Freitag, 29. Mai 2015

Berlin im Stau

Als ich aus dem Büro komme, laufen mir fünf kleine türkische Jungs entgegen, gewandet in schwarz-gelb "Bisstu auch für Dortmund?" brüllen sie mich an. "Loogo!" rufe ich. Man muss Kindern geben, was Kinder brauchen.

Mir schwant nichts Gutes. Fußball, 17. Juni gesperrt, das wird ein bißchen dauern, bis ich hier raus komme. Auf der Hardenbergstraße geht schon überhaupt nichts mehr. 

Aber ich bin ja schlau und beherzt. Eine Heldin der Straße. Fahre falsch in eine Einbahnstraße - die einzige, in der das sowieso alle machen, komme am BVG-Parkplatz vorbei, schon stehe ich. Nicht lange, dann quetsche ich mich zwischen Busse und stehendem Gegenverkehr,  biege auf den Parkplatz vor dem Zoologischen Garten ein und... rien ne va plus.


Dann, großer Fehler: ich schalte den Motor aus, ohne die Halbautomatik vorher auf "N" zu stellen, das hat die Einkaufshilfe gar nicht gerne. Dann macht sie keinen Mucks mehr, wenn ich wieder starten will (Genauso wenig, wie sie in den Rückwärtsgang schaltet, wenn ich nicht zuvor wenigstens ein paar Zentimeter im ersten Gang nach vorne gefahren bin. So freue ich mich einerseits, dass mein ohnehin saugutes Parkplatz-Karma in elliptische Höhen geschossen ist, weil ich in jede noch so verschissen kleine Lücke passe, auf der anderen Seite stets zu bedenken habe: immer genug Platz  nach vorne, denn rückwärts aus dem Stand - no chance. Wenn das hier jemand liest, der Ahnung hat: bitte melden).

Da stehe ich also im Mega Stau direkt vor dem Zoo und die Möhre rührt sich nicht. Ich versuche alle Tricks. Ich steig aus, schließe die Tür, steig wieder ein, Schlüssel rein, nix. So geht das eine ganze Weile. Ich versuche, meine Würde zu bewahren und überlege, wo ich ein Vorzelt herbekomme, oder ein Zelt, in das ich uns beide unterstellen kann, denn ich werde hier übernachten müssen, vielleicht auch für immer bleiben müssen. Ich bin nicht im ADAC. Die Frau vom Bahnhof Zoo.

Die Autos vor mir fahren weiter, die Autos hinter mir müssen stehen bleiben. Irgendjemand wird mich exekutieren, lange wird's nicht mehr dauern, einer wird aussteigen und Amok laufen. Vermutlich ich selbst. Fuck, ich bin seit halb sieben im Büro, todmüde, es ist schwül, ich will nach Hause, verlange ich zuviel vom Leben? Nein, ich heul jetzt nicht. ICH HEUL JETZT NICHT.  Dabei würde ich gerne heulen, das erleichtert. Ich heule viel zu selten.

Ich trickse weiter am Auto rum, mach mich zum Klops; ich weiß ja, was die anderen denken. Irgendwann besinnt es sich und lässt sich starten.  

Erleichterung ist ein wirklich unterschätzter Gefühlszustand. Da hat noch keiner Abhandlungen drüber geschrieben. "Dangerous disease pattern in brain before facilitation" , "Die Erleichterung - manchmal besser als ein Orgasmus", "Make easing not war". Ich glaube, Kriege entstehen im Grunde durch Staus.

Am Kudamm ist alles überstanden und ich komme ohne weitere Vorkommnisse nach Hause. Dort fängt mich meine Freundin von gegenüber ab und bittet mich auf eine Zigarette in ihren Garten. Mir ist so matt und malade, aber die neuesten Skandalitäten ihres abtrünnigen Gatten höre ich mir an, bis ich endlich in meiner nunmehr teilweise schlammbraun getrichenen Wohnung ankomme, was ihr tatsächlich eine museale schöner-wohnen Atmosphäre gibt. Auf deutsch: so richtig heimisch fühle ich mich noch nicht. 

Ich lass mich aufs Sofa fallen und schlafe sofort ein. Wache wieder auf, es ist schon dunkel, mit Halsschmerzen. Wenn Erkältungen mit Halsschmerzen beginnen, wird's immer schlimm, das weiß jeder Hypochonder. Aber ich erinnere mich an das Gegenmittel, das ich auf Anraten einer Kollegin im Februar prophylaktisch erworben habe, als die Grippewelle tobte und ich wie durch ein Wunder verschont blieb. Ich benutze es das erste Mal: eine Viertelstunde später ist alles wie weggeblasen. Ein Teufelszeug, keine Ahnung, was ich mir da in die Nase sprühe, aber it works.

Nun gut, ich fühl mich wie Brei. Dagegen hilft's wohl nicht. Das Wochenende kann kommen

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