Dienstag, 22. September 2015

Der tollste Mann der Welt

Alles fing damit an, dass ich einen Schönheitstag einlegte

Ich stand im Bad und legte mir eine Maske auf, die mich binnen kurzem in einen früheren Zustand wiederherstellen sollte. Ich sah aber nur ungefähr eine halbe Stunde jünger aus. Ich salbte mich, setzte dieses und jenes instand - was man so tut, wenn man im Selbstfürsorgemodus ist.

Am nächsten Tag wachte ich auf und fühlte mich komisch. Mein Gesicht fühlte sich komisch. Es juckte. Am Hals, am Kinn, an den Augen, hm. Nicht schön. Ich fuhr ins Büro, wichtiger Termin. Hatte schon so ein blödes Gefühl. Irgendwas würde schief gehen, das spürte ich genau. Als ich ankam, war noch nichts aufgebaut. Die "musikalische Begleitung" war eine halbe Stunde vor Beginn noch nicht da. Der Festredner kam erst 5 Minuten vor Beginn. Ein wichtiges Untensil fehlte, es musste mit dem Taxi herbeigeschafft werden. Wenn das nicht geklappt hätte, könnte ich jetzt mit viel Freizeit um mich werfen.

Am Ende lief es doch gut. Entspanntes ausklingen lassen, was trinken, was essen. Ich unauffällig die Hand am Hals, sanftes drüberstreichen, es juckte wie verrückt und ich fühlte mich fiebrig. 

 Plötzlich brach die Hölle los

Cheffe bekam aus dem Nichts einen Hassanfall auf mich. Brüllte mich an vor all den Leuten. Zunächst dachten wir alle, er macht Scherze. Dann merkten wir, der meint das ernst. Ich erstarrte zur Salzsäule. Einer machte "Hey, hey!" und trat einen Schritt zurück. Der andere schwieg peinlich berührt. Eine Frau verwickelte mich in ein idiotisches Gespräch, um weitestgehend Normalität herzustellen. 

Ich fuhr nach Hause und legte mich um 20 Uhr ins Bett. Mein Gesicht drehte vollends durch. Legte mir feuchte Tücher auf. Wachte am nächsten Morgen auf, inzwischen zu einem roten Ballon aufgequollen, die Augen bekam ich kaum auf. Juckreiz unerträglich. Ich brach mit meiner Tradition, nie zum Arzt zu gehen und begab mich umgehend in eine Praxis, weil ich mir einbildete, meine Zunge würde anschwellen. Kurz vorm ersticken geh selbst ich zum Arzt. Cortison Tablette eingeworfen, nach 20 Minuten setzte die Wirkung ein. Zu 70% geheilt, der Rest ist auszuhalten.

Im Büro die Tür geschlossen gehalten, bis Cheffe kam und fragte, wie es mir geht. Ich gab knapp Auskunft, beschloss aber, den Vorfall nicht anzusprechen. Er beschloss dasselbe. Hat eh kein Zweck, dann entschuldigt er sich halbherzig, versucht mir eine Mitschuld unterzujubeln und ein paar Wochen später kühlt er wieder sein Mütchen an mir.  

Dann passierte ein Wunder 

Ich bekam einen Anruf. Von dem Mann, der "Hey, hey" gesagt hatte. Ein ziemlich hohes Tier. Weitaus wichtiger als Cheffe. Ich habe keine Ahnung, wie der überhaupt an meine Nummer gekommen ist. Beziehungsweise, dass er meinen Namen kennt (mit dem kommt man dann schon an meine Nummer). 

Er wolle mir etwas sagen, und zwar, dass er sich Cheffe noch zur Brust genommen hat, nachdem ich weg war. Was denn "diese miese Nummer" sein sollte, und ob er schon mal etwas von "gutem Führungsstil" gehört habe. Weshalb er nicht aufgehört habe, "nachzutreten". Dass das ein ganz schlechtes Licht auf ihn werfe, vor allem, weil es keinen Anlass gegeben hätte, der so einen Ausbruch gerechtfertigt hätte. 

Ich war sprachlos. Vor Glück und Dankbarkeit. Sämtliche Kindheitstraumata wurden auf einen Schlag geheilt. Ich machte ihm einen Heiratsantrag. Ich dankte ihm. Das sei "nicht nötig", vielmehr eine "Selbstverständlichkeit", dass er sich noch mal bei mir melde, man hätte mir angemerkt, wie sehr ich um Fassung gerungen hätte. Ich machte ihm noch einen Heiratsantrag.

