gesehen habe und die an diesem magischen Ort gespielt haben. Die kleine Landpommeranze ist einfach nicht aus mir herauszubekommen.

Als wir ankamen, waren alle Eingänge geschlossen, weil der Campus besetzt war von Studierenden, die für Palästina protestierten. Ich war untröstlich und fotografierte durch die Zäune. 

Erst jetzt, ein paar Tage später, ist mir klar geworden, dass ich immerhin zu einem historischen Zeitpunkt vor den Zäunen von Harvard stand, da offensichtlich auf der ganzen Welt junge Menschen für Palästina ihren Campus besetzen und dies mittlerweile schwer bewaffnete Sondereinheiten auf den Plan ruft. Eine weitere Zeitenwende. 

Meine Haltung dazu: man soll immer gegen Kriege und Gewalt demonstrieren können, müssen, dürfen. Durch dieses Schlupfloch jedoch Antisemitismus zu etablieren, verwechselt etwas, hat nichts verstanden und soll sich gehackt legen. Gerade wir Deutschen müssen das kapieren, denn by the way: ohne uns gäbe es dieses „Palästina Problem“ gar nicht. 




Anyway, wir sind also direkt weiter zum MIT gefahren und dort über den Campus gelaufen, der eine ganz andere Sache ist als Harvard. Kühle und puristische Architektur, die darauf aus ist, Eindruck zu schinden. Ich konnte mir hier Sheldon Cooper überhaupt gar nicht vorstellen. Man sah auch keine Menschenseele. Der Wind pfiff über den Platz und zum Ausgleich kaufte ich mir im MIT Museumsshop ein Mitbringsel. 




Und wo wir unter anderem natürlich auch waren:


Sidekick: ich werde niemals wieder über die Berliner U-Bahn meckern. Das sind die reinsten Prachtbauten. In Boston hingegen: düstere Orte der Verdammnis. 





Mit Amish People nach Boston

Als wir in den Bus steigen und in den Reihen vor uns eine Amish Familie saß, die schon in der Warteschlange vor dem einsteigen hinter uns stand, war ich sehr beeindruckt, Menschen einer Religionsgemeinschaft zu sehen, die direkt dem Mittelalter entsprungen schienen. Und von denen ich natürlich ein klares Bild aus dem Film „Der einzige Zeuge“ hatte. 

In dem Film waren das alle durch die Bank hochattraktive Menschen, in der Realität war es für mich erschütternd zu sehen, dass sich die alte Frau vor mir, als sie sich umdrehte, als höchstens 18-jähriges Mädchen entpuppte. Der dazugehörige Sohn war dann natürlich nicht ihr Sohn, sondern offenkundig ihr Mann. Alle Männer hatten einen Topfschnitt: Die Haare waren knapp unter den Ohren gerade abgeschnitten und als ob das nicht schon gereicht hätte, hatte man jedem Mann auch noch einen ganz kurzen Pony verpasst. 

Der verheiratete Mann hatte ausufernde Koteletten und einen schrecklichen Fusselbart. Ab und an flüsterte er seiner Frau sehr leise etwas zu, diese reagierte überhaupt gar nicht. Wahrscheinlich zwangsverheiratet und daher passiv aggressiv. 

(Um ehrlich zu sein, erscheinen wie meine Witzchen an dieser Stelle vollkommen unangebracht, ich bin nämlich nicht überheblich gestimmt, sondern ehrlich beeindruckt von dieser vollkommen anderen Welt, die mir da gerade vor die Füße gefallen ist)

Direkt vor mir saßen zwei Teenager Jungen, die die gesamte zweistündige Fahrt kein einziges Wort miteinander sprachen, aber jedes Mal sehr interessiert die Hälse reckten, wenn wir an einer Auto Firma vorbei fuhren. 

Als wir in Boston ankamen, ging die gesamte Familie, ein Großeltern Paar war auch noch dabei, eine Weile vor uns her. Jeder einzelne schleppte schwere Koffer, die mindestens 100 Jahre auf dem Buckel hatten. Ich fragte mich, woher sie kamen und wohin sie wollten. Ich hätte sie unglaublich gerne angesprochen, aber ich hab mich nicht getraut. 







Mittwoch, 24. April 2024

Annika in Amerika

Ja, ihr Lieben, die ihr mich womöglich noch kennt und euch jetzt hierher verirrt: ich habe meine Flugangst überwunden und bin an der Ostküste, bei meiner besten Freundin. 



Diesen ersten großen Flug über den Teich haben wir gemeinsam bestritten, denn sie war zuvor in Berlin. Ich allerdings habe mir Business Class gegönnt und habe dann tatsächlich in Dublin beim umsteigen nach Boston für sie ein kostenloses Upgrade erwirken können. Das war ein Fest! Wir wollten gar nicht mehr aussteigen. Die Stewardess, die uns das möglich gemacht hat, wollte ich heiraten. 

Mir hat sie praktisch das Leben gerettet, denn um ehrlich zu sein: ich werde wohl meinen Lebtag keine Frau mehr werden, die entspannt um die Welt fliegt. Schon in Dublin war ich fix und fertig. Ich musste ein wenig weinen bei dem Gedanken, dass ich jetzt wieder einsteigen und noch siebeneinhalb Stunden nach Boston fliegen muss. Aber da hatte ich ja noch keine Ahnung, wie schön die Business Class ist. 




Alles andere ist eigentlich gegen die Menschenwürde. So sollte ein jeder reisen können und dürfen, ach was sage ich: sollen und müssen. Wunderbares Essen auf feinsten Porzellan, der Sitz zu einem Bett ausziehbar, Kissen und Decke bekommt man auch, ein zauberhaftes kleines Reisenessecaire ebenfalls - wenn es nach mir gönge, flöge unsereiner jetzt alle halbe Jahre rüber, aber es scheint sich um ein einmaliges Angebot gehandelt zu haben, denn ich suchte heute nach neuen Flügen im nächsten Jahr, aber nicht mal ansatzweise wurde der Preis angeboten, den ich jetzt bezahlt hatte. Schluchz. 

So, aber wie ist es nun hier in Amerika? Grob gesagt, hier ist alles anders. Hier sind vor allem Reichtum und Armut nicht getrennt voneinander untergebracht. Bei Walmart arbeiten Menschen, die kaum Zähne im Mund haben und die noch schlechter gekleidet sind, als die Obdachlosen am Bahnhof Zoo. Eine Hoffnungslosigkeit und Resignation in den Gesichtern, die mir gezeigt haben, wie sehr ich in Berlin separiert von Armut bin. Bei uns liegen ganz arme Menschen auf der Straße und ich bestimme den Abstand, mit dem ich an ihnen vorbeilaufe.

