Montag, 4. April 2016

Meine erste WG



Als ich nach Berlin kam, zog ich in eine WG nach Steglitz, direkt hinter dem Forum. Es war eine ziemlich prächtige 4 Zimmer Wohnung, die uns untervermietet wurde von einem Mann, der zuvor mit zwei anderen Männern dort gehaust hatte. 

Nun wohnten mit mir drei Frauen dort: eine Atemtherapeutin aus der Schweiz und eine rheinische Frohnatur, die uns kurz darauf verloren ging. Sie war in die Fänge einer Sekte gelangt, später wurde diese durch Tom Cruise sehr bekannt. Aber der spielte damals noch keine Rolle. 

Es gab haufenweise Interventionsgespräche, in der wir ihr auszureden versuchten, sich dort weiterhin zu engagieren, aber sie blieb beratungsresistent und blockierte unbeirrt das Bad, denn stundenlanges Duschen plus tagelanges schwitzen in der Sauna gehörte irgendwie zum Initiationsritus. Ihr Freund war sehr verzweifelt und tat alles, um sie umzustimmen. Er ging sogar ein paar Mal mit, unterzog sich einigen Audits, um ihr hinterher aus eigener Erfahrung klarmachen zu können, was für eine krude Scheiße dort gelabert wurde. Es war zwecklos.

Der Atemtherapeuthin, einer eleganten, ruhigen und sehr schönen Frau, die uns Vorträge über das richtige Atmen nach Middendorf hielt, wurde es bald zu bunt und sie verschwand mitsamt ihrem illustrem Freundeskreis, dank dem ich mich in meinem ersten Wochen in Berlin Tag und Nacht auf der Berlinale aufhielt. 

Die Frohnatur verschwand in den Klauen der Scientologen und ich lebte fortan an mit zwei Medizinstudentinnen zusammen; die eine verschrieb sich leidenschaftlich der Chirurgie, die andere schrieb ihre Doktorarbeit über das bilaterale Mammakarzinom, das sie dann umständehalber gleich selber entwickelte, aber es war nur blinder Alarm und eine harmlose Anomalität.

Ich befreundete mich eng mit dem Mieter unter uns, der ein Möchtegern-Superstar war mit seiner Band, im wahren Leben aber bei Hertie neben dem Forum Steglitz Platten verkaufte. Damals wurden noch Punks eingestellt, wenn sie denn eingestellt werden wollten. Als Intro für ihre Konzerte empfahl ich die Titelmusik von Schirm, Charme und Melone, was er für eine gute Idee hielt, dennoch blieb der Weltruhm aus; einzig eine vernichtende Kritik von Wiglaf Droste kam bei rum.

Wenn ich spät nachts nach Hause kam und bei ihm noch Licht war, klingelte ich und wir erzählten uns von unseren Affairen. Er gab meinen immer Spitznamen. "Was macht das Grillhähnchen?" Er litt ausdauernd unter Andrea, die er hoffnungslos liebte, trotz ihrer sehr großen Nase. Ich liebte ja immer noch den Stones Fan, den er loyal mit Herablassung behandelte.

So hätte es immer weiter gehen können.

Leider handelte es sich um eine Eigentumswohnung, die uns gar nicht hätte weiter untervermietet werden dürfen. Der Eigentümer versuchte schon seit Jahren, die Männer-WG wegen Eigenbedarfs aus der Wohnung zu klagen, wovon wir nichts wussten, bis wir eine Vorladung des Gerichts in der Post hatten. 

Es bestehe der berechtigte Verdacht, dass der Mieter Tobias M. gar nicht mehr in der Wohnung lebe, daher müssen die jetzigen Bewohner die Wohnung schnellstmöglich verlassen. 

Wir riefen Tobias M. an und der klügelte einen Plan aus: ich wurde auserkoren, vor Gericht als seine Geliebte fungieren, die zu ihm gezogen sei, und daher bestehe eben doch Bedarf an einem weiter andauerndem Mietverhältnis. Schlecht war nur, dass er inzwischen glücklich verheiratet in Charlottenburg gemeldet war und noch schlechter war, dass er so hornalt war, bestimmt an die 36 Jahre, dass ich mir nicht vorstellen konnte, irgendein Gericht könne ernsthaft glauben, dass ich mit so einem Tattergreis leben würde.

Meine Performance vor Gericht war dementsprechend suboptimal. Als der Richter fragte, ob ich denn nie bemerkt habe, dass es noch eine andere Frau und in letzter Zeit auch einen anderen Aufenthaltsort im Leben von Tobias M. gebe, nuschelte ich, doch, da war was, aber ich habe es nicht glauben wollen und demzufolge meine Augen und Ohren verschlossen. Ich schämte mich in Grund und Boden für diesen ausgemachten Schwachsinn, den ich über den Opa und mich erzählen musste und vergaß dabei völlig, dass von mir abhing, dass wir weiterhin dort wohnen konnten. 

Der Richter hörte mir belustigt zu und beschied, dass wir die Wohnung zu verlassen hatten. So fand ich mich nach anderthalb Jahren harmonischem Zusammenlebens in der nächsten WG wieder, diesmal mit nur einer Frau, die den gleichen Vornamen wie ich hatte. Das war aber auch schon das Einzige, was wir gemein hatten. Das erzähle ich ein anderes Mal.

2 Kommentare:

  1. Na, dann bist Du doch für'ne "Jungsenioren-WG" super geeignet.
    Ich erinnere mich gern an meinen ersten Taxifahrer(Vermieter) in Berlin. Der sei ja gar nie nich zuhause, wollte aber dann ganz lauschig in seiner "Polsterecke" in Kackbraun mit mir Weihnachten feiern.
    So schnell bin ich noch nie umgezogen ;-)
    Sabine

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    1. Man sollte auch nicht mit Taxifahrern zusammenziehen, da verschwimmen die Grenzen...

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