Freitag, 2. Dezember 2016

Die Hobbys einsamer Kolleginnen

Sie sticht heraus, passt nicht ins Ganze. Ein Unikat. Ruht in sich selbst, trotz oder wegen ihrer Bi-Color-Frisur, die an eine Faschingsperücke erinnert, ihrem unerschöpflichen Vorrat an Lurex-und Pailletten-Kleidern in Size Zero, worauf sie besonders stolz ist. Bisher dachte ich, dass ihre vorrangige Freizeitbeschäftigung sei, ins Solarium zu gehen. Sie ist tief gebräunt und sieht - obwohl jünger als ich - wie eine sehr alte Frau aus, mit tiefen Schluchten im ledrigen Gesicht. 

Im Sommer überrascht sie täglich auf's Neue mit tiefdekolletierten oder hochgeschlitzten Kleidern à la Ivana Trump der Älteren, nur dass diese sich damit an der Cote d'Azur herumtreibt, während wir blind werden, wenn sie weithin glitzernd, stolz wie eine Pharaonin und so dünn wie Wallis Simpson an uns vorbeischreitet. Kurz gesagt trägt sie Abendmode von Harald Glööckler oder einem anderen Verkaufssender im Büro. 

Sie schwebt morgens in die Firma und lässt sich zunächst in männermordenden Posen (oder was sie dafür hält) vom Azubi fotografieren, sie dreht und wendet sich wie Christine Neubauer, nur dass sie keinen peruanischen oder chilenischen Fotografen aushält. 

Wann immer man sie trifft, erzählt sie ungefragt von ekstatisch durchtanzten Nächten im Café Keese und dann denke ich immer, sie ist jünger als ich, was muss passiert sein, dass sie solche Etablissements besucht, aber scheinbar hat sie dort einen Lauf und wird ständig per Tischtelefon zum tanzen aufgefordert. Wahrscheinlich ist sie der Burner mit ihren fantasievollen Bekleidungen. 

Als ich heute in ihr Büro kam, schien sie verändert. Für ihre Verhältnisse in gedeckten Farben (gelb-ocker-schwarz), mit einer fast normalen Gesichtsfarbe, erzählte sie mir eifrig von ihrem neuesten Hobby: irgendeine virtuelle Farm, die sie bestückt, aber nicht nur das: sie hackt diese Programme und sorgt dafür, dass ihre Community kostenlos(!) mit Wasser für die Farmtiere und Pflanzen versorgt werden. 

Ganz fremd ist mir das Thema nicht, weil ich eine Freundin habe, die sich, wo sie geht und steht, der Ernte, Fütterung und Bewässerung ihrer hayday Farm hingibt, sehr zum Ärger ihres Freundes, der ihr das Versprechen abgenommen hat, wenigstens kein echtes Geld für die Komplettierung ihres quietschbunt animierten Bauernhofes zu verjubeln. Soweit, so absurd, aber ich sach ja immer, leben und leben lassen.

Sie redete sich in einen Rausch und bot mir keine Gelegenheit zur Flucht. Sie hätte soviel Anfragen und würde andere trainieren, damit die ebenso kostenlos an Wasser kommen. 

"Ja", sagt sie mit heiligem Ernst, "die ganzen Anfragen arbeite ich dann am Wochenende ab. Ich geh nur noch Freitags tanzen. Dann sitze ich schon mal von 22 Uhr bis 4 Uhr morgens vor dem Rechner und begieße 50 Farmen. Sie sind mir ja alle so dankbar."

Demnächst hat sie ein Treffen geplant, denn alle wollen diese Wohltäterin kennenlernen, sie hat einen Konferenzsaal gebucht "Stell dir vor, für unter 500 € habe ich einen gefunden, aber da nehme ich nichts für, nur auf Spendenbasis, verstehst du, da sitzen ja viele arme und alte Leute vor dem Rechner, manche im Rollstuhl, die können sich das gar nicht leisten, aber die wollen ja auch ein bisschen Spaß haben."

Jetzt rührt sie mich. Ich finde das alles hochgradig bekloppt, aber diese Form von Beklopptheit rührt mich, es grenzt ja an ehrenamtliches Engagement und wodurch Leute am Ende glücklich werden, ist letztlich wurscht. 

"Tja, nur Männer habe ich keine mehr und weißte, wahrscheinlich bin ich inzwischen auch viel zu eigen und ich hab am Wochenende echt genug zu tun mit den Anfragen und Trainings, weißte, ich produziere ja auch lauter Lehrfilme. Naja, nur mit dem einen, leider verheiratet, unglücklich, aber so'n Techtel-Mechtel ist schon drin." Sie lacht schallend. 

Ich fliehe zurück aus diesem Wurmloch in meine eigene Welt. Meine Hay-day-süchtige Freundin muss ich wohl stärker im Auge behalten, nicht dass die auch anfängt, Programme zu hacken und nachts anderer Leuts virtuelle Kühe melken.

12 Kommentare:

  1. In Berlin organisiert man also digitale Bauerntage. Wann kommt dieser Trend im Hunsrück an?

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    1. Der Trend ist bestimmt schon im Hunsrück angekommen, du kennst nur die falschen Leute ;)

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    2. Wir sind hier noch voll im Candy Crush Saga-Fieber.

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  2. Ach, diese Frau ist einfach nur Mensch.
    Voll und total.
    Sie lebt ihr Leben, und Wir verklemmten Deppen haben nicht den Mut, einfach aus diesen ganzen unausgesprochenen Konventionen auszubrechen und es ihr gleich zu tun.
    Gerade das Verhalten in einer Firma macht uns doch alle krank.
    Sei so, sag das nicht, mach das nicht.
    Ach hör mir doch auf.
    Wer sind Wir denn, Bioroboter ?

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  3. Ich hier so: Wurzelimperium.
    Seit 6 Jahren.
    *seufz*

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    1. Ich bin über Solitär nie hinausgekommen. Ist besser so ;)

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  4. Herrlitzsch, made my day as usual ;o))))))))))))))))
    Aber ich lache nicht über die bunte Kollegin. Ich bin auch so ein Kind, dass virtuelle Dinge spielt, über die meine ach so erwachsenen Kollegen sich ausschütten wollen vor lachen...mir doch egal...

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    1. Weißt du, als sie die Sache mit den Konferenzraum erwähnte, habe ich mir meine schnöseligen Gedanken sofort verboten.

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  5. Hach, da werd ich ganz nostalgisch bei so Geschichten über den ersten Online-Rausch.
    Ich, 2004, Everquest2, 5 Jahre weg vom Fenster. Das war aber auch ein episches Fullsize Game. Nich so'n billiger Browsergame-Farmville-Verschnitt wie HayDay.
    Ich war zwar früh dran aber die ersten irren Opfer dieser Welle gab's schon 5 Jahre früher. Und die Welle rollt immer noch durchs Volk ...

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  6. meine güte ist das toll geschrieben.

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