In der Straße, in der meine Freundin lebt, sind die Häuser in so unterschiedlichen Sanierungs- und Renovierungszustand; da gibt es auf 100 m alles dicht nebeneinander, was auf gehobenen Wohlstand, gar Reichtum als auch vollkommene Verwahrlosung und Messitum hindeutet. Armut kriegt man hier in die Fresse gehauen, anders kann ich es gar nicht beschreiben. Und auf meinen Spaziergängen bin ich immer wieder aufs Neue bestürzt. 


Natürlich, wenn man nach Kennebunkport fährt, zum Sommersitz der Familie Bush, da gibt es nur Reichtum, riesige Häuser auf Klippen, aber auch diese Riesen kommen mir fragil vor und dem Atlantik hilflos ausgeliefert: Hier ist alles nur aus Holz gebaut. 



Was ich auch nicht wusste: wie teuer hier alles ist. Wenn ich zurückkomme, werde ich demütig genießen, dass mir, wenn ich aus dem Rewe rauskomme, immer noch genug Geld für den restlichen Monat bleibt. Das billigste Deo 9 $. Klopapier 10 $. ZEWA 17 $. Von Lebensmitteln oder im Restaurant essen gehen, will ich gar nicht erst anfangen. Ach es gibt so vieles her, ich werde weiter berichten.

Das Klischee vom freundlichen Amerikaner stimmt im übrigen. Sie sind unfassbar freundlich. 



Mittwoch, 10. Januar 2024

Hochzeit in der Schwarzwaldklinik

Wer mal so richtig herzhaft lachen möchte, so dass einem die Tränen kommen, die Schminke verläuft und der Wunsch aufkommt, man hätte Tena Lady im Haus, beziehungsweise Reue aufkommt, dass man Beckenbodengymnastik bisher nie in Erwägung gezogen hat, muss das hier lesen:

https://herzbruch.me/09-01-2024/

Dienstag, 2. Januar 2024

Silvester mit Peter Maffay und Philipp Amthor

 

Wie jedes Jahr: die ersten drei Worte, die du erkennst, beschreiben dein Jahr 2024.
Ich hatte Neuanfang, Liebe, Leidenschaft. Käme keine Minute zu früh. Ich hätt's verdient. Bin gespannt. 

Gestern habe ich Silvester gefeiert wie eine Zwanzigjährige. Und darauf hatte ich wirklich keinen Bock. Tanzen gehen mit einer Freundin. 80er Jahre Party. Wann hört das auf, frage ich mich? 

Dann wurde es aber doch erfreulich, weil die Location mit Menschen meiner Altersklasse gefüllt war und alle strahlten alle an und das mag ich ja schon mal. An unserem Tisch saßen zwei Paare, die sich aber auch erst 30 Minuten zuvor kennengelernt hatten. 

Das eine Paar bestand aus Stevie-Nicks und Peter-Maffay-Look-alikes, die waren einander sehr zugewandt, lässig und herzlich zu jederman. Sie tanzte in einer Tour, sehr gekonnt und überhaupt nicht peinlich und als sie uns ihr Alter verriet, schrien wir auf "nicht möööglich", denn wir hatten sie jünger als uns geschätzt, aber sie war 70. Also, wenn ich so mit 70 unterwegs bin, habe ich alles richtig gemacht.

Das andere Paar der Knaller: Er stockschwul, im hellgoldenen Satin Anzug, mit Schmuck behangen, Philipp-Amthor-look-alike, grässlich, jedoch ebenfalls sehr freundlich. Sie: aufgespritzte Lippen, dramatisch tätowierte Augenbrauen, von Hacke bis Nacke in Lurex gekleidet und eine der gutmütigsten Frauen, die ich je kennengelernt habe. Sie ging nämlich geduldig auf sämtliche seiner klemmigen Versuche, ihr den Latin Lover zu geben, ein und lächelte unentwegt, küsste ihn gar, beide spitzten ihre Lippen maximal dabei - sie rettete sich nur oft aus der Situation, in dem sie rauchen ging. 

Ich konnte sie verstehen und ich meine, sie war sein Escort für diese Nacht, in der er sich offenbar einen heterosexuellen Anstrich geben wollte, warum auch immer. Ich hoffte für sie, dass er in dieser Nacht nicht noch zum äußersten würde gehen wollen, denn auch so schien mir das schon hart verdientes Geld zu sein. Mir sagte er pausenlos, dass er sich doch sehr wünschen würde, dass endlich mal Depeche Mode gespielt werde, aber natürlich wurde nur so Zeugs wie West End Girl und Le Freak gespielt.

Zwischen uns sechs Fremden entwickelte sich über die Stunden eine herzliche Verbindung, fast nur durch Blickkontakt, weil die Musik derart laut war, dass ich mir die gegen die mitternächtliche Knallerei mitgebrachten Ohrstöpsel schon viel früher in die Ohren stopfte, aber das tat unserer aufkeimenden temporären Freundschaft keinen Abbruch. Wir waren alle bereit, uns zu amüsieren, aber keiner war drüber.

Vertraulich fassten wir uns an den Händen auf dem Weg zur Tanzfläche und als Mitternacht war, nahmen wir Frauen uns derart fest in die Arme, also, wie soll ich das sagen, wir legten alles in diese Umarmungen, unser ganzes Wissen über das Leben, unsere Erfahrungen, wir trösteten uns wortlos - ich kann's nicht besser beschreiben. Wie dieser Wissensautausch bei Mr. Spock. Man kann ja eine Menge in eine Umarmung legen und ich habe in meinem ganzen Leben noch niemals fremde Frauen so innig umarmt, sie ließen gar nicht mehr los und ich auch nicht.

Ja, so war mein Silvester. Man kann schlechter ins neue Jahr kommen.

Tipp:
Netflix, German Genius
ARD Mediathek: Weihnachten in Familie (Fortsetzung von "Das Begräbnis")


Mittwoch, 1. November 2023

Rette mich, wer kann

Je älter ich werde, desto schröddeligere Dinge passieren mir. Zum Beispiel: mein Leben lang erwarte ich einen anaphylaktischen Schock, beim Zahnarzt oder wegen eines Wespenstichs. Nun kann ich sagen: check. 

Musste ich doch ein Antibiotikum einnehmen und bis ich begriff, dass meine zunehmend anschwellende Zunge nicht etwa die Verschlimmerung des Symptoms bedeutet, sondern möglicherweise ein Hinweis auf eine allergische Reaktion sein könnte, vergingen gerade mal 12 Stunden, bis ich mich ins Auto setzte und die 900 Meter zum Krankenhaus fuhr. 

