Dienstag, 22. Mai 2018

Blair Witch Projekt am Teltow Kanal

Hatten wir so einen frühen Sommer schon mal? Ab Mitte April? Ich glaube nicht.

Ich hatte mich die letzten Tage schon in Form gebracht. Wann immer ich ins Büro musste - und das war selten genug - bin ich mit dem E-Bike gefahren. Den Motor immer nur angemacht, wenn's den Berg rauf ging.

Heute Premiere: normales Rad genommen. Was soll ich sagen? Es lief wie geschmiert. Ich hätte noch Stunden weiter fahren können.

Kurz vor dem Heimweg sprach mich ein Kollege an, der fast denselben Weg hat und gab mir lauter Tipps für ganz tolle Radwege. "Und dann kannst du direkt am Teltow Kanal bis nach Hause fahren."

Gute Idee. Ich also los, auf lauter lauschigen Straßen, von denen ich bis heute nicht wusste, dass es sie gibt. Dann am Hindenburgdamm links abgebogen, durch einen kleinen Park und schon war ich am Kanal. Es war die reine Freude.

Ich musste zwar mehrere große Straßen überqueren, aber bei meiner Konstitution ein Klacks. Die letzte große Straße lag hinter mir, als sich der breite Weg am Kanal plötzlich verjüngte. Und es lag auch lauter Sand, weshalb ich mich beinah gelegt habe. Ich stieg ab und schob eine Weile. 

Der Weg wurde noch schmaler, war nicht mehr befestigt und ich schob das Rad durch knöcheltiefen Sand oder Staub, durch so'n dreckiges Zeug halt. Die Bäume fielen mir auch fast auf den Kopf, ich musste mich durch's Unterholz schlagen und war sicher, dass 1000 kleine Zecken direkt auf mich stürzen und ich mit einer fetten Borreliose zuhause ankommen würde.

Der Weg nahm kein Ende, ich war inzwischen außerhalb jeder Zivilisation, meine entzückenden Glitzersandalen glitzerten kein bisschen mehr, meine Füße, gerade gestern liebevoll pedikürt, waren rabenschwarz. Ja Scheiße, bin ich Crocodile Dundee?

Keine Chance, wieder aufs Rad zu steigen, wegen des Wurzelgeflechts. Mir wurde blümerant und ich hatte keinen Schimmer mehr, wo ich war. Ich bin diesen Weg schon mal in die andere Richtung gefahren, aber das war damals ein richtig toller Weg ohne diesen Scheiß hier. 

Irgendwann ging ein Weg nach rechts, aber da er sehr steil nach oben ging und mit Kopfstein gepflastert war, blieb ich auf der staubigen Hölle. Solange, bis es nicht mehr weiter ging und ich vor dem Kanal und einem Seitenarm stand. Also wieder zurück auf den Kopfsteinpflasterweg, das Rad hochgeschoben, den Kanal überquert und weiter durchs Gestrüpp. Ich war mutterseelenallein und keiner konnte mir helfen. Das wuchs sich zu einem Blair Witch Projekt aus. Ich verfluchte den Kollegen, der mich auf diesen Höllentrip geschickt hat. Morgen werde ich ihn umbringen, schwor ich mir, jedenfalls, wenn ich hier lebend rauskomme.

Mir fing das Herz ein bisschen an zu klopfen, aber Panik bringt einen ja auch nicht weiter, also brachte ich mich mit einem Ordnungsruf zur Ruhe und stolperte weiter über Stock und Stein. Dann kam ich auf die schlaue Idee, mal in Google Maps zu gucken, wo ich eigentlich bin. Oha, eigentlich auf dem richtigen Weg. Es gab kein Zurück, ich musste weiter, irgendwann würde schon die erlösende Brücke kommen, an der ich mich wieder auskennen würde. 

Eins war klar: ich war völlig auf mich alleingestellt und würde mich selber am Schopf aus dem Sumpf ziehen müssen. Ich stapfte stinksauer durch die liebliche Einöde, deren Zauber sich mir nicht mehr erschloss. Ich wollte lauten Straßenverkehr, Autos, die mich meinetwegen abdrängeln könnten, irgendwas anderes als das hier.

Mir kam ein Jogger entgegen, der meinte, zwei Kilometer werden es schon noch sein. Ich war froh, dass es kein Kettensägenmörder war, denn der hätte leichtes Spiel mit mir gehabt. Ich versuchte sicherheitshalber wie kein Opfer zu wirken. Zur falschen Zeit am falschen Ort, man kennt das. 

Zwei Kilometer in der Einöde können sehr lang sein, wenn der Weg nicht mehr zu befahren ist und man dämliche Glitzersandalen trägt. Ich tat mir sehr leid und wollte am liebsten heulen, aber ich bin ja nicht so nah am Wasser gebaut, außer Prinz Harry heiratet. Ich hatte auch kein Zelt dabei, mit dem ich mir ein Nachtlager hätte aufschlagen können. Ich musste weiter, immer weiter. 

Nach weiteren zehn Kilometern erreichte ich endlich die Brücke. Noch nie freute ich mich so sehr über Autos. 

Zuhause angekommen sofort unter die Dusche gehüpft. Die Sandalen kann ich wegschmeißen, die sind hinüber, Zeugen meiner unfreiwilligen Kanal-Expedition. Ganz großes Kino. 

Ich muss der Wahrheit ins Auge sehen. Für die Wildnis bin ich nicht gemacht. 




8 Kommentare:

  1. Klasse Geschichte! Ich bin fast bildlich mit dir durch den Jungel gereist! ;D

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  2. "Ich versuchte sicherheitshalber wie kein Opfer zu wirken." :)
    Wie genau macht man das?

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  3. Schatzi,

    wenn mich mein eingestaubtes Oberstübchen nicht trügt, bin ich da auch schon mal radlerisch gestrandet.
    Habe hustend und prustend, mein Fluchrepertoire erschöpfend, kehrt gemacht um dann Folgendes festzustellen:
    der Radweg geht auf der anderen Kanalseite sauber und pflegeleicht weiter.

    Nein, das stand da nirgends.
    Aber mein wahrer Name ist Sherlock Holmes!

    Ps.: Beim Blair Witch saß ich übrigens fassungslos im Kino um grummelte die ganze Zeit über diese absolut unfähigen Waldspaziergänger. Meiner Treu. Jeder Baum hat eine Wetterseite.
    Wie doof kann man sein! Wer schreibt solche hirnrissigen Drehbücher!!!

    Viel besser: "Das Mädchen" von Stephen King.

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    1. Genau das habe ich mir auch gedacht: an einer der größeren Straßen hätte ich auf die andere Seite des Ufers wechseln sollen. Beim nächsten Mal passiert mir das nicht mehr.

      Blair Witch habe ich nie gesehen, ich hatte schon Alpträume von der Vorschau. Hatte ja keine Ahnung, dass ich das mal hautnah selber erlebe...

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