Ist das nicht einfach sensationell?

15 Kommentare:

  1. Mann, wie ich solche Typen hasse, die ihre Minderwertigkeitskomplexe an "Untergebenen" abzubauen versuchen...
    Aber zu Glück erkennen das dann doch einige!
    Hut ab vor Dir, dass Du das so gelassen wegsteckst.

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    1. Nur Menschen, die in den ersten drei Lebensjahren nicht wohl behütet waren, stecken sowas in späteren Jahren scheinbar mit Fassung weg :-)
      Habe ich gerade heute beim Arzt im Wartezimmer gelesen.

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  2. Das zeichnet gute Führungskräfte aus, sich sofern möglich, um alle Mitarbeiter zu kümmern, denn nur wer sich relativ wohl fühlt, der leistet auch gut. Wenn das Klima nicht stimmt, sinkt auch die Leistung. Druck kann man in wirklichem Ernstfall auch anders machen, durch ein deutliche Gespräch oder notfalls eine Abmahnung, aber das sind ja eher Ausnahmen. M.E. wollte der Chefwichtel nur eigenen Druck loslassen, weil er unsicher, frustriert etc. ist.

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    1. Chefwichtel - tolles Wort.
      Also, wenn ich Abmahnungen aussprechen dürfte... na, die würden hageln, das walte Hugo.

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  3. Ihr Schreibstil gefällt mir ausgenommen gut. Aber lassen Sie Vorsicht walten in diesem Fall, geschätzte Frau Annika: Männer und Hunde tun nie etwas umsonst. Es steckt immer etwas dahinter.

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    1. Sie sehen mich zart erröten, verehrter Herr Glumm.

      Zu Ihrer Warnung: Männer die mich retten... Da kann ruhig was dahinter stecken.

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    2. Frauen und Hunde auch nicht.

      Damit sind wir beim Thema: Sie sind eine Frau. Einem Mann hätte kein Chef hinterhertelefoniert. Bei Mädchen macht man sich aber Gedanken. Die sind eben zerbrechlich und der weiblichen Unversehrtheit und dem weiblichen Wohlbefinden wird grundsätzlich ein höherer Wert beigemessen als dem der Männer.

      Tja.

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    3. Wenn's denn mal so wäre. Cheffe liegt rein gar nichts an meiner zerbrechlichen Unversehrtheit. Sie müssen jetzt nicht den Untergang des Abendlandes befürchten, nur weil ein Mann mal einem anderen sagt, dass er sich empfindlich daneben benommen hat.
      Das war kein Frau - Mann - Ding, sondern ein Mensch - Mensch - Ding. Ist einfach ein feiner Mensch.

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  4. Sensationell. Nur schade, dass der arme Tropf, der kurz zuvor von Cheffe geschasst wurde, keinen so starken Fürsprecher hatte.

    Ich frage mich allerdings, warum eine scheinbar so fähige Frau in einem Arbeitsverhältnis wie diesem verharrt? Flexibel, eloquent und gebildet wie du bist, kommst du doch überall unter.

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    1. Weil ich mir keinen besseren Job vorstellen kann. Einen Tod muss man immer sterben.

      Der arme Tropf konnte sich durch ein geheimes Briefing rehabilitieren. Ich rette nämlich auch gerne.

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  5. Und ob das sensationell ist!!!! Es gibt noch einen Gott, könnte man fast sagen...wenigstens manchmal...wenn auch eher selten.
    Ich hoffe, es kribbelt nicht mehr im Gesicht? Unangenehm sowas aber auch!

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    1. Selten, aber gut. Ich bin ihm sehr dankbar.
      Es kribbelt immer noch :(

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  6. Da war ja ein ganzes Deeskalationsteam am Werk, um Cheffe (ganz rund läuft der doch auch nicht?!?) runterzukühlen und dich aus der Gefahrenzone zu bugsieren. Und ja, das ist sensationell! Nur das mit dem offenbar gestrichenen Heiratsantrag ist blöd. Goldstücke muss man doch festhalten... ;)

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  7. Sen-sa-tio-nell!
    Aber sagen Se mal, WAS um alles in der Welt haben Sie sich denn da ins Gesicht geschmiert, dass Sie dermaßen krank werden?!
    Und hat's geholfen? Ich meine: sah die Haut nach dem Cortison noch schöner aus als sonst?

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