Dort blieb ich noch geduldig vor der Tür ins Allerheiligste stehen (also zu dem Raum, in dem sich Fachleute aufhalten), schaute durch das Glasguckloch, beobachtete die Unterhaltungen der Krankenschwestern und Krankenpfleger, bis mir semi-genervt die Tür geöffnet wurde ich und nur noch unverständlich stammeln konnte "Iii lauhe iii hae eie aeeische Eakzon" (ich glaube ich habe eine allergische Reaktion") - ab da ging dann aber alles ganz schnell und in mich wurde alles reingepumpt, was Rang und Namen hat. 

Leider ohne nennenswerte Reaktion, weshalb man mich auf die Intensivstation verlegte und mir in Aussicht stellte, mich für 1-2 Tage in ein künstliches Koma zu legen - damit ich unbehelligt von Atemnot wegen zuschwellen des Halses in Ruhe abwarten kann, ob die Zunge wieder in ihren ursprünglichen Umfang zurückfindet.


Ich fand die Aussicht, vor all dem Irrsinn in eine Vollnarkose flüchten zu dürfen, direkt verlockend, aber ich hatte Glück im Unglück, über Nacht schwoll ich ab und nach zwei Tagen durfte ich wieder gehen. Das Ersatzantibiotikum vertrug ich problemlos, wenn auch nach einer Woche die üblichen, dämlichen Folgen zu ertragen hatte: Blasenentzündung und noch andere Beklopptheiten, naja, ihr kennt das.

Als ich mich gerade wieder gut zu fühlen begann, mich auf dem Weg der Besserung sogar schwungvoll zu einem Kaffeegedöns in der Nachbarschaft aufmachte, stolperte ich über eine lose Waschbetonplatte und brach mir die linke Hand. 



Dabei hatte ich den jungen Pfleger im Krankenhaus, der mir an Tag 2 alles über die Sturzprophylaxe beibringen wollte, empört des Zimmer verwiesen. "Sehe ich aus, als benötige ich eine Sturzprophylaxe???"

Offenbar sehe ich so aus, obwohl ich das natürlich nach wie vor weit von mir weise, ich bin doch ein Vamp mit an guten Tagen erheblichem Niedlichkeitsfaktor, in meiner Einbildung zumindest und für meine alten Herren in der dienstäglichen DoKo-Runde bin ich immerhin der 'Blonde Engel', also wirklich - die Waschbetonplatte ist schuld und sonst niemand.

Samstag, 6. Mai 2023

The Windsors

Wer britischen Humor schätzt, muss auf Netflix "The Windsors" gucken. 


Oder sich die heutige Krönung angesehen haben, denn das war Mumpitz vom Feinsten - für mich dennoch Ehrensache, mir das von der ersten bis zur letzten Minute anzusehen. Ich bin traditionsbewusst. In meinem Leben war das die wahrscheinlich vor-vorletzte Sause aus dem Buckingham Palace, der ich vor der Glotze beiwohnen werde. Ich werde wohl nur noch die Beerdigung von Charles und die Inthronisation von William begleiten. Außer ich bin doch unsterblich. 

Einzelkritik:

Charles hatte wohl sehr gute Drogen intus, denn er lächelte recht häufig und milde, man könnte auch vermuten, befriedigt, dass er nun endlich eine angemessene Job Description hat und dann noch Juwelen auf dem Kopf. Man hätte ihm aber wirklich den Nacken ausrasieren können, ein unappetitliches Gefussel war das am Hinterkopf. Ich befürchtete, dass seine Finger jede Sekunde platzen könnten. Ich habe noch nie so geschwollene Hände gesehen - der Mann an sich ist doch rank und einigermaßen proportioniert. Was hat er nur?

Camilla saß meistens von ihrem Gatten abgewandt, mit erloschenem Blick ins Leere schauend, ihre zwei lookalikes hinter sich, bestehend aus Schwester und Freundin. Überhaupt nahm dieses doch recht interessante Liebespaar recht wenig Kontakt zueinander auf während der ganzen Prozedur. Ich glaube, am Ende musste sie ihn nehmen; wenn man nun mal von einem zukünftigen König geliebt wird, bleibt einem nichts übrig, als sich in sein Schicksal zu ergeben, schätze ich.

Kate und William sind meiner Diagnose nach in einer schweren Ehekrise. Sie schaut so bitter und er so schlechtgelaunt - seit Harry weg ist, ist der ganze Spaß vorbei, scheint mir. Da läuft nix mehr, aber sie wollte ja nun unbedingt Königin werden und das hat sie nun davon. 

Harry saß in einer Reihe mit Andrew, der ja nun weitaus schlimmeres angerichtet hat, aber dennoch mit Lametta behängt wurde. Harry in Zivil. Um Andrew zu brüskieren, beschränkte man sich auf Ausladung der Kindsmutter seiner pferdegesichtigen Töchter. Da hat man's ihm aber so richtig gezeigt.

Anne schoss den Vogel ab mit Outfitvarianten, die direkt aus der Hölle kamen. Sie saß direkt vor Harry und verhinderte mit ihrem abartigem Puschel-Hut, dass man auch nur einen Blick auf ihn erhaschen konnte. Aber als einzige dieser blutleeren Geschöpfe setzte sie sich dem Wetter aus und ritt herself durch den  Regen von der Westminster Abbey zum Buckingham Palace. Der einzig wahre Mann in der Familie!

Mittwoch, 27. Juli 2022

Hiddensee mon Amour. Nicht.

Nach langer Zeit mal wieder auf Hiddensee einquartiert. Früher gab’s hier jährlich heitere Reiseberichte und so sind wir voller Vorfreude in Schaprode auf die Fähre gegangen, auch wenn sie uns erstmalig weder nach Vitte noch nach Kloster brachte, sondern direkt nach Neuendorf. In Neuendorf ist nix los. Und mit nix meine ich nix. Viele mögen das, mir ist es wurscht. Hauptsache die Sonne scheint und die Leute sind nett.

  hiddensee neuendorf von de.wikipedia.org

Unser kleines Grüppchen lebte diesmal auch nicht unter einem Dach, sondern unter zweien. Ich hatte ein eigenes Etablissement, das im Gegensatz zu dem anderen der beiden Mitreisenden zwar „blitzsauber“ war, jedoch das Interieur aller Epochen des Gelsenkirchener Barocks nachempfunden war. Ohne W-Lan. Und die angepriesene Fußbodenheizung ging auch nicht, obwohl es herbstlich kalt und der Fliesenboden Grabeskälte verströmte.

