Donnerstag, 24. August 2017

Der Ex meiner Schwester


Meine Schwestern und ich haben Talent, mit unseren Exen befreundet zu bleiben und die aktuellen Männer damit nicht zu verärgern. Die Dinge sind lückenlos befriedet. Mindestens je ein bedeutender Ex ist in den Familienstand erhoben und begleitet unser aller Leben. So auch der Ex meiner Schwester, der diverse angenehme Eigenschaften auf sich vereinigt.

Für mein Dafürhalten ist seine beste Eigenschaft seine Berufswahl: Arzt. Alle paar Jahre sitze ich zähneklappernd vor ihm, weil irgendwelche Malaisen dann doch einen Besuch in seiner Praxis verlangen. Für diese kurze Zeitspanne sind dann verkehrte Vorzeichen in unserer wahlverwandtschaftlichen Beziehung. 

Aber heute, im Garten meiner Schwester, war alles wieder wie immer. Er sitzt ruhig am Tisch, meist nachdenklich, mit feinem Humor. Er trauert seit Jahr und Tag der Nachfolgerin meiner Schwester nach, kann sich aber auch nicht aufraffen, einen vernünftigen Neustart auf die Beine zu stellen (und dabei wäre es egal, ob nun mit ihr oder ohne sie; sein Talent liegt zweifellos im verharren).

Meine Schwester versucht seit geraumer Zeit, ihn mit einer Kollegin zu verkuppeln, die auch zugegen war. Sie ist erkennbar interessiert; es tat fast ein bissel weh, zu sehen, wie bemüht sie und wie wenig er interessiert war. Kein Echo, kein Blick wurde erwidert und als sie mehrmals sagte, er solle doch einfach mal zu ihr kommen, ging er mit angeborener Nonchalance darüber hinweg, freundlich, aber distanziert. 

Ich hielt später, als sie gegangen war, einer anderen liebeskranken Person am Tisch einen feinfühligen Vortrag über die Bindungstheorie, mit deren Untiefen ein jeder schon seinen Kummer hatte und vermutlich auch noch einige Male haben wird: am meisten hängt man den Menschen nach, die einen am langen Arm haben verhungern lassen, die keine Entscheidung treffen, sondern dafür sorgen, dass der andere die Entscheidung trifft, weil er eines Tages so entkräftet davon ist, den anderen irgendwie in der Beziehung zu halten, dass nur noch Aufgabe aus Selbstschutz das letzte Mittel der Wahl ist.

Meist leider 4 Jahre zu spät, weshalb sich dann auch die Leidenszeit erheblich verlängert, da man fortan damit beschäftigt ist, sich nicht zu verzeihen, dass man das Elend solange erduldet hat; wenn man ganz viel Pech hat, dauert das auch noch mal 4 Jahre, für gewöhnlich aber nur 2 Jahre, dann endlich gilt dem anderen morgens nicht mehr der erste und abends nicht mehr der letzte Gedanke. 

Der Ex meiner Schwester seufzte mehrmals zustimmend. Und als ich sagte, ich wasche jetzt mal ab, belebte er sich, "Ich helfe dir" und folgte mir in das entzückende Datschen-Häuschen.



Ich kenne das Phänomen, da rede ich eine Weile schlau vor mich hin und dann sehen mich Männer plötzlich ganz anders an, man könnte auch sagen, dass ich für einen Moment zur Last-Exit-Frau avanciere. Oder zur Mutti, die alles wieder heil macht; ich bin da ganz realistisch. Ich schau Männer mit demselben Talent zur empathisch angehauchten Klugscheißerei ebenso sehnsüchtig an. Wir sind ja alle bedürftige Fässer ohne Boden. 

Ganz harmonisch beschlossen wir, dass ich abwasche und er nicht abtrocknet, weil es das ja ganz von allein tut. Er meinte, dass er die Kollegin meiner Schwester zwar nett findet aber weiter eben nichts und ich meinte, ich hätte da eine tolle Freundin, die ich ihm gerne mal vorstellen würde. Er seufzte wieder. "Du kiffst zuviel, das macht auf Dauer freudlos."

Und später, als wir alle mit dem schlafenden Kind meiner Nichte zu unseren Autos und Fahrrädern durch die Dunkelheit schlenderten, sagte er, er begleitet mich noch zu meinem Auto, das genau 10 Meter entfernt stand. Noch eine ganze Weile lehnte ich an meinem Auto und er an seinem Fahrrad und wir plauderten über Depressionen ab einer gewissen Lebensspanne.

"Weißt du was? Wir kennen uns alle so lange, wir wissen, wie wir waren, als wir jung waren und nun werden wir gemeinsam alt, sehen uns beim verwelken zu und das wird nicht schön, aber wir passen aufeinander auf und das ist doch auch nicht schlecht."

"Nein", lächelte er, "so schlecht ist das nicht." 
 

11 Kommentare:

  1. Das ist wunderbar. Und es ist so wunderbar geschrieben. Hach...

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  2. hach allerdings, geht es nicht uns allen so?!

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  3. "Wir sind ja alle bedürftige Fässer ohne Boden."
    Sätze wie Seide.

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  4. Mal wieder formidable geschrieben.

    (Dass er ganz putzig hinter dir herdackelt kriegste aber schon mit, oder?)

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  5. *Seufz*..... ein Hauch von Melancholie - und die Wahrheit...
    Irgendwie traurig, aber auch schön! Das hast Du gut gesagt!

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