Dienstag, 14. März 2017

Die Digitalisierung - handmade

Als dieses Gequatsche von der Digitalisierung anfing, dachte ich bei mir "Hä? Hab ich doch schon längst alles gemacht."

Und das ging so: Als ich vor Jahren meinen Job als Assistentin begann (als Quereinsteigerin, weil mich nach Jahren im Außendienst die romantische Vorstellung ergriff, wie schön es sein muss, kein Geld mehr nach Hause bringen zu müssen ((=Exklusivverträge mit den berühmtesten Bibliotheken der Welt abzuschließen)) und stattdessen still in einem abschließbaren Vorzimmer zu sitzen und ganz in Ruhe alle geheimen Mails für Cheffe noch vor ihm zu lesen und meine Schlüsse daraus zu ziehen. 


Ab und an mal Termine für ihn vereinbaren, einen Tee kochen, eine Präsi bauen, die Post öffnen und verteilen - wenn sich das nicht nach stillen Tagen in Clichy anhört, dann weiß ich auch nicht.

Als ich mein neues Durchgangsbüro mit vier stets geöffneten Türen bezog, war eine gigantische Schrankwand befüllt mit Leitzordnern. Die Rückenschilder waren im Lauf der Jahre von allen möglichen Leuten in allen möglichen Farben beschriftet worden, in der Regel unleserlich.

Meine erste Maßnahme war, einen Aktenplan zu erstellen, einmal alphabtisch und einmal numerisch ausgedruckt (aber natürlich erst, nachdem ich die Ordner alphabetisiert und nummeriert hatte - war das eine Schweinearbeit). Dann baute ich eine Powerpoint-Präsentation für Rückenschilder, ließ die Firmenfarbe einfließen und tippte alle Nummern und Inhaltsangaben ein. Als alles neu beklebt war, sah die Wand gleich viel schöner aus, und Cheffe, der mich anfangs belächelte, nannte mich von da an anerkennend Orga-Nazi.

Ein Jahr später hatte ich längst festgestellt, dass diese Ordner bis auf ein paar wenige Ausnahmen nicht benutzt wurden. Also machte ich Cheffe Vorschläge, was ich entsorgen will. Kurz darauf wurde er entmachtet und den Neuen wie auch alle folgenden fragte ich gar nicht mehr. Jahr für Jahr verschwanden mehr Ordner und niemand fragte je nach ihnen.

Die, die in Benutzung waren, machte ich sukzessive überflüssig. Du meine Güte, es war ja auch alles im Laufwerk abgespeichert und ich machte mir verdammte Sorgen um den Regenwald, an dessen Vernichtung unsere Firma einen nicht unwesentlichen Anteil hat. 

Nun sind wir ja kürzlich alle umgezogen worden und ich wollte meiner potentiellen Nachfolgerin kein überflüssiges Erbe hinterlassen. Außerdem hatte ich keine Lust auf die Einräumerei. Ich hatte noch jede Menge Rechnungsordner, aber nach Rücksprache mit der Buchhaltung meinten die, ich brauche nur das vergangene Jahr aufbewahren, sie hätten selbst alles längst eingescannt. 

Mein Talent zum wegschmeißen lebte ich manisch aus und am Ende blieben von einst 241 Ordnern genau 11 Stück übrig. Wenn das keine Digitalisierung ist, dann weiß ich auch nicht. 

Wikipedia meint: "Der Begriff Digitalisierung bezeichnet die Überführung analoger Größen in diskrete (abgestufte) Werte, zu dem Zweck, sie elektronisch zu speichern oder zu verarbeiten. Das Endprodukt oder Ergebnis der Digitalisierung wird mitunter als Digitalisat bezeichnet."

Sag ich doch. Digitalsalat. Und jetzt tun die alle so, als hätten sie's eben erfunden. Das einzige, was es braucht, sind häufig wechselnde Chefs und verschwiegene, optimierungswütige Tippsen, die mutig ihre eigenen Entscheidungen treffen. 

Ich kann natürlich nicht damit angeben, weil es sich um eine heimliche Digitalisierung handelt.

6 Kommentare:

  1. http://www.kleiner-kalender.de/event/sprachlos-tag/57548.html

    ... machst MICH - damit - fröhlich SPRACHLOS (ړײ) !!! *RESPEKT*

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  2. Liebe Annika, ich denke wir suchen hier in 1-2 Jahren einen Innendienst. Spätestens wenn der Kollege in den Ruhestand geht. Dann muss aufgeräumt werden.
    Der Kollege arbeitet wie folgt:
    Er schickt ein Angebot, welches im System erstellt wurde, via Mail raus. Er druckt das Angebot plus Mailanschreiben aus. Der Kunde antwortet mit "Danke". Er druckt die Mail nebst vorherigen Kladeradatsch aus.
    Wenn man Glück hat, legt er es irgendwann im Ordner ab. Die Projektordner sind nach Datum sortiert!
    Wenn er nicht da ist, verbringe ich einen Großteil meiner zeit damit in Ordnern zu wühlen und ggf. die gleiche Mail wegen dem Ausdrucksystem 15x zu lesen.
    Im System legt er nichts ab. Er will keinen Datenmüll fabrizieren.
    Also, falls Du in den nächsten Jahren einen Job mit geregelten Arbeitszeiten und entspannter Grundstimmung suchst und diese Aufgabe das aufzuräumen nicht scheust, bewirb Dich ;-)
    Ich bestelle im Notfall einfach einen großen Container

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    1. Nachdem wir bereits 2x einem Servercrash mit nicht unerheblichem Datenverlust und auch einigen Netzwerkproblemen, bei denen wir dankbar waren für.. äh.. die analoge Informationsquelle, besteht der Chef darauf, dass wir zumindest wichtige Post, auf die mal ein anderer als der Bearbeiter zugreifen wollen würde, ausdrucken (Angebot+Mail) und abheften. Von "Kettenmails" (hier Ihr Angebot, ah ja danke, hab da noch ne Frage, ach so ja hier die Antwort bla bla) wird nur das aktuell Geschriebene/ Geantwortete ausgedruckt.
      Da es nicht immer klar differenziert werden kann, was ist wichtig, was nicht, und das jeder auch für sich selber entscheiden muss, besteht freilich ein nicht unerheblicher Bestand an Ordnern. Die aber je nach Inhalt entsprechend zeitnah archiviert und nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist vernichtet werden. In einem mittleren Unternehmen wie bei uns durchaus umsetzbar ;)

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    2. @ Nelly: geregelte Arbeitszeiten und entspannte Stimmung? Warum nicht schon heute?
      @ Helma: aber der Regenwald?

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    3. @Helma:
      Habt Ihr keine reduntanten Festplatten, Schattenkopien, Bandsicherungen,...???

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  3. Absolut vorbildlich :)

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