Die Vermieterin selbst war eine Fürstin der Finsternis, die mich vom ersten Tag an aus nichtigsten Anlässen anbrüllte: wie ich darauf komme, das Haus schon zu betreten, ohne dass sie dabei sei (weil wir verabredet waren, es draußen schüttete und stürmte und ich lieber im Flur warten wollte), wie ich darauf komme, meine Wäsche zu waschen, das koste Strom und Wasser(mit Rei aus der Tube habe ich eine Leggins und ein Sweatshirt gewaschen und bat darum, diese auf der Wäscheleine zu trocknen – das Wetter war gräuslich kalt und ich hatte sonst nur Flatterkleidchen mit. Ich fing schon an zu müffeln) und natürlich: es kommen keine fremden Leute in mein Zimmer, dass das gleich klar ist. Ja, auf Hiddensee lasse ich prinzipiell fremde Leute aufs Zimmer. Warum auch immer.

Leiht man sich ein Rad, bekommt man eins mit loser Kette, losem Sattel und die Handbremsen funktionieren nicht.  "Früher gab's auch keine Handbremsen" wird gekeift. Ja, sage ich, aber wenn das Rad nun welche hat, möchte ich schon, dass sie funktionieren.

Auch den Rest der Eingeborenen hatte die mehrjährige Pandemie jegliche Geschmeidigkeit ausgetrieben, die schon zuvor nur in homöopathischer Dosierung vorhanden gewesen ist, das muss hier ehrlicherweise erwähnt werden. Aber nun haben sie offenbar eine geheime Kommandosache im letzten Corona-Winter ausgeheckt: „Wie machen wir ein für alle Mal jeglichem Tourismus den Garaus?“ Und dann haben sie einen Maßnahmenplan erarbeitet sie sich für ein Apartheid-Regime entschieden.

Geht man um 8 Uhr in die Einkaufsquelle, herrscht dort bereits reger Betrieb und viele Menschen kommen mit frischen Brötchentüten raus. Möchte man selbst den Laden betreten, wird man mit harscher Stimme gestoppt: „Sie nicht! Der Laden hat erst um 8:30 Uhr geöffnet.“ Weist man auf all die Menschen hin, die den Laden bevölkern, wird gehässig erklärt, dass es sich um Hiddenseeer handelt, die zur Arbeit müssen.

Fährt man mit dem Inselbus, sieht man, dass die erste Sitzplatz-Reihe links und rechts hinter dem Busfahrer gesperrt ist. Auf der Rückfahrt sitzen im nun vollen Bus dann doch je eine Person dort. Ich frage:
„Ach, kann man sich jetzt doch hier hinsetzen?“ 
„Nee, Sie nicht. Nur Hiddenseeer. Da weiß ich wenigstens, von wem ich’s habe, wenn ich mir was weghole.“
Und dann werde ich nach hinten geschickt und muss stehen. 

Die Preisgestaltung in den Restaurants, die teils am Freitag Ruhetag haben, teils nur noch drei Stunden am Tag geöffnet haben, jedoch keinesfalls länger als 19 Uhr, ist auch gewöhnungsbedürftig. Zwei arglos bestellte Ramazottis: 16 Euro. Und man fange bei der Essensbestellung um Himmels Willen nicht mit dem Gericht an. Man wolle doch wohl auf die richtige Reihenfolge achten: erst das Getränk!

Am Abfahrtstag stehen wir am Hafen, die Fähre soll uns um 12 Uhr zurück nach Schaprode bringen. Da wir um 10 Uhr unsere Quartiere verlassen müssen, sind wir schon eine Weile dem Sturm und Regen ausgesetzt, denn dort ist kein Unterstand. Es kommt eine Fähre um 11 Uhr und ich gehe hin, um zu fragen, ob wir auch mit dieser mitfahren können, auch wenn unsere Tickets erst für die um 12 Uhr gelten.

„Es fährt keine Fähre um 12 Uhr. Verschoben auf 13 Uhr. Und wir fahren jetzt erst nach Kloster und dann kommen wir wieder hierher und dann können Sie einsteigen.“
„Können wir nicht jetzt einsteigen? Wir zahlen natürlich auch.“
„Nö. Zahlen hätten Sie da am Häuschen gemusst und jetzt ham wa keine Zeit mehr auf Sie zu warten. Hätten Sie sich ja auch mal eher überlegen können.“
„Aber ich erfahre doch eben erst in dieser Sekunde, dass unsere Fähre ausfällt. Und wir frieren schon jetzt wie verrückt und müssen noch zwei weitere Stunden hier ausharren.“
„Und? Ist das mein Problem?“

Falls jemand eine vulgär zeternde, aus dem Ruder laufende Frau in Neuendorf am Hafen beobachtet hat: das war ich. Nie war ich einem Affektmord näher.

Hiddensee und ich sind fertig.

Mit einer Ausnahme:  

https://www.facebook.com/KleinerPrinzHiddensee

Kleiner Prinz, Süderende 76, 18565 Vitte, schließt um 21 Uhr

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Ein Restaurant, ach was sag ich: eine Oase, in der man wunderbar sitzen, essen und sich daran erfreuen kann, herzlich und freundlich bedient zu werden. Die Einrichtung labt das Auge, selbst bis in die Waschräume ist es liebevoll eingerichtet. Das Essen ist eine Wucht und hat erschwingliche Preise, das Personal trieb uns Tränen der Dankbarkeit ins Auge. Es war sooo schön, angelächelt zu werden. 

Kleiner Prinz Hiddensee | Facebook Good luck to you!

Samstag, 2. Juli 2022

Up up in the sky

Ich bin ja nicht untätig gewesen, unterdessen. Hab' mir was von Freunden und Verwandten zum Geburtstag gewünscht und erhalten: ein Flugangst Seminar inkl. zweier Flüge. 

Also, ich bin ja hornalt und noch nie geflogen. Und je älter ich werde und das erwähne, ernte ich Blicke, als müsse ich schleunigst unter Vormundschaft gestellt werden.

Ich melde mich also an. Zwei Tage. 


Tag 1: Alles über die Angst an und für sich und die einzig wahre Entspannungsübung gelernt (Luft ganz langsam und gegen einen leichten Widerstand der Lippen ausatmen). 

Wusstet ihr, weshalb wir bei großer Angst immer aufs Klo müssen? Weil sich der Neandertaler auf der Flucht vor dem Säbelzahntiger zunächst völlig entleert hat, damit er schneller wegrennen kann. 

Und weshalb lässt sich ein Mensch in Panik so schlecht ablenken und wird oft ganz still und versinkt in sich selbst? Na, weil der Säbelzahntiger direkt vor ihm steht und da kann er keine Kreuzworträtsel machen. 

