Mittwoch, 6. April 2016

Zwei Frauen in Italien

Bevor unsere schöne Steglitzer WG auseinandergerissen wurde, fuhr ich mit der in jeder Hinsicht energischen, angehenden Chirurgin nach Italien. Sie war der Sprache mächtig, weil sie ein paar Semester dort studiert hatte.

Wir fuhren per Interrail nach Ascona, von dort nach Rom und zum Schluss nach Neapel. Sie hatte viele Freunde, bei denen wir wohnten und diese hatten noch mehr Freunde und vor allem große Familien. Ich verstand kein Wort, konnte mich an keinem Gespräch beteiligen, aber für ihren Geschmack bekam ich trotzdem viel zu viel Aufmerksamkeit. Italiener sind so gastfreundlich. 

Einer ihrer Freunde, den wir besuchten, war ein paar Wochen zuvor bei uns in Berlin. Ich beachtete ihn überhaupt nicht, weil wir immer viel Besuch hatten und da konnte ich mich nicht um jeden kümmern. Wie schämte ich mich, als wir dann bei ihm waren. Er tat alles für uns, sogar zu seiner Mamma schleppte er uns, die uns fürstlich bekochte. Er hütete uns wie seinen Augapfel. Ich hatte das gar nicht verdient.

Ihre Laune wurde immer schlechter, obwohl ich an niemandem interessiert war und ich wollte ihr auch keinen der uns stets umschwirrenden italienischen Ragazzo abspenstig machen. Ich war doch unsterblich in den Stones Fan verliebt und schmachtete in den italienischen Himmel bei Tag und bei Nacht.

Gerade mal zu einer Knutscherei habe ich mich hinreißen lassen, in Pompei, als wir ein Jazz-Festival im Teatro Grande besuchten, unter dem warmen Sternenhimmel saßen und ich dachte, Mensch, vor einem halben Jahr hast du noch im Kaff gelebt und jetzt bist du hier, unter lauter Fremden, in einem fremden Land, umsorgt, behütet, gefüttert, und why the fuck dreht sich der arrogante Trompeter nicht zum Publikum, wenn er spielt?

Die Stimmung wurde immer angespannter zwischen uns, denn das Problem war, dass sie eher der dramatisch südländische Typ war und das hatten sie dort ja zuhauf, deshalb wohl wurde sie nicht ausreichend umgurrt. Mir war unerklärlich, was nun an blonden, blass-schnabeligen Frauen so interessant sein sollte, wenn man inmitten von knackebraunen, temperamentvollen Rasseweibern lebt.

Sie wurde von Tag zu Tag bissiger und ihre anfänglichen Übersetzertätigkeiten stellte sie vollkommen ein. Das wurde ganz schön langweilig für mich, ich hatte damals auch noch keinen Sinn für antike Gemäuer, mit denen ich mir hätte die Zeit vertreiben wollen.

Um meine Nerven zu schonen, beschloss ich, alleine zurückzureisen. Das Gezicke hielt ich im Kopf nicht aus. Immerhin wohnten wir ja auch zusammen; wie sollte das nur weitergehen? Der Stones Fan jedenfalls würde mich nicht aufnehmen, falls das WG Leben wegen der Italienreise in eine ernsthafte Schieflage geriete. 

Als ich in Rom allein am Bahnhof saß und ein paar Stunden Aufenthalt hatte, kam ich mir wie die Frau von Welt vor. Eben noch im Kaff, jetzt in Rom, ganz allein. Im Zugabteil saß ich dann mit zwei Bayern, der eine sah toll aus, aber sein Dialekt machte eine spätere Heirat unmöglich. 

Damals konnte man eine komplette Liegefläche aus den Sitzen machen, es waren noch die goldenen Zeiten der Bahnreiserei. Wir quatschten die ganze Nacht durch und ich lachte unheimlich viel, ich fand alles totkomisch, was er sagte. Wenn er nicht so ulkig gesprochen hätte, wer weiß, ob mein Leben nicht ganz anders verlaufen wäre.

P.S. Es ist ja nicht so, als ob heutzutage nicht auch die Luft brennen würde. Mir wurde ein Blumenstrauß vor die Tür gestellt, was erstmal nicht so besonders ist. Aber dieser wurde anonym, ohne Bekennerschreiben, hinterlassen. Entweder habe ich einen Stalker oder jemand verzehrt sich nach mir. Letzteres wär mir lieber

4 Kommentare:

  1. Klingt nach den 80ern ... oder frühen 90ern. Ausklappbare Zugsitze und zickende Freundinnen im Urlaub. Was wurde aus der WG und der stutenbissigen Chirurgin? Und was aus dem Stones-Fan?

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. WG: siehe vorherigen Beitrag
      CHirurgin: siehe vor-vorherigen Beitrag
      Stones Fan: keine Ahnung

      Löschen