Freitag, 1. April 2016

Horrortrip ohne Drogen

Als sie auf's Land zog, ins Brandenburgische, weil sie sich einen Bauernhof gekauft hat, für ihre zwei Pferde und zukünftigen Hühner, war ich skeptisch - wie kann man in so einer Einöde leben wollen? 

Mit großem Elan renovierte sie das Gehöft und ließ englische Tapete für den Ballsaal einfliegen. Und sie hatte Untermieter. Eine ältere Frau mit ihrem erwachsenen Sohn, die sich gerne um die handzahmen Hühner kümmerte, die ihr auf den Schoß kletterten, sobald sie draußen auf der Bank saß. Es waren sehr glückliche, entgspannte Hühner und ein eingebildeter Hahn. 

Sie suchte noch einen Mieter für die dritte Wohnung.

Ab und an besuchte ich sie und einmal war gerade eine Kuh verrückt geworden und ausgebüxt. Das ganze Dorf versuchte sie wieder einzufangen. Ich machte mich ebenfalls auf den Weg, eine verrückte Kuh hatte ich noch nie erlebt. Ich sah mir das aus der Ferne an, ging über die Felder und beobachtete das wildgewordene Tier. Ich musste lächeln, ehrlich gesagt, fand ich die Kuh nicht verrückt, sondern völlig normal. Wer will schon zum Schlachter abgeholt werden? 

Die Kuh war flott unterwegs, eben noch in der Ferne, galloppierte sie jetzt direkt auf mich zu. Ich war noch nie so froh über einen Baum, hinter dem ich mich schnell versteckte. Die Kuh war von Sinnen, aber natürlich war sie keine Spring-Kuh, also lief sie praktisch durch den dünnen Drahtzaun durch, wie ein Tsunami riss sie alles mit sich. Als der Zaun riss, zwirbelte er mir an die Beine, autsch, aber immer noch besser, als von dem Raubtier totgetrampelt zu werden. 

Ein paar Wochen später rief sie mich an: "Du, bei mir wohnt jetzt eine Hellseherin, die sieht alles, mit F. werde ich doch eines Tages zusammen kommen, ganz sicher ist das, alles nur eine Frage der Zeit." Ich hörte nur Hellseherin. Ich hab Schiss vor Hellseherinnen. Antwortete: "Aha, ich kann dich also nie wieder besuchen."

Als sie 40 wurde und ein riesiges Fest feierte, akzeptierte sie meine Absage nicht; ich kam mir auch ein bisschen blöde vor, also machte ich mich an einem nebligen Novemberabend auf den Weg, um ihr zu huldigen. 

Der Ballsaal war beleuchtet von Hunderten von Kerzen, ca. 50 Leute saßen an einer riesigen Tafel und ich setzte mich an einen freien Platz und sagte zu dem mir völlig fremden Mann neben mir: "Ein Glück ist die Hellseherin nicht da, ich bin ganz erleichtert", denn ich sah keine alte Frau am Tisch. "Doch, da kommt sie gerade", sagte er und deutete zur Tür. Ich erschrak zu Tode, als sie meinen Blick aufnahm, direkt auf mich zukam, sich auf den Weg einen Stuhl schnappte, "Mach mal Platz, hier will ich sitzen." 

Ich wollte sofort abhauen. 

"Hiergeblieben, dich kenne ich doch."
"Nein, wir kennen uns nicht."
"Doch, aus Neukölln." (Stimmt, ich wohnte am Reuterplatz)
"Und du hast gerade eine ziemlich schlimme Trennung hinter dir." (Äh, ja)
"Du warst im Krankenhaus, war aber nichts schlimmes." (Stimmt auch)
"Und du..."
"HALT, hören Sie auf damit. Mir macht das Angst."
"Ich weiß. Du hast überhaupt viel zu viel Angst. Hast du gar keinen Grund zu."
"Das sagen Sie. Nachher wissen Sie auch, dass ich in zwei Jahren an Lungenkrebs sterbe."
Sie lachte schallend.
"Duuu? Du wirst über 80 und wenn du wüsstest, wie komisch du dann aussehen wirst."
"Bitte, trotzdem, keine Weissagungen mehr."

Sie wandte sich den anderen Gästen zu, ich versuchte meine Schnappatmung in den Griff zu bekommen. Irgendwann holte jemand seine Zigaretten raus, HB, ach, sagte ich, die hat mein Vater früher auch geraucht. Sie drehte sich zu mir. "Ja, und dein Vater hat auch..." Dann sagte sie etwas, was wirklich niemand wissen konnte, weil ich nie darüber gesprochen hatte. 

Es wurde höchste Zeit zu gehen, denn eine Nacht unter einem Dach mit dieser Frau schien mir unmöglich. Wer weiß, was sie mir noch alles zum Frühstück auftischen würde. 

Die Rückfahrt war unglaublich gruselig, es war eine Vollmondnacht, die Felder mit den laublosen Bäumen am Straßenrand ergaben eine bizarre Landschaft. Ich war mir fast sicher, dass sie es heimlich auf meine Rückbank geschafft hatte, aber ich traute mich nicht, mich umzusehen. Die längsten 90 Kilometer meines Lebens.

Dennoch glaube ich seitdem fest daran, dass ich über 80 werde und wann immer mich ein Verdacht ereilt, denke ich dran, dass mir bis dahin nichts lebensbeendendes passieren kann. Allerdings frage ich mich, weshalb ich komisch aussehen werde und was das bedeuten könnte.

P.S. Aus der Sache mit F. ist nichts geworden. Aber kann ja noch kommen, oder wie mein Ex-Ami immer sagte "Time does'nt matter". 

2 Kommentare:

  1. Gruselig. Du wisrt komisch aussehen, weil Du eien wallende weiße Mähne targen wirst und eine Brosche mit einem Schwarzwaldhut. So einfach :)

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