Nachmittags kam ein schicker Pilot und schleppte uns (sechs Flugängstliche und zwei Trainerinnen) durch die Katakomben des BERs zu einem Flugzeug, das wir besichtigen durften. Ich also das erste Mal in meinem Leben ein Flugzeug von innen gesehen. 


Die Sitzplätze sind immer von A-F gekennzeichnet, B & E sind die Mittelplätze, unter Fachleuten "elend" und "beschissen" genannt. 

Mich packten die Trainerinnen probeweise auf  "elend" und quetschten sich ganz eng neben mich, "damit du gleich mal weißt, was dich morgen erwartet". 

Tja, dachte ich, und ihr wisst nicht, dass ich morgen gar nicht mitfliegen werde. Denn es war wirklich menschenunwürdig eng und dabei das Flugzeug noch ganz leer. Wie soll man das aushalten, wenn es auch noch brechend voll ist? Ich war komplett raus aus der Nummer; behielt es aber vorerst für mich. 


Dann durfte ich ins Cockpit, aber dieser ganze Technik-Kram hat mich nicht interessiert. Ich vertraue der Technik, der Pilot wird schon wissen, was er zu tun hat. Mir ist nur zu heiss und zu eng und dass ich nicht rauskann, wenn die Tür erst mal zu ist, das ist doch das Problem. 

Für die fünf anderen war übrigens die Technik das einzige Problem. Und geflogen waren sie auch schon alle, bis auf einen, aber der ist noch sehr jung und erntet noch keine komischen Blicke. 

Ich hatte also eine anders gelagerte Vollmeise und große Zweifel, ob die mich überhaupt werden hindern können, in 10.000 Metern Höhe die Flugzeugtür zu öffnen.

Tag 2: Hin- und Rückflug Berlin-Frankfurt

Aus Pflichtgefühl denen gegenüber, dir mir dieses Seminar geschenkt hatten, fand ich mich doch am BER ein und als erstes wurden wir alle gefragt, wie es uns geht. Ich brach in Tränen aus und schluchzte, dass ich nicht mitfliegen werde, das sei unter keinen Umständen möglich, die Nacht habe ich nur zwei Stunden schlafen können und ich sei so erschöpft und nein und nein und nein, es geht nicht. Es war mir so peinlich, ich weine für gewöhnlich gar nicht und wenn, dann nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit. 

Aber die Trainerinnen sind Hysterikerinnen gewohnt und meinten, doch, unbedingt werde ich mitfliegen, "Du wirst schon sehen, das wird ganz klasse!" Die anderen Teilnehmer waren auch so süß und lieb, es tat mir unglaublich leid, dass ich sie natürlich trotz allem würde enttäuschen müssen, denn mich würden keine zehn Pferde in den Flieger bringen, soviel war mal klar.

Und dann bauten die beiden Psychologinnen, die zufällig auch Stewardessen waren, Stühle auf, wie im Flugzeug und wir sollten uns den Platz aussuchen, auf dem wir sitzen wollen. 

A           B        C                D        E       F
Fenster  Mitte  Gang         Gang  Mitte Fenster

Ich entschied mich für D. 

Dann schlurfte ich gottergeben, verweint und groggy mit den anderen durch den BER zu unserem Gate. Wir hatten noch 30 Minuten Zeit und ich saß so erschöpft im Sessel, dass es meinem Körper schlicht unmöglich war, eine Panikattacke zu produzieren. Dann schlurfte ich immer noch gottergeben, verweint und groggy ins Flugzeug und setzte mich auf D. 

Dieses Flugzeug hatte viel mehr Platz und so lernte ich gleich mal den Unterschied zwischen Eurowings (Tag 1) und Lufthansa (Tag 2) kennen. Erst nach uns durften die normalen Passagiere rein. Es wurde voll und voller, ich war die Gleichgültigkeit in Person. Beziehungsweise hatte ich schon wieder die Energie, den anderen aufmunternde Blicke zuzuwerfen. Das die Flugzeugtür unwiederbringlich geschlossen wurde, bekam ich nicht mal mit.

Zum Start hatten wir gelernt, eine "Zitrone" zu machen - alle Muskeln anspannen, inkl. Gesichtsmuskeln - bis das Flugzeug abgehoben ist. Nun ja, das hätt's für mich nicht gebraucht, ich wollte ja erleben, wie es ist, voll in den Sitz gedrückt zu werden. 

Ich war aber brav, zerquetschte die Hand meine Trainerin, die auf E saß und dann wurde mir derart schwindelig, dass ich dachte "Wenn das bleibt, haben wir ein Problem" aber nach fünf Sekunden war es vorbei und ich war nur noch baff, dass es überhaupt nicht schlimm ist, zu fliegen. Ich fand es sogar wunderbar und dachte mir, wenn wir jetzt nicht gleich nach Mogadischu entführt werden, ist das ab sofort mein liebstes Fortbewegungsmittel.

Wir begannen, Selfies von uns zu machen. Die normalen Passagiere gratulierten uns. Die Stewardessen brachten uns Extra Schokolade. Ich war im Himmel.




In Frankfurt gelandet schwebten wir auf Rollstraßen zu unserem Rückflug und ich bat, dass ich nun auf F sitzen darf. 

Eine Stunde lang habe ich aus dem Fenster gestarrt und mir die Welt von oben angesehen. Eine der glücklichsten Stunden meines Lebens. Unbezahlbar. Ich kann jetzt fliegen. 

Mein Rat an alle, die auch fliegen lernen wollen: schafft euch eine psychische Ausnahmesituation in der Nacht vorher. Streitet euch wie die Kesselflicker, trennt euch, bekommt eine Gallenkolik - egal was, alles was euch zum heulen bringt, ihr müsst bis an den Rand eurer Kräfte erschöpft sein. 

Dann werdet ihr fliegen, als ob ihr euer ganzes Leben nichts anderes gemacht habt. 

Verspreche ich euch.

PS: Unverzichtbar waren die fünf anderen Teilnehmer:innen, durch die Bank zauberhaft und die tippe toppe Trainerinnen.

Sonntag, 3. April 2022

Ich bin ein Star, holt mich hier raus

Ich habe eine Freundin, die hatte Zeit ihres Lebens große Angst, blind zu werden und informierte sich fortwährend im Internet, welche Krankheiten infrage kommen für derlei finale Arbeitsniederlegungen ihrer Sehwerkzeuge. So kannte ich durch sie Worte wie "feuchte Makula" und da sie ihre Studien fleißig vertiefte, ja ganze Wochenenden in Notaufnahmen verbrachte, weil sie nicht davon abzubringen war, in den nächsten Stunden zu erblinden, wunderte ich mich nicht, dass sowohl sie als auch ihr geduldiger Gatte eines Tages mit sagenhaft komplizierten Augenerkrankungen reüssierten, wegen derer beide begannen, sich Medikamente in die Augen zu tropfen, die Braille Schrift zu lernen  und über die Anschaffung eines Blindenhundes nachzudenken. Prophylaktisch.

