Mittwoch, 18. November 2015

Ich rede, also bin ich

Morgen habe ich einen großen Tag. Ich muss eine Rede halten vor 100 Leuten. Rede mir die ganze Zeit ein, dass das wunderbar ein Desaster wird. Stelle mir vor, wie ich ganz gelassen nach vorne gehe und die Zuhörer mit Charme und Wortwitz am einschlafen hindere gar nicht nach vorne gehe, weil ich mit Kammerflimmern zusammensinken und mich als verantwortungsvolle Ersthelferin noch vor Eintreffen der Feuerwehr selbst defibrilatieren werde.

In Kleingruppen halte ich außerhalb offizieller Anlässe andauernd Reden. Kein Mensch kann mich stoppen. Ich hab zu allem eine relevante Meinung und halte damit nicht hintern Berg.

Sobald man eine Bühne auf- und mich draufstellt, gehen bei mir die Lichter aus. 

Schon jedes Chorkonzert bringt mich an meine Grenzen. Ich führ mich auf wie die Callas von Tempelhof. In all den Jahren ist es nie besser geworden, und während des Konzertes wird es immer schlimmer. Bei mir gibt es kein "wenn ich erst auf der Bühne stehe, ist das Lampenfieber wie weggeblasen". Im Gegenteil, dann geht es erst richtig los. Obwohl ich mich immer ganz unten, ganz außen platziere, damit ich mich zur Not unauffällig unters Publikum mischen kann, wäre mir doch am allerliebsten, man würde eine Stellwand um mich herum aufbauen. 

Einmal hatten wir ein Konzert, bei dem wir 70 Minuten ohne Pause stehen bleiben mussten. Stehen ist ja ganz schlecht bei Lampenfieber. Ja, wenn mich jemand auf den Schoß nehmen würde, an dessen Schulter ich mich lehnen könnte, mit der Stellwand vor mir, dann könnte ich singen, als gäb's kein Morgen. Unser Chorleiter akzeptiert jedoch keine Stellwände und meinen Wunsch nach einem Barhocker, damit es wenigstens so aussieht, als stehe ich, hat er mir auch nie erfüllt. Er hat nur geschnaubt. Den Rat eines mitsingenden Arztes, kurz vor dem Beginn des Konzertes so zu tun, als würde ich kackend auf dem Klo sitzen, weil das den Herzschlag reduziert, habe ich nicht befolgt - wie sieht denn das aus? 

Keine Ahnung, wie ich da morgen durchkomme. Da ich die ganze Nacht kein Auge zumachen werde, schlafe ich vielleicht ein, während ich spreche. Das gäbe mir immerhin einen gelassenen Anstrich. Vielleicht kauf ich mir in der Früh noch Tena-Lady, dann kann ich die Kack-Übung machen und bin dabei auf der sicheren Seite. Vielleicht akzeptiert das Publikum auch, dass ich hinter dem Vorhang bleibe und meine Stimme aus dem Off kommt. 

Oder ich trete wie Madonna mit Voll-Playback auf, was vielleicht eine Übersprungshandlung nach sich zieht und ich dem Vorredner meine Zunge in den Hals stecke. Der würde sich vielleicht unsterblich in mich verlieben, weil endlich mal eine Frau die Initiative ergreift. Er dürfte halt nur nie erfahren, dass ich dabei Tena Lady getragen habe. 

5 Kommentare:

  1. Dann lieber den gelassenen Anstrich, als den bei einer Kack-Übung. Obwohl, sollte dann ein Äderchen platzen vom vielen Drücken, könnte ja vielleicht doch noch der Sanitäter das Ganze vorzeitig beenden;D

    AntwortenLöschen
  2. Ich trinke gerade einen beruhigenden Kräutertee für dich mit und drücke die Daumen!

    LG Frl.K.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Daumen drücken hat genützt! Es war gar nicht schlimm.

      Löschen
  3. ach meine Beste, ich les es gerade erst und schmeiß mich weg und wie ich weiterlese, war doch alles gut! Super!

    AntwortenLöschen