Montag, 8. Januar 2018

Heute vor zig Jahren...

... frühstückte ich ein letztes Mal in meiner ersten eigenen Wohnung mit meinen Freundinnen aus dem Kaff, packte meinen kleinen Fiat voll und fuhr nach Berlin, für immer, nein, für zwei Jahre, nahm ich mir vor, dann würde ich zurückkommen oder nach Hamburg ziehen. Ich hatte ein Nomadenleben geplant, aus dem dann doch nichts wurde. Einzig, dass ich bis heute keinen Bohrer in die Hand nehme, um Handtuchhalter in die Fliesen zu dübeln und stattdessen welche aus Gummi benutze, die sich an der Wand festsaugen, damit ich jederzeit schnell wieder abhauen kann, erinnern an das Mädchen, das ich war, als es in die große weite Welt zog. 

Im Kaff wohnte ich in der Ackerstraße und nahm es als Zeichen, dass meine erste WG in der Hackerstraße beheimatet war, direkt hinter dem Forum Steglitz. So gesehen war ich gleich wieder in einer Art Kaff, denn im Haus wimmelte es von WGs; damals konnte man sich gar nichts anderes vorstellen, als in WGs zu leben. Der einzige Unterschied zum Kaff war, dass man keine Parkplätze finden konnte. 

Direkt gegenüber in der Hauptstraße gab es das Café Melanie und die Music Hall. Ich weiß noch, was ich trug, als ich meinen ersten Tag in der Buchhandlung Kiepert anfing: eine schwarze Jeans, einen kurzen schwarz-dunkelblau gestreiften Pulli mit Dreiviertel-Ärmeln und U-Boot-Ausschnitt. Wenn's nach mir ginge, liefe ich heute noch so rum. Es waren die Achtziger und ich die Königin des nachlässigen toupierens.



Bei Kiepert ging es sehr lässig zu, ganz anders, als in der Buchhandlung im Kaff, dem ersten Haus am Platz. Der Chef sah aus wie Dieter Thomas Heck und zwang uns den ganzen Tag zu stehen, egal, ob Kunden im Laden waren oder nicht. Als eine Azubine für eine besonders gelungene Schaufenster-Deko eine Reise nach New York gewann, trat die Reise selbstverständlich der Chef mit seiner grässlichen Frau an. Ganz anders in Berlin. Es wurde überall gequalmt und gesoffen und jeder einzelne Buchhändler war ein Crack in seinem Gebiet. 

Ich verbrachte die Tage todmüde in der Buchhandlung, schlief in der U-Bahn, denn die Nächte hatte ich weiß Gott Besseres zu tun, als zu schlafen. Das machte aber nichts, denn ich hatte fast nichts zu tun. Im Kaff war ich pausenlos auf den Beinen, war eine eierlegende Wollmilchsau und in Berlin hatte ich ein kleines Arbeitsgebiet ganz für mich allein. Nach zwei Sunden war ich mit allem fertig und fragte nach mehr Arbeit. "Kind, du versaust die Preise. Beeil dich halt nicht so." Mir war's recht, denn mein Fokus war komplett auf mein Privatleben gerichtet. 

Das WG Leben war herrlich und ich hatte überhaupt kein Heimweh. Ich ging in die Bagwahn Disko, ins Glückstein, ins Metropol und die anderen Namen fallen mir nicht mehr ein. Ich hatte haufenweise Affairen mit Männern, von denen ich rein gar nichts wollte, denn ich liebte ja den Stones Fan, der unsere unselige Beziehung fortsetzte, indem er drei Monate später auch nach Berlin zog und dessen Herz ich ebenso brechen wollte, wie er meins. 

Berlin war eine Wucht und nach zwei Jahren dachte ich im Traum nicht daran, nach Hamburg zu ziehen und schon gar nicht, zurückzugehen. 

***

Der eine Verflossene, der ein paar Jahre wie ein viertes Kind von meinen Eltern geliebt wurde, feierte kürzlich sein Betriebsjubiläum im Kaff. Ein sehr kunstfertig geschnittenes und vertontes Filmchen über die Feier hat er auf seiner Website. Ich sah es mir an, wie er da stand oder tanzte oder sprach mit seiner Frau, seinen Kindern, seinem Hund, seinen Mitarbeitern, dem Oberbürgermeister und all den Gästen. Er sah glücklich aus. Alles richtig gemacht, dachte ich. Und einen kurzen Moment, dass ich ihn damals lieber hätte etwas später kennenlernen sollen und dann wäre ich gar nicht weggegangen.

10 Kommentare:

  1. Um Gottes Willen. Eine verheiratete Annika, wer will das denn?! Nee, gut, dass du weggegangen bist. Nur dein Berliner 80erjahre-Foto hätte ich gerne in ganz gesehen.

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  2. Bagwahn Disco... oh ja, die gab es ja auch in den 80´ern. Davon kannte ich auch einen Laden. Der war damals in Hannover. Mein Gott, was ist eigentlich aus der Truppe geworden?

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    1. Wir werden doch nicht aus der gleichen Ecke kommen, Herr MiM?

      Was aus der Truppe geworden ist? Der Spiegel schrieb 2010:
      "Die Sannyasin-Bewegung hat eine extreme Entwicklung durchgemacht: von den Sex-Orgien in Poona über das kontrollierte Leben in Oregon und den Wandel in ein Wirtschaftsimperium, das in den Achtzigern ein fremdes Lebensgefühl vermittelte. Doch die Bewegung blieb auch ohne ihren Guru am Leben. Nach wie vor gibt es weltweit Zentren, in denen Oshos Weisheiten als Lebenshilfe wiederentdeckt werden - Popstar Nena bekennt sich zu seinen Lehren.

      Die ehemalige Poona-Kommune ist heute zu einem der weltweit größten Meditationsresorts mit luxuriösem Wellness-Touch geworden. Gestresste Manager, überforderte Hausfrauen und Osho-Fans verbringen in der hotelähnlichen Anlage ihren Jahresurlaub, um aufzutanken und zu meditieren.

      In Berlin, dem einstigen Bhagwan-Mekka Deutschlands, hat die Guru-Verehrung allerdings ein wenig gelitten. Das "Far Out" am Ku'damm musste vor drei Jahren dichtmachen."

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  3. Und ich dachte: Boah, Neid, die hat ihre Jugend genutzt und hat was gesehen von der Welt (Berlin ist für mich als Provinznudel die Welt).
    Viele Grüße aus dem Neckar-Odenwald-Kreis von Reni

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    1. Ich bin ja auch eine gebürtige Provinznudel und glaub mir, damals war Berlin auch die Welt für mich. Aber man kann auch hier hübsch provinziell leben.

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  4. Folgende Mail erreichte mich:

    „Meine Liebe, du hast eine etwas seltsame Herangehensweise im letzten Absatz.

    Die Frage ist doch nicht, ob ER glücklich aussah, sondern wie es um SIE bestellt ist!

    Ich ab mich immer mal gefragt, ob ich nicht besser Hausweib und Mutter geworden wäre- aber mal ehrlich, es wäre da immer diese nagende Unzufriedenheit gewesen. IMMER.

    Da bin ich doch lieber hier ganz provinziell.“

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    1. Dem ist nichts hinzu zu fügen. Eine wunderbare Sichtweise.

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  5. Boah! Ein ganzes Leben in nur acht übersichtlichen Absätzen. Das muss Dir erst mal jemand nachmachen. Hut ab. (Und so ganz unspannend war es ja auch nicht, das Leben.)

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    1. Ein ganzes Leben? Eigentlich nur die ersten zwei Jahre in Berlin...

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