Montag, 15. Januar 2018

Auf der Flucht

Auf dem Weg nach Hause fährt plötzlich ein Auto neben mir, es bleibt auf meiner Höhe. Ich bin genervt. Was soll das? Ich geb Gas. Er gibt Gas. Ich bremse, er bremst. Ich wechsel die Fahrbahn, er wechselt sie auch.

Mir wird unbehaglich. An der Ampel, die ich bei hellrot überquere, bleibt er stehen. Abgehängt.

Denke ich. Auf der Autobahn holt er mich wieder ein, bleibt dicht hinter mir, fährt dann wieder neben mir. Ich schau starr geradeaus, erstmal ist das auf der Autobahn immer gesünder, zweitens erkenne ich bei einem flüchtigen Blick nach links niemanden, es ist ja dunkel.

An der nächsten Ampel fahre ich bei rot drüber und drück dann auf die Tube, es hat keinen Sinn, er holt mich wieder ein. Fährt wieder neben mir. 

Ich bekomme es mit der Angst zu tun und überlege, wo sich in der Nähe eine Polizeistation befindet, zu der ich  mich flüchten kann, aber ich habe keinen Schimmer. Da ich sehr schnell fahre, kann ich auch google maps nicht befragen, meine ganze Aufmerksamkeit brauche ich, um diesen Idioten hakenschlagend abzuhängen. 

Dann kommt die große Kreuzung, an der ich links abbiegen muss. Da ist immer eine ganz lange Schlange und ich baue beinah einen Unfall, weil ich in letzer Sekunde halsbrecherisch nach rechts ausschere; das Auto hinter mir muss eine Vollbremsung machen und ich schramme gerade so an dem Auto vor mir vorbei. Dann rase ich mit 80 Sachen auf die Kreuzung zu und biege dann in zweiter Reihe links ab. Unmöglich, mir dabei zu folgen. Alles hupt und hält mich für irre.

Nimm dies, du Arsch, dich bin ich los. 

Ich fahre mit Affentempo weiter und bin heilfroh, als ich in die Seitenstraßen einbiege, die mich im Zickzack zu meiner Wohnung führen. Kein Auto mehr hinter mir. An der letzten kleinen Kreuzung kommt mir der Verfolger ENTGEGEN. Ich mache mir in die Hose. Ich versuche mich zu beruhigen, vielleicht ist er es gar nicht. Er kann es gar nicht sein.

Biege zitternd in meine Straße ein und fahre in eine Einfahrt. Der Verfolger bleibt hinter mir auf der Straße stehen und wartet mit laufendem Motor. Ich sitze in der Falle und schließe mit meinem Leben ab. Es ist 20 Uhr abends, und ich wohne im "Grab im Grünen", niemand wird mich hören. 

Gut dass ich den Kugelschreiber dabei habe, neulich hatten wir im Büro ein Sicherheitstraining für Frauen und da habe ich gelernt, dass nichts über ein Kugelschreiber geht, mit dem ich dem Angreifer von oben ins Gesicht steche, oder noch besser, von vorne, direkt ins Auge. 

Vorsichtig öffne ich die Autotür, der Verfolger öffnet sein Fenster und ruft: "Ich wollte dir nur sagen, ich bin nicht dein Stalker, nicht dass du dir Sorgen machst!"

Fassungslos seh ich in die Gesichter meiner neuen Nachbarn, die vor vier Wochen hier eingezogen sind. Sie kommen aus einem Kaff. Er ist als Polizist hierher versetzt worden, daher konnte ich ihn auch nicht abschütteln, schätze ich. Der ist ja staatlich geprüft in Verfolgungsjagden.

Ächzend sage ich: "Spinnst du? Ich hätte beinah einen Unfall wegen dir gebaut!"

"Als wir dich in Charlottenburg entdeckt haben, habe ich immer neben dir gewunken und als du dann so fluchttartig gefahren bist, bin ich hinter dir her, um dich zu beruhigen und dir zu zeigen, dass nur wir es sind, aber du hast ja nie zu uns rüber geguckt. Ich wollte nur, dass du dir keine Sorgen machst."

Ich muss ihm noch klarmachen, dass man sowas in Berlin nicht macht. 




