Sonntag, 29. März 2015

Liz Taylor und Richard Burton für Arme

Nein, ich habe nicht zu Gott gefunden, aber mein gestriges Erlebnis in der Gedächtniskirche hätte ausgereicht, um vom Glauben abzufallen. Gegeben wurde der Messias von Bach. Um 18 Uhr. Ich sitze seit 17 Uhr in der Kirche und halte Plätze frei. Macht mir nichts aus, ich habe ein wirklich gutes Buch dabei (Alain Claude Sulzer: Aus den Fugen). Außerdem mag ich dieses schummrige Blau in der Kirche. 

Hinter mir nimmt ein Ehepaar Platz und fängt an zu streiten. Sie keift und zetert in einer Tour, er im Täterbeschwichtigungs-Modus. Eine Weile höre ich mir das an, kann mich aber nicht mehr auf das Buch konzentrieren. Ich dreh mich um und sehe in eine verzerrte, blasierte Hackfresse; diese Frau sorgt schon lange dafür, dass niemand im Umkreis von 10 Metern was zu lachen hat.

"Können Sie bitte etwas leiser genervt sein?"
"Das geht Sie gar nichts an."
"Doch, das geht mich was an. Ich muss es hören, Ihr Mann muss es hören und alle drumherum müssen es auch hören. Es will aber keiner hören."

Zustimmendes Nicken der Umsitzenden. Der Ehemann lächelt.

"Das ist mein Problem."
"Sie machen es aber zu meinem Problem."

Ich dreh mich wieder um und lese weiter. Beim Ehemann greift das Stockholm Syndrom. Er fängt an zu meckern, dass ich Plätze frei halte, wir seien nicht in Spanien, wo die Handtücher auf die Liegen platziert werden, eine Unverschämtheit sei das. Ich dreh mich wieder um.

"Wissen Sie was? Sie haben Ihre Frau wirklich verdient."
"Ich glaaaauuub ja wohl. Passen Sie blooooß auf! Sie fliegen hier gleeeiiiiich raus!"

Ich vertiefe mich wieder in mein Buch, die beiden sagen keinen Mucks mehr. Meine Freunde kommen, das Konzert beginnt. Nach einer Weile hole ich mein Handy raus und filme ein bißchen - eine Unsitte, aber eine etablierte.

Ein Zeigefinger sticht mir von hinten fest in die Schulter, mehrmals, ich reagiere nicht. Ich weiß ja, dass das der Ehemann ist, der seine Ehre wiederherstellen muss. Er sticht weiter in meine Schulter und dann wird er laut.

"Siiieee. Siiieee sind die einzige hier, die filmt, das ist verbooten. Hörnse sofort auf damit." 

Ich dreh mich nicht mal um, die Umsitzenden springen mir bei und drohen ihn mit dem Saalordner. Nicht, dass es Saalordner gäbe, aber alle um uns herum machen ihm klar, dass er sofort die Fresse den Mund zu halten hat. 

Womöglich hat die Gattin ja doch einen respektablen Grund, ihr Leben als Nebelkrähe zu fristen.

2 Kommentare:

  1. Du brauchst unbedingt auch eine Honk-Rubrik. Ohne die geht es als Berlin-Blogger nicht. :)

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  2. Meinste? Aber die muss ich dann anders nennen, Hackfressen oder so ähnlich :)

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