Mittwoch, 4. Januar 2017

Alte Männer im Straßenverkehr

Stolz war ich und auch überrascht, dass im Dezember und an Weihnachten alles um mich herum umfiel wie die Fliegen und ich trotz räumlicher Nähe pumperlgesund blieb. 

Ich wäre auch sauer gewesen, wenn sich die langersehnten freien Tage nicht hätten genießen lassen, weil ich musste unbedingt was zum genießen haben, und sei es auch nur Langeweile und ein Gefühl der Leere, dass sich bei mir immer einstellt, wenn ich mich wochenlang am Limit bewegt habe. 

Dann phantasiere ich mir stets Tage herbei, an denen ich niemanden sehen und sprechen muss und wenn's soweit ist, genieße ich das genau einen halben Tag; unmittelbar im Anschluss legt sich was arg deprimierendes in die Stille, was mir dann auch wieder nicht recht ist.

Arbeitnehmerfreundlich wurde ich am letzten Urlaubstag krank.

Und gleich musste ich schon wieder die Polizei anrufen. Ich hatte mich zur Apotheke geschleppt und auf dem Rückweg fuhr ein Auto auf der gegenüberlegenden Seite mit aller Ruhe in einer langen geraden Linie in den Gegenverkehr und knallte in den Wagen vor mir. Und dann fuhr er weiter, ohne den Hauch einer erschrockenen Ausweichbewegung, als sei nichts passiert, an mir vorbei und ich gestikulierte, dass er anhalten soll.

Ich stieg aus und rannte zu ihm rüber. Im Auto saß ein hornalter Mann mit fortgeschrittenem Greisengesicht, aber im Blaumann."Wassn bassierd?" fragte er. Wenn er das nicht weiß, dachte ich mir, dann ist ihm gerade was passiert und ich fragte, wie es ihm geht. "Sähr guud" sächselte er.

Zufällig kam ein Krankenwagen vorbei, aber der Mann verweigerte eine Untersuchung, nichtmal den Blutdruck wollte er sich messen lassen. Es gehe ihm sehr gut, beteuerte er immer wieder. Er hätte rein gar nichts. "Näää, isch gäh nich in den Wogn rein, gommd nich in die Düde. Is jo nüschd bassierd, nu?" Die Sanitäter beteuerten sanft, dass es nicht um Schuld gehe, sondern das man nur schauen wolle, ob alles okay mit ihm ist. Keine Chance.

Der Krankenwagen fuhr weiter.

Ich konnte ihn verstehen und erkannte mich in ihm wieder. Wahrscheinlich ein Hypochonder, der gar nicht wissen will, was mit ihm ist. Er hatte panische Angst, das sah man, auch wenn er sich in seinem Blaumann mit letzter Kraft den Anschein eines Mannes zu geben versuchte, der voll im Saft steht. 

Die Polizei kam nicht. 

Wahrscheinlich ist er noch als Hausmeister zugange. Bessert sich die Rente auf. Fühlt sich nützlich. Springt dem Tod von der Schippe durch Vollbeschäftigung. Ausgebremst durch einen Blackout und durch mehr Glück als Verstand ist niemandem was passiert. Nur zwei Autos geschrottet. 

Leute wie ich, die ihn überreden wollen, sich untersuchen zu lassen, sind die Pest, die kann er nicht gebrauchen. Ich gefährde nur seinen Führerschein, weiter nichts. Ich versteh das, gebe der Frau aus dem anderen Auto meine Karte und trolle mich.

11 Kommentare:

  1. Pumperlgesund, diese kleine Bestandsaufnahme.

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  2. Ich kenne das. Zu viel Ruhe ist nicht gut. Der Kopf kreist dann zuviel um sich selbst. Und irgendwie hängt man plötzlich nur rum und ist unzufrieden

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    1. Eigentlich liebe ich Ruhe sehr. Aber nach einer anstrengenden Zeit kann ich zunächst nichts mit ihr anfangen.

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    2. Stresshormone brauchen mindestens 72h um sich abzubauen. Nach sehr anstrengenden Phasen sogar länger

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  3. sie werden ihm den Führerschein abnehmen, so oder so. Dann war´s das mit dem Blaumannleben und mit dem Leben überhaupt. Man sollte ihm einen Bausatz für ein ferngesteuertes Flugzeug schenken, oder eine Drohne.
    Ach, traurig.

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    1. Du bringst es mal wieder auf den Punkt. Genau das wollte ich ausdrücken.

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  4. Ich verstehe das auch, dass er das nicht brauchen kann, dass ihm jemand seinen Führerschein gefährdet. Aber noch mehr verstehe ich, dass es absolut gut ist, dass so jemand keinen Führerschein mehr besitzt.
    "Is jo nüschd bassierd, nu?" ist kein Argument, wenn Andere gefährdet wurden.

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    1. Würde ich normalerweise unterschreiben. Aber dabei zu sein, wie das aktive Leben eines Menschen unvermittelt endet, war wirklich sehr traurig.

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    2. Verwechselst du da nicht "automobiles" mit "aktivem" Leben...? ;) Das wirklich(!) "aktive Leben" hätte auch jenes eines Kindes sein können, welches grade von ihm über den Haufen gefahren wird.

      Hatte vor ein paar Jahren selbst die Erfahrung gemacht, als mir (auf dem Rad unterwegs) ein Rentner aus der Gegenrichtung links abbiegend an einer Kreuzung brutal die Vorfahrt genommen hat - und nach dem (Dank meines siebten Sinns und meiner Sturzkünste glimpflichen) Zusammenprall einfach weitergefahren ist! Bei der Polizei gab er später an, er hätte nicht einmal bemerkt, dass es eine Kollission gab...

      Etwa ein Jahr ist es her, als mir in einem Verkehrskreisel ein verwirrtes Renterpärchen(!) links herum entgegen kam - da fehlte auch nicht viel...

      Autos sind im Grunde: gefährliche Waffen! Und wer nicht mehr die nötige Übersicht hat, muss es untersagt werden, sich selbst, aber vor allem auch andere zu gefährden!

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    3. Für einen alten Menschen im Blaumann ist aktives Leben sicher nicht zu trennen vom automobilen Leben.

      Wir alle kennen Beinah-Unfälle. Manchmal sind wir sogar selbst die Verursacher, obwohl viel jünger. Was gibt es nicht für Vollidioten, die vorsätzlich das Leben anderer gefährden. Und da liegt der Unterschied.

      Für uns alle kommt die Zeit, da wir voraussichtlich nicht mehr verkehrstüchtig sind, schon klar. Und wenn wir klug und einsichtig und weise sind, geben wir den Lappen freiwillig ab. Aber wahrscheinlicher ist es, dass wir uns für fit genug halten werden.

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