Mittwoch, 19. August 2015

Thomas macht alles richtig

Nun hatte ich mir neulich einen Temperatursturz gewünscht, ziemlich inbrünstig sogar, es fehlte nicht viel und ich hätte zu Gott gefunden, damit ich den hätte bitten können. Irgendjemanden muss man doch anflehen in der Stunde der Not.

Läuft bei mir, am Sonntag im Englischen Garten zog es sich zu und am Ende kam ich gerade so noch trocken ins Auto. War das eine Erholung. Ich mein, der Körper macht viel mit, aber eben nicht gerne. Er findet sich, weil er muss, selbst an den Drehschwindel morgens nach dem aufwachen gewöhnt man sich; es bleibt einem auch nichts übrig.

Ich wollte auch mal wieder schlafen, also so richtig schlafen, mit müde werden, sich einrollen und wegschlummern. Nicht dieses alle Viere von sich strecken und zu matt zum jammern sein. Das Fenster anstarren und sich fragen, wann gibt's mal wieder richtig Durchzug? Man hätte mich ans Stromnetz hängen und eine mittelgroße Kleinstadt über den Winter bringen können - ein organisches Heizkraftwerk war ich, ohne einen Finger krumm zu machen. Ganz knapp schrammte ich an einer spontanen Selbstentzündung vorbei.

Und nur ein kühler Tag lässt die vergangene Hitze irreal erscheinen. Für mich gibt es kein gestern und kein morgen, ich lebe ganz im Augenblick. 

Ich hatte Außentermine, ließ das Auto vor dem Büro stehen, nahm das Dienstfahrrad (ja, wir haben dolle Sachen), wegen der Staus, auf die ich keine Lust hatte. Plante, auch gleich im Anschluss zu einem privaten Treffen zu radeln, später wieder zurück ins Büro, um dort ins Auto zu steigen. 

Gesagt, getan. Außentermin heißt bei mir: Hotels ansehen auf der Suche nach einem geeigneten Raum für ein feudales Essen. Da sieht man ja viel und muss nicht denken, die Innenarchitekten beweisen Geschmack beim inneneinrichten. Je teurer das Hotel, desto schlimmer wird es.

Jeder Inneneinrichter hat einen Schwager, der eine Teppichbodenfabrik besitzt, in der nur aberwitzig übelkeitverursachende Muster gewebt werden dürfen. Geometrisches wird derart rücksichtslos mit floralem gemixt, dass jeder potentielle Glaukom-Kandidat den Krankheitsausbruch bei vollem Bewusstsein erlebt. Tine Wittler, die alles in Grund und Boden dekoriert, ist in diese Machenschaften ebenfalls verstrickt.


Ich hab Schlimmes gesehen heute. Höhepunkt: das Honecker-Zimmer im ehemaligen Grand Hotel. Wenn ich den Obermufti dort einquartieren würde, lebte ich schon morgen von Hartz 4 und das nicht ganz grundlos.

Nicht nur die Teppiche waren anstrengend, auch das Personal. Kinder, die in merkwürdige Uniformen gesteckt werden, die ihnen viel zu groß sind und merkwürdig steif an ihnen herunterschlottern. Offenbar kriegen die nix zu essen und deshalb können sie auch nicht mehr geradeaus reden. Man spricht also mit dürren Kindern in Anzügen aus Plaste und Elaste, die irgendwie versuchen, den hotelüblichen Terminus technicus fehlerfrei über die Lippen zu bekommen. Sie sind geschult, hören sich aber an, als ob sie in einem Straflager gedrillt wurden, nackte Panik in den Augen. Sie versuchen krampfhaft, souverän zu erscheinen, aber sie sind einfach zu jung für diesen Scheiß. Ich wollte am liebsten eine Leberwurststulle auspacken und sagen, iss das mal und dann leg dich hin und ruh dich einfach mal aus, Kindchen, und vorher besorgste mir noch jemanden, mit dem ich ernsthaft verhandeln kann. 

