Sonntag, 17. Juli 2016

Der Himmel über Berlin

Nachdem ich mir eine Woche lang eine Auszeit genommen habe und nach dem Büro die Abende still auf dem Balkon gelegen und in den Himmel geschaut habe, mir quasi diesen gewaltigen Tritt in den Arsch weggehechelt habe (mein Körper tat sein übriges, erst zog ich ins Klo ein, dann zerhämmerte mir der Kopf und zum Schluss klemmte ich mir einen Nerv im Hals ein und konnte nur noch geradeaus kucken), was mir nur so halb gelang, ich daher beschloss, gar nicht mehr daran zu denken, weil es einfach so beschissen ist, dass ich keinen Schritt weiter komme mit Fleiß, Freundlichkeit und Kooperation nett sein... hach, mir schwillt schon wieder der Kamm, lassen wir das, also, nachdem diese Woche auch irgendwie rumgegangen ist, habe ich mich lustlos den Wochenendeinladungen gestellt.

Alle werden 50 - auch so eine Sache: wie konnte das passieren, dass wir alle schon so hornalt sind? Und so affenartig schnell ging das. Schon übermorgen steh ich an der Bushaltestelle, geh auf Rheumadeckenfahrt, als Lektüre die Apotheken-Rundschau auf's Ipad geladen.

Hab neulich gelesen, dass Deutschland noch nie soviele Frauen hatte, die zur selben Zeit in die Wechseljahre kommen. Ich möchte nicht gerade behaupten, dass von mir eine ernsthafte Gefahr ausgeht, aber wenn ich ehrlich bin, so cirka dreimal pro Tag möchte ich schon ein Kapitalverbrechen begehen. Aber das ist ein anderes Thema.

Jedenfalls wurde heute zum Picknick geladen. Merkwürdigerweise nach Pankow, in den Bürgerpark. Der Jubilar wohnt gleich hinter dem KaDeWe. Ich lag vormittags schon wieder auf dem Balkon, erholte mich von dem samstäglichen 50. Geburtstag, den ich erst um 4 Uhr morgens verließ und sah in den strömenden Regen, sehr beruhigend war das; weniger beruhigend die Aussicht, dass ich mich in Bälde durch die ganze Stadt auf den Weg machen muss, um auf einer matschigen Wiese zu sitzen. 

Als ich ankam, irrte ich eine Weile umher, weil ich den Rosengarten nicht fand, freundlicherweise beschrieb mir eine Frau den Weg. Der neben ihr sitzende Mann starrte angestrengt in sein Handy und schnaufte verächtlich, als ich weiterging -  ich wollte schon heulen, weil ich doch gerade so sensibel bin. Plötzlich stoppte er neben mir auf seinem Rad.

"Es is ma'n Bedürfnis."
"Ja?"
"Se sind uff'm falschen Weje. Die Madame hatte keene Ahnung. Jehnse mal zurück und hintam Café rechts rin, dann könnses nich vafehln. Ick vasteh dis eenfach nich, wennde Leute keene Ahnung habn, sollnse eenfach de Klappe halten. Juten Tach und juten Weech."

Ich steh auf Berlin.

Weiter irritierte mich, dass wir uns in einer Einflugschneise befanden, im Drei-Minuten-Takt donnerten uns die Flugzeuge direkt über den Haaransatz. Ich fragte das Geburtstagskind, weshalb wir hier feiern. 

"Die Marie hat heute auch Geburtstag, da sie hier in der Nähe wohnt, wollten wir hier zusammen feiern, aber sie hat eben abgesagt, die Grippe."

Marie ist seine Tochter, eine typische u-30-Hedonistin, die daran gewöhnt ist, dass sie einen liebenden Vater und deshalb Urvertrauen im Übermaß hat, was leider gar nicht das gebracht hat, was vor ca. 25 Jahren erhofft wurde, als es ganz modern war, Kindern von Anfang an einzubläuen, dass sie qua Geburt und durch die Bank Master of the Universe sind - ich selbst bin da keine Ausnahme - irgendwie dachten wir alle, wir müssen es dringend anders machen als unsere Eltern, damit aus den lieben Kleinen starke große Leute werden, voller Selbstgewissheit. Aber pampern allein ist auch nicht die Lösung, wie sich jetzt zeigt. 

Anyway, wegen Marie also befanden wir uns in einem Inferno. Gespräche waren schwierig, weil wir uns alle drei Minuten anbrüllen mussten, um uns noch zu verstehen. Ich hielt es genau drei Stunden aus, was ich für eine beachtliche Leistung halte, dann trollte ich mich wieder in den lauschigen Berliner Süden.


Und schon lag ich wieder auf dem Balkon, starrte in den Himmel und dachte noch eine Weile über das Paar nach, das ich beim Picknick kennengelernt hatte. Ein unglaublich gutaussehender 25 jähriger, groß, trainiert, à la mode von Hacke bis Nacke tätowiert, einer Stimme wie Seide und sanft wie ein Lamm. Sie 52, klein, drahtig, androgyn, mit einer unglaublich tiefen, versoffenen Stimme. 

Wo die Liebe hinfällt. Beneidenswert, Rheumadecken wird sie nicht brauchen.

5 Kommentare:

  1. Da ist es wieder, das schöne Wort: Urvertrauen. Kommt so unschuldig daher, steckt so viel drin ...

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  2. Ah, da warst du praktisch vor meiner Haustür. An die Flugzeuge gewöhnt man sich..

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    1. Aber das ist doch unmenschlich! Da kann man sich doch nicht dran gewöhnen.
      Mir ist unerklärlich, weshalb die Leute diesen Park freiwillig frequentieren. Park ist doch das Synonym für Vogelgezwitscher, in der Sonne einschlafen, lesen.
      Wie hältst du das aus?

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