Dienstag, 6. Dezember 2016

Das Beste im Mann

Neulich wusste ich nicht, ob ich die Polizei anrufen darf. Wo doch alle Zeitungen davon schreiben, dass zuviele Idioten den Polizeinotruf missbrauchen. Ich fuhr auf der Straße, es war schon abends, also dunkel. Auf einmal wurde es noch dunkler und gerade als ich überlegte, ob ich wohl einer plötzlich einsetzende Makula-Degeneration zum Opfer falle, bemerkte ich, dass auch alle Ampeln ihren Dienst eingestellt hatten und das alles trug sich zu auf einer sehr großen, befahrenen Straße.

Ich gehe grundsätzlich davon aus, dass die meisten Autofahrer in der Lage sind, das mit mit links zu handeln. Aber als ich vorsichtig auf eine Kreuzung zufuhr und mich erst mal orientierte, wer Vorfahrt hat, ließ ich eine Fußgängerin rüber, die vom Auto neben mir beinahe über den Haufen gefahren wurde. Mit einem großen Satz rettete sie sich aus der Gefahrenzone. Da beschloss ich, dass es vielleicht doch eine lebensrettende Maßnahme sein könnte, die Hüter des Gesetzes in Kenntnis zu setzen. 

Aber dann traute ich mich nicht: ist das jetzt ein missbräuchlicher Anruf? Oder ist genug Gefahr in Verzug? Ich versuchte mich zu erinnern an diese andere Nummer, die man besser anrufen soll, irgendwas mit 4 und 6, aber dann nahm ich mir ein Herz und wählte 110. Als gleich jemand abnahm, hoffte ich, dass der nicht merkt, dass ich aus einem fahrenden Auto anrufe. Ist ja auch verboten. Und dann haben die mich gleich wegen zweier Verbrechen dran: aufdringliche Anrufe während des fahrens. Was das wieder für Punkte gibt. Wo ich erst letzte Woche geblitzt wurde, weil ich so in Gedanken war.

Wider Erwarten war der Mann vom Notruf außerordentlich interessiert, ob denn auch die Wohnungen um die Straße herum im Dunklen liegen, wollte er wissen. Da musste ich improvisieren, ich war ja schon längst weit weg und hatte nicht darauf geachtet. Ich beschloss, die Situation nicht ärger zu machen als sie ist, nein in den Wohnungen hätte Licht gebrannt. Er bedankte sich überschwänglich und mir wurde klar, dass ich es mit diesem Anruf nicht in den Twitter Account #Bekloppte Anrufe der Berliner Polizei schaffen würde. 

Ich fuhr weiter und hoffte, dass nicht unterdessen andere Fußgänger umgenietet wurden.

Edit: Hier noch die Geschichte, als ich die Polizei mal wegen einer Bombe angerufen habe. Ich war noch neu in Neukölln, unter mir ein Mieter, der die ganze Nacht „Oooodin, Oooooodin“ brüllte und dazu tägliche Anrufe einer verzweifelten Frau, die nach dem Verbleib eines gewissen Ali fragte. Sie glaubte mir von Tag zu Tag weniger, dass sich bei mir definitiv kein Ali aufhält, eine gewisse bedrohliche Schärfe legte sich in ihre Stimme.

Eines Abends gegen 21 Uhr ein klingeln an meiner Haustür im 4. Stock. Ich fragte, wer da sei.
„Chich habe Post fierr Sie. Bittä machen Sie Tierr auf.“
Ich dachte gar nicht daran. Post um 21 Uhr?
„Chich läge Pakkät vor Tür aap“

Meine Nerven waren schon sehr entzündet von Oooodin und Ali. Ich steigerte mich in eine akute Lebensgefahr rein und rief erst mal meine beste Freundin an. Ob ihr Mann mal kommen könne, der sich aber strikt weigerte, ich hörte nur, wie er im Hintergrund einen Lachkrampf bekam. Also rief ich die Polizei an. Hysterisch schilderte ich, dass vor meiner Tür wahrscheinlich eine Bombe liegt und weshalb man mir versehentlich nach dem Leben trachtet, wegen eines Ali, den ich aber gar nicht kenne.

Die Polizei kam nach 10 Minuten. Sie klingelten, ich öffnete. Zwei Herren standen vor mir. Der eine hatte die Bombe in der Hand, die in Wahrheit das Leseexemplar eines Berliner Verlages war, der seinen Fahrer offenbar gebeten hatte, noch am Abend derlei auszuliefern.

Das ist die zweitpeinlichste Geschichte meines Lebens.


Später beim Doppelkopf kam es zu einer Eskalation. Einer von uns neigt zu gewaltigen Wutausbrüchen, wenn er beschissene Karten bekommt oder wenn er seine Mitspieler für unfähig hält. Die bezichtigt er ausdauernd, selbst wenn er am Ende mit ebendiesem minderwertigem Geschöpf haushoch gewinnt. Was da alles rauskommt an Wut, reicht für eine Feldstudie. Er ist mir dennoch der Liebste von allen mit seinem Mantra "Scheiß die Wand an!" Wenn er mich anbrüllt, erwidere ich vornehm "Sorge bitte dafür, dass ich dich auch weiterhin interessant finde." Dabei sehe ich ihn eindringlich an und dann ist er abgelenkt und kriegt sich wieder ein.