Erschöpft von den Teppichmustern und Zombies Azubis, die auf mich losgelassen wurden, radelte ich zu meinem Treffen nach Feierabend. Das war es schon recht schattig. Wir saßen draußen und hüllten uns in Fließdecken. Die Füße wurden eisig kalt und noch vorgestern wünschte ich mir nichts sehnlicher - ich war wohl nicht bei Trost. Ich klapperte bereits mit den Zähnen, als ich zurück zum Büro fuhr, um in mein Auto umzusteigen. Erleichtert drehte ich die Heizung auf volle Pulle und dankte dem Herrgott für die Sitzheizung. 

Ich bewunderte einen riesigen Grashüpfer, der sich an der Windschutzscheibe festkrallte und egal wie schnell ich fuhr, stärker als der Fahrtwind war. Ganz schön viel Kraft in so einem Insekt, kein Wunder, dass die uns alle überleben. Ich fuhr auf die Autobahn und dachte, mal sehen, ob er sich bei Tempo 100 immer noch festhält. Respekt, dachte ich.

Bis ich bemerkte, dass er innen an der Scheibe hing. Das war mir dann auch wieder nicht recht, also befahl ich ihm mit Blicken, schön ruhig zu bleiben, dann würde uns beiden nichts passieren. Ich hab ihn praktisch hypnotisiert und dabei eine persönliche Bindung zu ihm aufgebaut. Ich habe ihn im Geiste Thomas genannt. Thomas, habe ich gesagt, Thomas, mach keinen Scheiß, du hast noch alles vor dir, es wäre schade um dich und um mich auch, keine Hektik jetzt auf der A 100, ich hab noch Pläne, ich will einen Swimmingpool und du, du willst es doch auch.

Thomas ignorierte mich weitestgehend, was ich sonst nicht so schön finde, aber heute war es genau das Richtige.

9 Kommentare:

  1. Klasse geschrieben - hat echt Spass gemacht zu lesen. Ich bedaure Dich echt bei der Hitze und schicke Dir etwas von unseren 23 Grad tagsueber und 12-15 Grad nachts...

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  2. Danke für die Blumen :)
    Inzwischen ist es hier auch recht kühl, aber ich komme drauf zurück...

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  3. Thomas hat es drauf, er kann sogar die Heuschrecke, was viele männliche Körperkläuse nicht hinbekommen: Fortgeschrittene Variation - Ganze Heuschrecke - Purna Shalabhasana http://www.yoga-vidya.de/de/asana/heuschrecke.html

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    1. Grundgütiger, das kann doch nicht gesund sein!

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    2. Aber sehr und vor allem ist es kein Hausfrauensport. Wer einmal Poweryoga oder Ashtangayoga gemacht hat, der weiß das. Männer können das auch schaffen, freilich nicht mit statischen Fußballerfiguren, sondern etwas mehr Flexibilität bei gleichzeitiger Kraft ist schon nötig. Das schafft man allerdings mit genügend Ausdauer und Durchhaltevermögen. Einen schönen natürlichen Körper bekommt man noch gratis dazu. :-)

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  4. Hochsommer in Stockholm wäre was für Dich, da sind immer max. 23 Grad.

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    1. Aber da kenn ich doch niemanden.

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    2. Hotels und Inneneinrichtung ... ein ganz eigenes Thema. Les fleurs du mal ... frei nach Baudelaire Komma Charles ...so sieht es in einem Hotel in meiner Stadt aus. Und damit der Genuss auch komplett ist, gibt es keine festen Wände zwischen Bett und Bad. Kuschlig, wenn ein Honeymoon-Pärchen nicht nur das zärtliche Füttern mit Zimmerservice-Köstlichkeiten, sondern gleich auch das Ende der organischen Verarbeitungskette ganz nah miterlebt ...

      Die Kinderarbeit in der Hotellerie fiel mir bereits in meiner aktiven Event-Zeit sehr auf. Ich war damals gerade mal Mitte 20 ... und schon aus dieser Perspektive hätte ich manchen "Bankettmanager" gerne erstmal in die Vorschule geschickt ... grrrr

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    3. Da kann man auch jemand hin mitnehmen oder vor Ort kennenlernen, das soll alles auf Reisen passieren. :-)

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