Dienstag, 10. März 2015

Andere Firmen, andere Chefs 1





Mein Chef kann alles



Mein Chef ist ein unerhört wichtiger Mann. Ganz allein wegen ihm geht jeden Morgen die Sonne auf. Den Tag versüße ich ihm mit Serienbriefen, in die ich seine Unterschrift nicht einscanne, sondern die Unterschriftenmappe gefüllt mit 50 Anschreiben identischen Inhalts vorlege. Befriedigt setzt er sich mir gegenüber, liest sich jeden einzelnen Brief durch und erst nach genauer Prüfung setzt er schwungvoll seine Unterschrift darunter. Leider weiß er nicht, was ein Serienbrief ist und demzufolge auch nicht, dass ein Fehler entweder in jedem Brief auftaucht oder überhaupt nicht. Aber er brütet so zufrieden über dem Büttenpapier, ergriffen von seiner Betriebsamkeit, dass ich mir jeden Hinweis auf die Vergeblichkeit seiner Mühen verkneife.



Die Inhalte der Serienbriefe beschränken sich auf Vorschläge an die Kunden, was sie seiner Meinung nach kaufen sollten. Am Telefon meldet er sich prinzipiell nur mit seinem eigenen Nachnamen. Anrufer, die verwundert sagen „Ähh, ich glaube, ich habe mich verwählt, ich wollte die Firma X sprechen.“ lassen bei ihm zu Recht Unverständnis aufkommen. "Es dürfte wohl inzwischen hinlänglich bekannt sein, wer ich bin. Ich versteh diese Leute nicht“.



Wünschen potentielle Kunden ein Angebot und übersenden demzufolge eine Liste mit der Bitte, diese mit Preisen zu versehen und zurückzusenden, erleben sie ihr blaues Wunder. Mein Chef kann nicht tolerieren, dass in den Listen mitunter Dinge stehen, die er für restlos überflüssig hält. Diese werden von ihm persönlich gestrichen und durch Alternativvorschläge ersetzt. Die Kunden sind von seiner Umsicht schlichtweg begeistert: „Frau Wagner war sehr angetan von meinem Angebot, sie ist richtig glücklich, dass ich ihr so geholfen habe. Gleich kommt ihr Fax mit der Bestellung.“ Das Fax kommt nicht. Es kommt heute nicht. Es kommt morgen nicht. Er wird vertraulich: „Ich hab ja gleich gemerkt, dass diese Wagner eine Querulantin ist.“



Auch das Personal bedarf ständiger Aufsicht. Lückenlos muss die korrekte Ausführung aller Aufgaben überwacht werden. Eine Herausforderung, die mein Chef nur allzu gern annimmt. Durch eine günstige Fügung ist das Backoffice vollkommen verglast und vom Kopierraum aus sind alle Mitarbeiter problemlos zu beobachten.



Private Telefonate können selbstverständlich nicht geduldet werden. Aber auch dieses Problem hat mein Chef  beherzt in Angriff genommen. Er kontrolliert mit der erforderlichen Akribie die Anruflisten, die monatlich kommen. Die siebzig Anschlüsse im Einzelnen zu überprüfen dauert natürlich seine Zeit, und mir ist, ehrlich gesagt, rätselhaft, woran er eine private Nummer erkennt – aber seien wir doch mal ehrlich: wenn ich das wüsste, wäre ja wohl ich die Chefin.





Mein Chef wehrt sich



Als günstige Umstände mich an meinen neuen Arbeitsplatz an die Seite meines Chefs führten, gab es einen persönlichen Assistenten, Herrn B., dem bei seiner Einstellung die Nachfolge als Geschäftsführer versprochen wurde. Herr B., ein sehr junger, schüchterner Mann fand uneingeschränkte Zustimmung bei meinem Chef, weil er eine wichtige Voraussetzung mitbrachte: keinerlei Bedrohungspotenzial.



Er wurde in einem Büro geparkt, in dem er nach Herzenslust reglos auf den Bildschirm seines PCs starrte. Nach einem Jahr wurde es Herrn B. fad und er schrieb einen Brief an meinen Chef, in dem er ihn um mehr Kompetenzen bat. Er machte ihm einige Vorschläge, welche Aufgaben er übernehmen könnte. Mein Chef geriet verständlicherweise außer sich. Allerdings nicht vor Herrn B.



Er brachte ihn mit einer saftigen Gehaltserhöhung zum Schweigen und suchte fortan hektisch nach Fehlern in der Arbeit von Herrn B. Schwer genug, denn Herr B. tat ja nichts, also waren auch keine Fehler zu finden. Mein Chef lamentierte erst täglich, später stündlich, dass Herr B. für viel Geld den ganzen Tag nur in den PC starre, wohlweislich verdrängend, dass genau diese Tatsache Herrn B. in besseren Zeiten so liebenswürdig erscheinen ließ.



Ein Gespräch unter Männern ließ sich nicht mehr vermeiden, denn „der unverschämte Brief“ saß wie ein Stachel im Fleisch, der Aufrührer musste eliminiert werden. Leutselig wies mein Chef Herrn B. darauf hin, dass es mit der Nachfolge nun doch nichts mehr werden könne, und da wäre es doch am besten, er würde sich von einer gesicherten Position aus einen neuen Job zu suchen. Herr B. war so perplex, dass er erstmal ein weiteres halbes Jahr in den PC starrte. Erkennbare Aktivitäten blieben weiterhin aus, gewünscht waren sie ja ohnehin nicht, boten in der letzten Konsequenz aber einen lupenreinen Kündigungsgrund. Herr B. verschwand über Nacht gruß- u. widerstandslos. Mein Chef war wieder mal eine Sorge los.