Jedenfalls wurde er wegen irgendeinem Pipifax so sauer, dass er die Karten hinschmiss und immer irgendeine auf den Stapel warf, ohne zu schauen, welche sich verbirgt. "Scheiße kann ich auch spielen!", bellte er. Ich fand das recht unterhaltend, aber mir kommt es auch nichts auf's gewinnen an, obwohl ich ein extrem gutes Blatt hatte, dass er mir zerschoss mit seiner albernen Rumpelstilzchen-Einlage. Spielen bringt halt das Beste oder das Schlechteste in uns zum Vorschein.

Eine Mitspielerin mit weniger Frustrationstoleranz stand auf, dozierte grimmig, dass sie die Schnauze voll hat und verließ schulmeisterlich das Lokal. Ich kann so eine Ernsthaftigkeit nicht verstehen. Ist doch nur ein Spiel. Jeder wie er kann.

9 Kommentare:

  1. Eine Freundin ist zum 1. November in eine neue Wohnung in Köln gezogen. Wegen der vielen Einbrüche hat sie zwei Türschlösser und sie schließt sich abends immer in der Wohnung ein. Am Morgen bekommt sie das Sicherheitsschloss von innen nicht auf, bekommt Panik und ruft die 110 an (auf keinen Fall einen Schlosser oder einen Schlüsseldienst, pflichte ich ihr bei). Fünf Minuten später hat sie das Schloss doch auf und ruft nochmal die 110, um die GSG 9 zurückzupfeifen, die sicher schon auf dem Weg war. Der Beamte am Telefon hätte sich kaputtgelacht, erzählt sie. Wir auch.

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    1. Ich muss echt sehr lachen! Solche Stories liebe ich!

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    2. Du kennst noch nicht die Geschichte, als ich die Polizei mal wegen einer Bombe angerufen habe. Ich war noch neu in Neukölln, unter mir ein Mieter, der die ganze Nacht „Oooodin, Oooooodin“ brüllte und dazu tägliche Anrufe einer verzweifelten Frau, die nach dem Verbleib eines gewissen Ali fragte, sie glaubte mir von tag zu Tag weniger, dass sich bei mir definitiv kein Ali aufhält, eine gewisse Schärfe legte sich in ihre Stimme
      Eines Abends gegen 21 Uhr ein klingeln an meiner Haustür im 4. Stock. Ich fragte, wer da sei.
      „Chich habe Post fierr Sie. Bittä machen Sie Tierr auf.“
      Ich dachte gar nicht daran. Post um 21 Uhr?
      „Chich läge vor Tür aap“

      Meine Nerven waren schon sehr entzündet von Oooodin und Ali. Ich steigerte mich in eine akute Lebensgefahr rein und rief erst mal meine beste Freundin an. Ob ihr Mann mal kommen könne, der sich aber strikt weigerte, ich hörte nur, wie er im Hintergrund einen Lachkrampf bekam. Also rief ich die Polizei an. Hysterisch schilderte ich, dass vor meiner Tür wahrscheinlich eine Bombe liegt und weshalb man mir versehentlich nach dem Leben trachtet, wegen eines Ali, den ich aber nicht kenne.

      Die Polizei kam nach 10 Minuten. Sie klingelten, ich öffnete. Zwei Herren standen vor mir. Der eine hatte die Bombe in der Hand, die in Wahrheit das Leseexemplar einer Berliner Verlages war, der seinen Fahrer offenbar gebeten hat, noch am Abend derlei auszuliefern.

      Das ist die zweitpeinlichste Geschichte meines Lebens.

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  2. Das ist schon richtig, dass es "nur ein Spiel ist" und jeder "wie er kann" ist - aber erstmal ist Spiel doch "Gesellschaft"?

    Und für "Gesellschaft" lege ich keineswegs niedrigere Maßstäbe an das Verhalten meines Gegenübers an, nur weil er Karten (oder Würfel) in der Hand hält^^.

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    1. Du hast prinzipiell recht, aber der Brüller brüllt eher als running gag, wird von niemandem ernst genommen und ist ansonsten der humorigste von allen. Nur die eine neulich, die wurde sauer, weil ihr gewinnen so wichtig ist.

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  3. Ja Annika, Du hast mich jetzt inspiriert zu einem Post über die Spielgewohnheiten meiner Eltern. Schwelge grad in herrlichen Erinnerungen. Vielen Dank dafür :)

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  4. Deine Bombengeschichte ist sagenhaft gut! Bitte schreib ein Post darüber. Ich möchte alles wissen über Ali und die Neuköllner Zeit! :)

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    1. Ich hab sie in den Text eingefügt, das muss reichen. Und damit ist auch schon alles ... Nee, da ist doch noch was anderes passiert. Später :-)

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