Obwohl ich immer nur flüchtig zugehört hatte bei ihren jahrelangen Vorstudien, war mir doch der Ernst meiner Lage augenblicklich klar, als mein rechtes Auge vor ca. einem Jahr rasend schnell schlechter wurde. Es kackte richtiggehend ab. Ich meine, seit meinem 7. Lebensjahr trage ich Brille oder Kontaktlinsen - ich kann also sehr wohl unterscheiden, ob die Lage ernst oder nur eine neue Brille fällig wird. 

Irgendwas stimmte nicht. Und so beschloss ich, niemandem etwas davon zu sagen. 

Es wurde schlimmer und schlimmer und obwohl ich nicht nach den Symptomen googelte, lag die Diagnose klar auf der Hand: Hirntumor. Mindestens Augentumor, der auf den Sehnerv drückt. Mein armes Hirn hatte zumindest die Arschkarte aus den zunehmend unterschiedlichen Talenten meiner beiden Augen noch ein halbwegs kongruentes Bild zu zaubern. Das linke Auge war wie immer, das rechte quittierte seinen Dienst. Stellt euch vor, ihr dreht an einer Kamera die Linse scharf oder unscharf (die Älteren unter euch erinnern sich noch). Stellt es euch maximal unscharf vor und dann wisst ihr, was ich noch gesehen habe.

Ich traute mich auch nicht, besagte Freundin anzurufen, die bestimmt sofort eine Diagnose hätte stellen können, denn mittlerweile weiß sie mehr als jeder Assistenzarzt, da bin ich mir sicher. Ich rief auch nicht die Freundin an, die mal Optikerin gelernt hatte und meinen Lieblingsoptiker Glen aus dem SSC in Steglitz rief ich schon gleich gar nicht an. Mir war ja klar, was alle drei gesagt hätte. Dass ich schnell zum Arzt muss - was ich aber schon selber wusste. 

Nun, im September 2021 rief ich endlich beim Augenarzt an und bekam auch schon für Ende Januar 2022 einen Termin. Mir war das ganz recht. Ende Januar kam und ich ging mit der Diagnose Grauer Star („Du meine Güte, Sie haben nur noch 5% Sehkraft - wie haben Sie eigentlich hierher gefunden? Wie, Sie fahren noch Auto? Ab jetzt nicht mehr. Ich meine das ganz ernst.“) und einem OP Termin heim. 

OP war super dank eines fantastischen Anästhesisten, der mir eine Dröhnung verpasste, die nichts weiter verursachte als maximale Entspannung bei gleichzeitiger Kooperation (auf deutsch: OP bei Bewusstsein unter völliger Abwesenheit von Angst). Wir unterhielten uns alle nett währenddessen und außer Lichtreflexen sah ich nichts von dem, was passierte. Ich war im Glück. 

Schon am nächsten Tag sah ich alles klar und hell und kontrastreich, gestochen scharf und unglaublich hell. Der Himmel so blau, speziell die Abenddämmerung ist so blau wie die Glasbausteine in der Gedächtniskirche - ich kann gar nicht glauben, dass alle Menschen ein derartiges Blau sehen. Da bräuchte doch niemand mehr Drogen, meine ich. Hat man nämlich grauen Star sieht man alles mit einem Gelbstich, der natürlich sehr gütig und mir als Meisterin der Innenbeleuchtung nur recht ist.

Aber vor allem ist es nun hell. Sehr hell. Und an meiner Innenraumbeleuchtung ist gar nichts warm oder gütig. Dachte ich noch vor der OP, ich müsse dringend mal all meine Glühbirnen austauschen, möchte ich am liebsten nur noch per Kerzenschein sitzen. Und die Beleuchtung an meinem Auto ist gar nicht so unterirdisch, wie ich immer gedacht habe.

Aber das schlimmste: ein mir sehr nahestehender Mann meinte vorher "Du wirst mich mit ganz anderen Augen sehen" und ich dachte, so ein Quatsch! Jetzt ist es aber so: ICH sehe MICH mit ganz anderen Augen. Das ist ein richtiger Schock. Mein Hirn muss sich kalibrieren, schätze ich, und was es für Seh-Eindrücke geliefert bekommt, kann es (ich) offenbar nicht richtig einordnen, ohne in Panik zu verfallen. Ohne diesen gelblichen Weichzeichner sehe ich die ganze Wahrheit und mir wird bewusst: ALLE ANDEREN sehen mich ja schon immer so. 

Und wie wird das, wenn das andere Auge auch noch operiert wird (dort habe ich immerhin noch 30% Sehkraft)? Wenn ich gar nicht mehr zwischen den Welten hin und her switchen kann, in dem ich mal das eine und dann das andere Auge schließe, um den Unterschied wahrzunehmen. Dann wird ja ALLES gleißendhell und schockierend farbig, aber auf eine kalte Art. 

Dann muss ich mir die Welt doch schönsaufen. 

Schickt mir Eierlikör.

Dienstag, 18. Januar 2022

Keine besonderen Vorkommnisse

 Bester Artikel ever zum Thema "Warum werden wir alle bekloppt?"

Natürlich Corona, aber wirklich das Klügste, was ich bisher gelesen habe.

And now for something completely different. Ich bin geboostert und lebe noch. Keine Zwischenfälle. Meine zauberhafte Hausärztin empfing mich Hysterikerin schon an der Rezeption und führte mich ohne weitere Umwege direkt ins Impfzimmer. Ich atmete zwar sehr schnell und mir wurde heiß und heißer, aber da das noch vor der Impfung geschah, war mir klar, dass es sich bestenfalls um eine Vorwirkung, jedoch nicht um eine Nebenwirkung handeln kann.

Diesmal machte ich meinen rechten Arm frei, weil der Impfstoff dann einen längeren Weg zu meinem Herzen hat, wie ich glaube gelernt zu haben, damals im Krieg, anyway, die zauberhafte Ärztin jedenfalls redete auf mich ein ohne Unterlass, erzählte mir von der Genesung ihres Mannes, der eins der ersten Corona-Opfer inkl. Koma war und nun ein sich mühsam ins Leben zurückkämpfender Mensch ist, wobei mir zwar noch heißer wurde, weil ich so mitfühlend bin, aber ich lauschte auch angestrengt meinem Innenleben, klopfte alles auf sich entgleisenden Kreislauf ab, während ich mich nach dem Beruf des Ärztinnengattens erkundigte, ah ja, Lehrer, Geschichte und Englisch - aber es geschah nichts. Ein Wunder. 