Mein Chef verreist



Manchmal muss mein Chef verreisen.

Neugierig sieht er sich den Terminplan an, der wöchentlich von der Hauptzentrale versandt wird. Dort sind alle Termine aller Geschäftsführer vermerkt, die nach M. eingeladen werden, weil es wichtige Dinge zu besprechen gibt.



In 90% aller Fälle wird er nicht dazu geladen, aber er kennt natürlich den wahren Grund, weshalb auf ihn verzichtet wird: Sein Laden läuft hervorragend und somit gibt es nichts zu besprechen. Die anderen, die immerzu nach M. gebeten werden, sind im Grunde Pechvögel.



Hin und wieder wird er doch eingeladen, dann befällt ihn hektische Betriebsamkeit und ich muss Flüge und Hotelzimmer buchen. Das Hotel wird eigentlich von der Sekretärin in M. gebucht, aber das kommt für ihn nicht in Frage. Er nächtigt niemals dort, wo alle übernachten. Zwei Tage vor der Abreise wird er meist wieder ausgeladen, worauf er tapfer behauptet, dass ihm das nur recht wäre. Aber so ein- bis zweimal im Jahr muss er eben doch sein Geschäft sich selbst überlassen und macht sich auf den Weg.



Sein erster Anruf ereilt mich gegen 8 Uhr morgens. „Irgendwas Besonderes?“ fragt er. Um diese Zeit ist noch nichts Besonderes passiert, wie auch später am Tag nichts Besonderes passieren wird. Aber das hätte keinerlei beruhigende Wirkung auf ihn, wie man vielleicht annehmen würde, sondern ließe ihn vielmehr an meiner sittlichen Reife und Festigung zweifeln.



Also präsentiere ich ihm etwas besonderes, denn nichts macht er so gerne, wie in einem Zugabteil zu sitzen und wichtige Geschäftstelefonate mit mir zu führen. Ich muss nur sagen „Von der Frankfurter Universität ist eine Bestellung gekommen“ und sofort ergießt sich auf seine Mitreisenden ein Vortrag darüber, dass er das ja schon weiß, er hätte ja erst gestern mit dem Vizepräsidenten telefoniert, ja, der hätte ihm das schon angekündigt, das wäre natürlich eine erfreuliche Nachricht, wie gut, dass er mit dem Vizepräsidenten….“.



Der zweite Anruf erfolgt gegen Mittag, in einer kurzen Besprechungspause teilt er mir mit, dass alle ganz begeistert von seinen Ausführungen sind und von seiner Erfahrung profitieren, und alle bedauern, dass er so selten dabei sei, ja das haben Sie ihm auch vor Dr. L. gesagt, und der hätte aber geguckt, wie ein Auto hätte der geguckt, ab jetzt werde er bestimmt immer eingeladen. Und ob es was Besonderes gäbe?



Ich berichte ihm von einem mittelschweren Unfall einer Mitarbeiterin, was seine Laune sinken lässt "Ach die, die macht doch gleich wieder sechs Wochen krank, ich kenn doch das Spiel, ist doch immer das Gleiche."  Meinen Hinweis, dass so ein Beinbruch nun mal seine Zeit dauert und Frau K. ja auch nichts dafür kann, dass ein Radfahrer sie umgefahren hat, hört er schon gar nicht mehr, sondern beauftragt mich, in der Buchhaltung nach der Privatadresse der Verunfallten zu forschen, da könne man doch jeden Morgen einen der Fahrer hinschicken, dann kann der die mitnehmen ins Büro, zum Fakturieren braucht sie schließlich nicht die Beine.



Sein letzter Anruf erfolgt kurz vor 17 Uhr, die Besprechung wäre hanebüchen und überflüssig gewesen, was die wieder für Ideen ausgeheckt haben, das braucht kein Mensch, er habe das auch sehr deutlich gemacht, was er davon halte, kein Blatt habe er vor den Mund genommen, dieser ganze Quatsch, alles Mumpitz dieser elektronische Kram.




Sein Hotelzimmer hätte er auch abgesagt, er würde noch heute den letzten Flug nehmen, so weit käme das noch, mit diesen so genannten „Herren“ das übliche Besäufnis zu erdulden. "Ja, und am Ende stellen sie wieder die Kellnerin ein", nein, nein, gleich nach Ende der Konferenz hätte er zum allgemeinen Bedauern seine sofortige Abreise nach B. verkündet. 

Dies ist ein sehr alter Text, den ich hier ausgekramt habe. Verrückte Chefs sind immer ein schönes Thema, wie ich finde. 

4 Kommentare:

  1. Verrückte Chefs -so beschrieben- sind definitiv ein schönes Thema... wenn's nicht die eigenen Chefs sind. ;D

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  2. Gott sei Dank ist er nicht mehr mein eigener... Aber fast war er besser zu ertragen, als der jetzige.

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  3. Sehr hübsch trotz älteren Datums! Beschissene Chefs heizen deine Kreativität an, das ist mal amtlich.

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    1. Wem sachste das, liebe Dinah. Da könnte ich Enzyklopädien anlegen. Chefs sind mein Schicksal.

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