Montag, 1. Juni 2015

Ich liebe mich, ich liebe mich nicht

Dieser Frühling ist ja nur eine Verlängerung des Winters. Nicht Fisch, nicht Fleisch. Letztes Jahr um diese Zeit bin ich schon zwei Monate nur mit dem Rad ins Büro, dieses Jahr sind meine Einkaufshilfe und ich unzertrennlich. Ich war noch nicht einmal im Freibad. Das gibt mir ein Scheiß-Gefühl. Ich versage auf ganzer Linie im Bereich Selbstfürsorge. Gestern beschloss ich, dass es damit ein Ende haben muss. Dass ich nur noch Dinge tun will, die beweisen, dass ich mich selbst liebe. 

Wettertest auf dem Balkon: bewölkt, schwül, warm. Ab aufs Rad. Das wird schön, wenn ich an den Staus vorbeiradel. Das ist das Schönste am Radfahren, die kilometerlangen Staus, die mich nicht betreffen.

Nach zwei Kilometern fängt es an zu regnen. Ich überlege, umzukehren, aber ich fang mit der Selbstliebe gleich mal an, unter erschwerten Bedingungen.

Wind kommt auf. Ein Stürmchen. Vielleicht doch ein Fehler, die Ballerinas, der schwingende Rock, die keine Strümpfe. Ich halte an und hole mein Regencape raus. Ich krieg es kaum über mich gewurschtelt, der Wind liebt mich schon mal nicht.

Fahre weiter, es regnet jetzt in Strippen, der Wind fährt unter das Regencape, bläst den Rock bis unters Kinn, wer will das sehen? Obenrum ein aufgeblähtes Ein-Mann-Zelt, untenrum nüscht. Ein Alptraum. Wie soll ich mich so noch lieben? Die Böen werden so stark, dass ich mich in einer Blutlache am nächsten Laternenmast sehe. Keinen Helm dabei, bloß damit die Haare sitzen, sauber, ich seh jetzt schon aus wie eine Vogelscheuche und habe noch 9 Kilometer vor mir. 

Aus den Strippen wird ein Wolkenbruch, ich verfluche mich und diese verfickte Selbstliebe. Ich bin klatschnass, das Regencape schlottert um mich rum und bleibt nicht da, wo es sein soll, hätte ich bloß einen Tacker dabei, ich würde es mir an die Knie heften.

Ich komm an einem endlosen Stau vorbei. Wie ich die beneide! Wie gerne möchte ich mit denen tauschen. Im Stau, im Auto - was gibt's da bitte zu meckern?

Komm auf die schlaue Idee, das Cape am Lenker zu befestigen, das hält schon mal die Nässe von schräg oben ab. Allerdings... mein Rock beständig unterm Kinn, vielleicht ist es doch ein Traum und gleich wache ich auf. Ich fang an, mich zu hassen, weil ich den Wetterbericht ignoriert habe, nur weil er die letzten Wochen auch nie gestimmt hat, aber heute natürlich, na klar, was sonst.

Mittlerweile fahre ich im Blindflug, meine Brille ist voller Tropfen, so sehen wahrscheinlich Fliegen, in Prismen oder wie das heißt. Ich seh gar nichts, aber ich kenn die Strecke. Will nur noch, dass ich endlich ankomme, dass das hinter mir ist, och ja, dieser Weg wird kein leichter sein.

Nehme jede rote Ampel mit, der Himmel weint so vor sich hin, ich wie immer nicht, aber beim nächsten Stau, der, auf den ich mich schon so gefreut hatte, weil er wirklich tödlich nervend ist, bin ich soweit, einen Autofahrer aus seiner Kiste zu prügeln "Ein Notfall, ich brauche Ihr Auto, raus hier, aber zackig!". Ich bewahre Contenance, fahre fluchend weiter, nur noch drei Kilometer, das Regencape ist so nass, dass die Klamotten darunter auch schon feucht sind, ich liebe mich kein bisschen mehr. 

Finally: komme an und nehme das Cape vom Lenker, das gesammelte Wasser klatscht mir auf die Schuhe, wie ein begossener Pudel schau ich an mir runter und denke, womit habe ich das verdient das werden hinterher die schönsten Erinnerungen.

6 Kommentare:

  1. ...jedenfalls ich muss jetzt schon lachen, sorry ;)

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  2. 😂!!! Kenne ich doch irgendwoher ...

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  3. Geil - erinnert mich an meine "Gesundheitsphase", als ich noch in Berlin gelebt hatte...

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    1. Ich bin noch mittendrin. In der Stadt und in der Phase.

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