Nach 15 Minuten lachte sie mich an und sagte, sie müsse sich jetzt wieder um ihre anderen Patienten kümmern, ich könne jetzt gehen. Du meine Güte, ich war so glücklich wie man nur sein kann, wenn man dem Tod von der Schippe gesprungen ist. Den ganzen restlichen Tag war ich euphorisch und am nächsten Tag war ich angenehm müde und lag vergnügt auf dem Sofa. So kann es also auch gehen. 

Heute vor 14 Tagen war das und nach Adam Riese sollte ich safe sein. Aber wie wir alle wissen, ist nichts sicher und dazu passend: am Freitag hatte ich Mädelsabend und eine von uns lag am nächsten Tag positiv und fiebernd zu Bette. Es wäre ein weiteres Wunder, wenn sich keine von uns angesteckt hätte. Bis jetzt ist noch alles gut, schaun wir mal. Im Grunde eine langweilige Geschichte, weil sich derzeit alle anstecken, im Büro falen sie reihenweise um, ganze Abteilungen sind malade; ach wisst ihr was? Lest unbedingt diesen Text, den ich oben verlinkt habe.

Montag, 3. Januar 2022

Meine Eltern wollten nicht nach Florida umziehen, aber sie sind nun mal sechzig geworden und so will es das Gesetz.

                                                       Wie jedes Jahr

(bei mir: Geld, Reisen, Gesundheit)


Wenn ich mir meine Statistik anschaue, werde ich spätestens 2029 in die ewigen Blog-Jagdgründe abgetaucht sein. Was ich im Grunde jetzt schon bin. 

Anyway: allen ein wunderbares neues Jahr, das ja wegen der Schnapszahl unfassbar viele gut zu merkende Hochzeitstermine bereithält. 1.1.22; 2.1.22; 12.1.22, 22.1.22 - ach, ich könnt' ewig so weitermachen. Finanziell verkraftbar, da der einladbare Personenkreis überschaubar ist. 

Überhaupt, ich war auf ganz vielen runden Geburtstagen. Nicht. Die Geburtstagskinder waren alle tapfer und einige vielleicht sogar ganz glücklich. Auch drei Hochzeitspaare feierten im "engsten Familienkreis" wie sonst nur auf Beerdigungen. 

Wie alle bin auch ich müde und überdrüssig (obwohl ich 2021 aus Gründen gar nicht so schlecht fand) und befürchte, ich muss noch eine ganze Weile in gedanklicher Kapitulation verharren (es ist, wie es ist, Ommmm, der Kack-Virus wird schon verschwinden, Ommmm). In der Duldsamkeits-Pyramide befinde ich mich im Mittelbau. Gibt viele, die es noch viel besser aushalten und viele, die kurz vorm atomaren Erstschlag sind. 

Allen jedoch empfehle ich eindringlich "Death to 2021" auf Netflix. Und Seinfeld (Zitat s.o.). Sowie alle Bücher von Curtis Sittenfeld und Alexander Gorkow.

Donnerstag, 28. Oktober 2021

Schlimme Klamotten

 

Neulich sitze ich der Sonne zugewandt, mit geschlossenen Augen, in einem Café im Süden der Republik von Berlin. Manchmal blinzle ich, wenn Menschen sehr nah an meinem Tisch vorbeilaufen. Geht mir aus der Sonne, denke ich jedes Mal.

Es läuft eine Gruppe schlecht gekleideter Leute an mir vorbei. Alle in Trainingsanzügen, mit albernen Oberlippenbärtchen, Vokuhila, blousonartigen Jacken und Schnellfi*erhosen. Ich schließe die Augen schnell wieder, habe ein unbestimmtes 80er-Jahre-Deja vu und fühle mich unangenehm berührt, zumal die sich auch noch direkt an den Nachbartisch setzen. Mit solchen Leuten wollte ich schon in meiner Jugend nüschte zu tun haben - weshalb sind die jetzt hier, in der Gegenwart, im schnarchigen Dahlem?

Dann beginnt am Nebentisch ein gepflegtes Gespräch über Pro-Seminare an der FU und mir dämmert, dass es sich hier nicht um Prekariat aus Neukölln handelt, sondern um eine weitere Hipster-Variante, die sich entgegen ihres gewissermaßen martialischen Kleidungsstils gepflegt, sanft und respektvoll miteinander unterhält. 

Ich hör mir das eine Weile an und dann schreite ich zur Tat. Von meiner Mutter ist mir in die Wiege gelegt worden, wildfremde Menschen anzusprechen und sie mit meiner Meinung und/oder Fragen zu behelligen. 

"Sagt einmal, darf ich euch etwas fragen, aber ihr nehmt es mir bitte nicht übel?"

"Na klar" schallt es mir gutmütig entgegen.

"Tja, also wisst ihr, ich war ja jung in den Achtzigern und da sahen auch ein paar Leute so aus wie ihr heute, aber die fanden wir nicht gut. Das war so eine bestimmte Klientel und die waren nirgends immatrikuliert, könnt ihr mir glauben. Wie kommt's, dass Ballonseide so einen Lauf hat? Und du, du hast ja sogar eine ziemlich schlimme Frisur, Vokuhila, wenn ich das so sagen darf."

"Ja", lacht er, "Toll oder? Ich habe haargenau dieselbe Frisur wie mein Vater in den Achtzigern. Und die Klamotten sind nur geil. Saubequem. Ich wünschte, er hätte mehr davon aufgehoben."

Der andere: "Du wirst doch nicht von meiner Jacke auf den ganzen Mann schließen? Mir war heute danach..." und hebt zu einem längeren Vortrag an, der selbst Karl Lagerfelds Haltung zur Jogginghose hätte verändern können. 

Das Mädchen, immerhin in einem Adidas-Anzug, ungekämmt, ungeschminkt und so zauberhaft, wie es eben nur junge Frauen sein können, hört den begeisterten Modestatements ihrer Begleiter gutmütig zu und exponiert sich nicht weiter. 

