Mittwoch, 2. September 2015

Mama liest mit

Hab neulich ein Diensthandy bekommen und zwang meiner Mutter mein altes Smartphone auf. Der Vertrag läuft noch über ein Jahr und als älteste und dominanteste Tochter bin ich immer darauf bedacht, dass meine Mutter nicht vor der Zeit einrostet. 73 Jahre ist definitv jung genug, sich der heutigen Technik zu stellen. Sie lebt sicher noch dreißig Jahre und da kann es nicht angehen, dass sie für alle Zeiten auf ihrem alten Nokia herumtippt.

Wobei... Das hat sie eigentlich nie getan, ja, wir mussten sie jahrelang ermutigen, das Ding überhaupt anzulassen. Unvergessen der eisige Winter, als sie sich mit dem Fernbus zu Weihnachten nach Berlin aufmachte. Wir beschworen sie, das Handy nicht auszuschalten, weil wir uns so auf dem Laufenden halten konnten, in welchem Bundesland sie sich gerade befindet. Meine Schwester wollte ihr an der Haltestelle in ihrer Stadt noch ein paar Geschenke  für uns mitgeben. 

Eine Stunde nach offizieller Abfahrt rief ich sie an, Handy ausgeschaltet. Verdammt, dachte ich, wir haben ihr doch eingebleut, es auf keinen Fall... Eine weitere Stunde später rief meine Schwester an, die mittlerweile mit Erfrierungen an den Extremitäten auf den Bus wartete. Alle Anrufe bei meiner Mutter zwecklos, konsequent blieb das Handy ausgeschaltet. Sie stand also seit zwei Stunden an der Straße und wartete auf den Bus, vermutlich eher drei Stunden, denn sie ist immer lieber etwas früher da, soweit war uns das klar. 

Nach drei Stunden wurde meine Schwester erlöst, die gleich nach Übergabe der Geschenke ins Krankenhaus fuhr, um sich die Beine amputieren zu lassen und sich anschließend zur Adoption anzubieten. Praktisch hatte meine Mutter zu dem Zeitpunkt gerade mal 30 Kilometer des Weges zurückgelegt. Gleich nach dem Bericht meiner Schwester rief ich meiner Mutter wieder an, um ihr zu sagen, dass sie kurz vor Berlin anrufen soll, damit ich weiß, wann ich losfahren muss. Ich wollte nicht dasselbe Schicksal wie meine Schwester erleiden und wochenlang am ZOB ausharren. 

Ich wählte ihre Nummer: Handy ausgeschaltet. Ich bekam einen Schreikrampf. Und rief die nächsten Wochen alle Viertelstunden bei ihr an. Das Handy blieb stumm. Nach drei Jahren rief sie mich zurück. Sie flüsterte "Der Busfahrer hat gesagt, wir müssen die Handys ausschalten, weil er sich bei dem Geklingel nicht aufs Fahren konzentrieren kann.", ihr gehe es gut, nur ein bißchen durchgefroren, es dauere noch ca. zwei Stunden. "Mama, scheiß auf den Busfahrer, das Handy bleibt jetzt an, versprich mir das." - "Nein, das geht nicht, hat der Busfahrer verboten. Ich muss jetzt aufhören." Klack aufgelegt. Ich machte einen Probeanruf. Ausgeschaltet. 

Meine Mutter hat einfach zuviel Respekt vor Respektspersonen. Und eine sehr weitgefasste Meinung, wer  als Respektsperson einzuschätzen ist. Praktisch jeder erfüllt ihr geheimes Raster. 

Nach fünf Jahren kam sie in Berlin an, ohne ein weiteres Mal angerufen zu haben. Ich wartete auf sie am ZOB, mit einer Lungenentzündung und unter Verlust mehrerer Gliedmaßen, die ich mir von einer Fachkraft direkt an Gleis 10 abnehmen ließ. Ins Krankenhaus fuhr ich nicht, sonst hätte ich meine Mutter verpasst. 

Jedenfalls erkärte ich ihr bei meinem letzten Besuch, wie das Smartphone funktioniert. Wie sie Mails schreiben, Fotos machen, schicken und empfangen und wie sie googeln kann. Sie holte unauffällig die Papiere hervor, um mich (oder sich) ins Heim einzuweisen.Sie tippte auf dem alten Nokia "Helfen Sie mir, meine herrische Tochter zwingt mich...". Ich blieb unbeirrt, erklärte, dass sie ganz umsonst damit telefonieren kann, uns auch auf dem Handy anrufen kann und dass das überhaupt nichts kostet. Soweit ist sie jedoch noch nicht. Sie telefoniert mit dem Nokia. Aber sie schickt jetzt Selfies. An alle Töchter und Nichten. Wir sind begeistert. Sie hat's jetzt drauf.

Heute der Knaller. Ein Anruf auf meinem AB. "Ich hab dein Blog gelesen. Kind, ist dir immer noch schwindelig? Naja, wahrscheinlich nicht, bist ja nicht zuhause. Melde dich mal." Ich fass es nicht. Sie hat die Favoriten gefunden. Auf ihre Art ein Crack.

3 Kommentare:

  1. Wahahaha... Bauchschmerzen!
    Zeig ihr beim nächsten Mal doch einfach, wie man das Telefon stumm schaltet und Whats App benutzt. Sie wird sich nie wieder von Ressentiments durch Busfahrer und andere Respekts-Raster-Personen bedroht fühlen müssen. Und du müsstest keine Angst um deine Gesundheit haben.

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    1. Das hätte keinen Sinn. Wer wüsste das besser als du? Ich denk immer noch an "Irgendwas mit Rouladen", als du deine Mutter schick ausführen wolltest :))

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    2. Die Schlachteplatte war's... Ich sollte das Lokal weise wählen, in dem wir nächstes Jahr die Jugendweihe des Söhnchens feiern. ;))

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