21 Kommentare:

  1. Ich frag mich grad, warum er wohl versetzt wurde ;)
    Hatte grad nur vom Lesen nen 200er Puls!

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  2. Wenn er morgen zur Arbeit geht, wird er als erstes Deinen Namen in den Fahndungscomputer eingeben.

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  3. Ich hoffe, es kommt nicht als Mansplaining rüber, wenn ich sage: Nicht machen, sowas. Bei solchen gefährlichen Fahrmanövern unter Adrenalin baut man ratzfatz nen Unfall, damit ist keinem gedient, und der "Verursacher" wird auch abhauen.

    Stattdessen: Türen und Fenster zu, rechts ran, Motor laufenlassen, warten. Was will er denn machen?

    Entweder die Situation klärt sich, oder man ruft halt die Polizei an. Sollte eine Waffe zum Vorschein kommen oder man sonst das Gefühl haben, gleich ginge eine Scheibe zu Bruch, kann man immer noch abhauen -- am besten direkt zur während der Standzeit ins Navi getipperten Polizeistation.

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    1. Du hast ja recht, aber ich habe im Affekt gehandelt. Es war das erste Mal, dass mir so etwas passiert ist. Und ich bin auch noch heute Morgen stinksauer, dass er zwar gemerkt hat, dass ich wohl irgendwie beunruhigt bin, aber nicht kapiert hat, dass er mich wirklich in Gefahr bringt, wenn er mich immer weiter verfolgt. eine einfache SMS am späteren Abend mit dem Hinweis, dass er es gewesen ist, hätte ja vollkommen genügt.

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    2. Natürlich bist Du zu recht sauer! Und natürlich machen wir im Affekt alle mal dumme und gefährliche Sachen. Ich hoffe, daß Dir das nie wieder passiert -- aber wenn, dann hoffe ich, daß Du dann besonnener reagieren kannst. Wär nämlich schade drum ;-)

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    3. Ich werde mir alle Mühe geben. ;)

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    4. P. S. Jedenfalls habe ich einiges Talent, um den Fluchtwagen zu fahren

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    5. Ich bin mal über 10 km verfolgt worden, im Dunkeln, in ländlicher Gegend. Er (oder sie?) fuhr so dicht auf, dass ich nicht mal mehr sein (oder ihr?) Licht sehen konnte. Nie im Leben wäre ich rechts rangefahren, denn da hätte ich ja in der Falle gehockt.
      Wer das war? Was er (oder sie?) wollte? Keine Ahnung, irgendwann waren se weg...
      Selten so eine Angst gehabt.

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    6. Versteh ich gut! Ich bin ja schon mitten in Berlin um zehn Jahre gealtert.

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  4. Schön das es sich schenll geklärt hat. :)

    https://www.youtube.com/watch?v=GMzz1OyyiWc

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    1. Schnell ist anders! 13 Kilometer durch die Stadt. *schnaub*

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  5. Danke... die unterhaltsame Geschichte zur Mittagspause. Grandios.

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  6. Der ist nicht ganz dicht, der Mann.
    Dass Du überhaupt die Autotür geöffnet hast! Echt mutig.

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    1. Hatte doch den Kugelschreiber.
      Und ich konnte ja auch nicht für immer im Auto sitzen bleiben. Nein, ehrlich, ich weiß auch nicht, was mich geritten hat, dass ich die Türe öffnet habe. Ich glaube es war eine Scheißwut. Ich hatte Superkräfte. Praktisch. Theoretisch.

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  7. "...leider muss ich dir ein paar Strafzettel verpassen, wegen 80 in geschlossener Ortschaft und der roten Ampel, du verstehst? Aber hey, komm doch die Tage mal vorbei, wir haben frisch aufgesetzten Heidelbeerlikör da..."
    So oder so ähnlich...
    :-)

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    1. Ehrlich gesagt waren es drei rote Ampeln.
      Jetzt sind schon über 24 Stunden vergangen und ich bin immer noch sauer.

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    2. Ich wäre auch noch sauer. Und wenn Du ein Ticket kriegst, ist er dran. Wegen Nötigung.

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  8. OMG, ich hab jetzt 5 Minuten nur Tränen gelacht :-))))) und hoffe, du bist ihm nicht mehr böse...

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    1. Ich hab mich schon gefragt, wann du es lesen wirst. Inzwischen habe ich es weggeatmet. Gib es ihm bitte nicht zu lesen. ;)

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