Da ist also nicht Mut zur Hässlichkeit oder Nachlässigkeit in Kleiderfragen zu betrachten, sondern ein ausgeklügeltes Modekonzept, über das viel nachgedacht wurde. Nachdem mir nun klar ist, dass ich hier echter Streetware begegnet bin, Generation X oder Y oder Z oder was weiß ich denn (da waren sich dir drei selber nicht ganz im klaren), wechsle ich übergangslos in den Tanten-Modus, fasele etwas von "Ihr habt noch alles vor euch und falls ihr euch mal langweilt oder Herzschmerz habt, denkt immer daran: ihr seit noch blutjung und habt noch wirklich alles vor euch. Ihr wisst das heute noch nicht, aber ich weiß es." 

Dem Mädchen rate ich, sich von Ar*löchern immer schnell zu trennen und das bringt einen der Jungs dazu, sich als ihr Freund zu outen, er sei "momentan" sehr bemüht, sich nicht wie ein Ar*h zu verhalten. Sie und ich prusten los "Mo-men-Taaan???"

Sie lassen sich nicht anmerken, ob sie mich für übergeschnappt halten oder sich daran freuen, dass sie so heiß beneidet werden - sie sind jedenfalls durch die Bank freundlich und milde und ich darf sie sogar fotografieren, für diesen Blog ("Kannst gerne mein Gesicht zeigen!"), weil ich sie wirklich in jeder Hinsicht bemerkenswert finde. 

Wenn's noch mehr von ihnen geben sollte, dann ist mir nicht bange. Es gibt auch ganz tolle Leute mit der Frisur von Rudi Völler. Ich kann das bestätigen.

Freitag, 22. Oktober 2021

Es saugt und bläst der Heinzelmann

Gestern früh - erste Ausläufer des Orkans Ignatz brausen ums Haus - wird es auf einmal so laut draußen, dass ich sicher bin, dass gleich das Haus wegfliegt. Eine Windhose. Aber nein. 

Ein BSR Mann geht mit dem Laubbläser durch die Straße und bläst das Laub vor sich her. Mitten im Sturm.

Da sag noch mal einer, Berlin funktioniert nicht.

Dienstag, 19. Oktober 2021

Ach, das Leben...

Neulich war ich auf einer betriebsinternen 2 G Veranstaltung und danach mussten wir alle in Quarantäne. Ick hab ma testen lassen, negativ. Glück gehabt. ABER: dass den paar Menschlingen bei uns, die sich nicht impfen lassen wollen oder können oder was weiß ich denn, die Tränen vor Lachen liefen, kann ich mir gut vorstellen. 

Bei allem aufgeregten Gegacker, es müsse sich doch ein jeder impfen lassen, man vergesse nicht: sich nicht impfen zu lassen, ist ein Grundrecht und die Gründe dafür privat zu halten, ebenso. Denkt man gar nicht, gell? (ich muss mich selbst immer wieder zur Ordnung rufen, denn wenn es nach mir ginge, wären alle geimpft inklusive Tiere und Schrankwände)

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Anyway: ich war in Bayern. Schön dort. Die Blumen wissen nicht, dass bald Weihnachten ist. Prachtvolle Hülle und Fülle. Während hier in Berlin der kürzeste Herbst aller Zeiten ist. Innert einer Woche wurden alle Blätter rostig braun und fielen auch schon runter. Als ob die Bäume denken "Bloß runter mit dem Zeugs, ich hab keinen Nerv mehr für Photosynthese". Meine Hypochondrie ist jetzt global und schließt Bäume und Wetter mit ein. Ist ein Klacks für mich, alles mit Sorge zu betrachten. 

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Gottseidank bin ich auch leicht glücklich zu machen. Kürzlich zweimal nacheinander im Vabali gewesen. Wäre ich Boris Becker, würd' ich's mein Wohnzimmer nennen. Wenn ich ins Vabali gehe, dann ist immer die Beste aus Amerika in Berlin. Diesmal in Ehegatten-Begleitung, der zwei Wochen lang immer wieder Lachkrämpfe bekam, weil seine Schwiegermutter (die kein englisch spricht und daher mit einer Übersetzungs-App mit ihm kommuniziert) ein "Attentat auf ihn vorhatte". Er las: "I'am planning an assassination on you"- Verwirrt schrieb er meiner Freundin "Things went wrong with your mum." Dabei wollte die alte Dame ihn nur bitten, einem Tagesausflug nach Dresden zuzustimmen. 

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Dieser Tage mit Frau Lavendel telefoniert. Wir haben uns im letzten Jahr Dinge für 2021 vorgenommen, die alle schon in die Tat umgesetzt sind. Niemand ist darüber erstaunter, als wir beide. Nun haben wir neue Ziele für 2022 avisiert. Wir können derzeit nicht bloggen; uns geht's zu gut. Erst ging's uns zu schlecht und jetzt ist alles anders und zwar sehr anders und das müssen wir genießen. Wir bitten um Geduld.

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Das Kind meiner Nichte fragte neulich: "Mama, glaubst du an Gott?
Nichte: "Nein, aber manche glauben und manche..." (hebt zu einem längeren Vortrag an)
Kind (unterbricht ungeduldig): "Ich glaube nicht an Gott. Ich habe mich jetzt schon mehrmals mit ihm unterhalten, aber er hat nie geantwortet."

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Als ich Geburtstag hatte, bekam ich den Anruf einer Freundin, die ich das letzte Mal vor über 10 Jahren gesprochen hatte. Sofort nahm ich sie in die WhatsApp Gruppe der drei Freundinnen aus dem Herkunftskaff mit auf, die sich nicht aus den Augen verloren hatten. Dieses Wochenende dann großes Wiedersehen in Niedersachen: aus München, Münster und Berlin strömten wir an unsere frühere Wirkungsstätte und blieben 10 Stunden in einem Lokal sitzen, lachten und heulten, weil auch so viel Scheiß passiert ist in unseren Leben und dieser Scheiß auch ganz ungerechnt verteilt ist, eigentlich kaum zum aushalten, wie schwer so ein Leben werden kann, obwohl man doch eben noch unbeschwert und jung und schön die Nächte durchgetanzt hat. 

Und dann sind wir um Mitternacht noch in die Kneipe gegangen, die tatsächlich immer noch existiert und in der geraucht werden darf und in der wir unsere halbe Jugend verbracht haben. Und die natürlich bis auf fünf verkrachte Existenzen und einer Barkeeperin mit ADHS komplett leer war. Wir waren die Attraktion der Nacht - und so zwangsläufig wie früher gelingt uns das nicht mehr. Wir blieben eine Stunde und als wir wieder an der frischen Luft waren, rochen wir an unseren Klamotten und fragten uns, wie wir diesen Gestank früher nur ausgehalten haben. 

Süßer Vogel Jugend...

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Unbedingt lesen:

A grouchy German  Und alles von Alexander Gorkow

Unbedingt hören: Nick Drake; River Man