Dienstag, 21. März 2017

Bedeutende Dates

Ich bin eingeladen, um 16 Uhr soll ich bei ihm sein. Ich habe ein bisschen Hunger. Es soll sich rächen, dass ich annahm, es gäbe irgendetwas zu essen. Es gibt nicht mal was zu trinken. Genauer gesagt, mache ich gerade drei Schritte in seine Wohnung. Er bleibt gleich im Flur stehen und fängt an wie ein Wasserfall zu reden. Er spricht wie jemand, dem vieles im Kopf umhergeht und alles muss raus, sofort. Freie Assoziation. Nichts persönliches, sondern Name-dropping. 

Wen er alles kennt und wer ihn alles kennt, ist leicht zu googlen, seinen eigenen Wikipedia Eintrag hat er natürlich auch. Er bewegt sich in Kreisen, die ich interessant finde und in denen ich mich gelegentlich, sehr periphär, ebenfalls befinde. An so einem Abend habe ich ihn kennengelernt. 

Mich beeindruckt an einem Mann Wissen, Autonomie und Herzlichkeit. Mit Yachten braucht man mir nicht zu kommen (einzig ein eigenes Gestüt würde mich willenlos machen). 

Nach 10 Minuten im Flur unterbreche ich seinen Redefluss und bitte um eine Sitzgelegenheit. Wir gehen Richtung Wohnzimmer, bis zur Ankunft in diesen aus vielerlei Gründen beeindruckenden Raum vergehen weitere 20 Minuten, weil er mir - metaphorisch gesehen - jedes Staubkorn vorstellt. 

Natürlich handelt es sich nicht um Staubkörner, vielmehr fühle ich mich zusehends wie ein Staubkorn, denn ich habe unter anderem Zettels Traum nie gelesen und werde es auch nicht tun. Wie gesagt, ich bewege mich nur am Rande, ohne substanzielles Wissen, das wird mir gerade klar. Ich konstatiere insgeheim, dass meine Einschätzung, ich sei umfassend halbgebildet, wahrscheinlich einer krankhaften Selbstüberschätzung geschuldet ist. 

Was er aber auch alles weiß! Ich schwanke zwischen ehrlicher Bewunderung und einer zunehmenden Ungeduld, denn leider höre ich mich auch gerne reden, komme aber nicht zu Wort. Ein Lächeln hat sich in mein Gesicht gegraben, ich bekomme leichte Zuckungen, so anstrengend ist es, diesen gleichmütigen Gesichtsausdruck zu behalten. 

Ich kann es ihm nicht mal übel nehmen, denn mit  kindlicher, durchaus mitreißender Begeisterung hastet er von Thema zu Thema, er springt dauernd auf, um dieses oder jenes zur Untermauerung seiner Gedankensprünge zu holen, bedauerlichweise ist kein Tee darunter, der mich erwärmen könnte. Es ist saumäßig kalt bei ihm und ich sitze auf einem dieser Designerstühle, die immun gegen Körperwärme sind und ich beginne mir Sorgen um meinen ohnehin geplagten Rücken zu machen. 

Er ist ohne Dünkel oder lässt sich nicht anmerken, was er wirklich davon hält, wenn er einen Namen erwähnt, den ich erkennbar noch nie gehört habe; ich glaube, ich habe noch nie an einem Tag soviele Namen zum ersten Mal gehört. Er ist fraglos ein Mann mit einer Passion. Er kann sich versenken und die Welt draußen lassen, ist sich selbst genug. Es scheint ihm nichts zu fehlen, aber da er bei allem Redefluss und freundlicher (wenn auch nicht unbedingt gastfreundlicher) Herzlichkeit verschlossen wie eine Auster ist, kann ich das natürlich nur vermuten. 

Inzwischen sitze ich steifgefroren und so gerade wie möglich, jeglicher Illusion beraubt, dass ich ein heißes Getränk bekomme. Drei Stunden sind vergangen, ich habe ca 5% der Unterhaltung bestritten, was mir eigentlich sonst nur im Vabali passiert, weil ich dort grundsätzlich in stumme Tiefenentspannung falle. 

Jedenfalls habe ich zu Durst jetzt auch wirklich Hunger, aber hier wird's nichts geben, deshalb muss ich gehen, obwohl ich eine gute Zuhörerin bin und das sogar richtig gerne, wenn mir jemand etwas erzählt, was mich interessiert und womit ich mich verbinden kann. Hier allerdings bin ich nur Applausgemüse und das ist dann doch etwas fad. 

Der Weg nach draußen dauert auch wieder recht lange, denn es gibt noch weitere Staubkörner, die behandelt werden müssen. Er sagt, dass ich ihn bald wieder besuchen soll, er würde sich freuen. Ich glaube ihm kein Wort.

18 Kommentare:

  1. Ich glaube ihm! Aber würdest du dich auch freuen? Ich empfehle auf jeden Fall fürs nächste Mal eine Verabredung im Restaurant.

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    1. Das würde nichts am Setting ändern, außer, dass ich etwas zu essen bekomme ;)

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  2. Männer die viel reden finde ich verdächtig.

    Ich mag das Wort Applausgemüse...

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  3. Lass' mich raten, du warst bei einem Pfarrer zum Taufgespräch?

    Falls nicht:
    Menschen, die so viel reden haben in der Regel keine Freunde. Und ein Mensch mit Freunden wäre mir lieber, als einer mit Yacht.
    (OK, beim Gestüt würde ich auch eine Ausnahme machen. Vielleicht...)

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    1. Wir haben es mit der Regel von der Ausnahme zu tun.

      So ein Mann mit Gestüt, das wär schon was. Hach...

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  4. Vorsicht bei Dates, die zeitlich auf nach "Kaffe & Kuchen" und vor dem Abendessen terminiert werden ;) Meine Oma väterlicherseits lud immer mit den Worten "Komm gleich nach'm Kaffee, damit vor'm Abendessen wieder gehen kannst!" zu sich ein.

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  5. schätze mal, dem knaben mit dem wikipediaeintrag ist nicht mal ansatzweise klar, was ihm da gerade durch die lappen gegangen ist.

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    1. Très charmant, mein Lieber. Aber er ist...hm... sein eigenes Universum, daher fehlt ihm nichts. Beneidenswert.

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  6. Uh, eine Dauerwerbesendung auf 2 Beinen

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    1. Nee, das wird ihm nicht gerecht. Er ist ein wirklich herzlicher Mensch, fokussiert auf andere Dinge als üblich.

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  7. Darf ich mal eben dein Applausgemüse sein?

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