Samstag, 10. September 2016

Betriebsausflug

Es ist jedes Jahr dasselbe: die immer gleichen Typen stehen den ganzen Abend neben Obermufti und kauen ihm ein Ohr ab. Sie sehen nur anders aus, weil sie keinen Anzug tragen. Die meisten erkennt man gar nicht auf den ersten Blick, so verändert sehen sie in Jeans und Hoodie aus.

Die, die immer bei Cheffe stehen, tun das nicht mal, weil es ihnen Spaß macht, sondern um nicht zu merken, dass sonst niemand bei ihnen stehen würde. So ein Boss und seine Unterbosse haben es auch nicht immer leicht, deshalb stützen sie sich gegenseitig, bleiben unter sich, weil sonst gar niemand da ist, der freiwillig seine Zeit mit ihnen verbringen wollte. 

Es gibt einen, vor dem zittert das ganze Haus. Es wird gekuscht und beklatscht, was immer er sagt, befiehlt oder sich neues ausdenkt. Unser ganz persönlicher Kim Jong-Un. Jeder hört ihm jederzeit zu und ganz schlimm trifft es die, mit denen er sich privat zum Bier treffen will, das kommt vor. An ihm kann man exemplarisch studieren, wie Diktaturen entstehen. 

Aber auf dem Betriebsausflug, da ist er am Arsch. Weil sich niemand in seine Richtung bequemt, kein einziges Schwein will mit ihm reden. Da nützt auch nicht die Freizeit-Maskerade, in der er eigentlich ganz sympathisch aussieht, aber jeder weiß ja, dass er es nicht ist. Deshalb klammert er sich an Ober-Mufti wie ein Krake. 

Schlimm wird es, wenn Ober-Mufti die Tanzfläche stürmt, denn der ist lässig genug, das zu tun. Dann steht Westentaschen-Kim ganz allein am Rand und weiß nicht, wohin mit sich. Er könnte einem fast leid tun, mit Betonung auf könnte.

Dann gibt es noch die Abteilungsleiter, die sich affenartig schnell betankt und ekstatisch zu den Backstreet Boys ins Getümmel werfen. Everbody, yeah, yeah! Ab jetzt ist kaum noch eine Frau sicher. Machen wir uns nichts vor, Antanzen ist von der mittleren Führungsebene erfunden worden. 

Besonders zwei sind dafür bekannt, dass sie trotz Frau und Kindern, nun... sagen wir: ergebnisoffen sind, was den Verlauf des Abends betrifft. Und zwar so ergebnisoffen, dass sie nicht mal zielorientiert sind. Stieren Blickes ist ihnen eine Jede recht. 

Die Frauen handeln klug, bleiben ausweichend, dabei charmant, denn ab Montag geht alles wieder den gewohnten Gang. Keine will ihren Ruf schrotten und - was wohl noch wichtiger ist - sich eine Nacht mit einem Mann ans Bein binden, der seiner kognitiven und feinmotorischen Fähigkeiten zur Gänze beraubt ist. 

Die Azubinen sind rührend aufgerüscht, weil sie noch nicht begriffen haben, dass bei uns aufrüschen eben nicht angesagt ist. Im Gegenteil, alle sehen erfrischend unangestrengt und unaufgebrezelt aus, was ich tatsächlich sehr schätze, wenn es im Grunde auch nur ein anderer Dresscode ist, den man tunlichst beherrschen sollte.

Sonst noch was? Der DJ war ein beratungsresistenter Reinfall. Ein Ausnahmetalent im leeren der Tanzfläche. Nun ist meine Kollegenschaft die tanzwütigste, die ich in meinem Berufsleben je erlebt habe. Die spielen auch Saturday Night Fever nach, weil drei Weltklasse-Talente so eine Show abziehen, dass der Rest applaudierend drumherum steht. Sie lassen sich also nicht so schnell von ihrem Programm, die Nacht durchzutanzen, abbringen. 

Aber dieser macht ihnen das Leben außergewöhnlich schwer. Viele gehen zu ihm und tragen ihre Wünsche vor, die er ausnahmslos nicht erfüllt. Manche überlegen, ob man ihn einfach nach Hause schicken soll, um die eigene Playlist runterdudeln zu können. Die Juristen beraten, ob Lynchjustiz nicht vielleicht doch angebracht wäre

Getanzt wird trotzdem, denn einmal im Jahr wollen alle zeigen, dass sie ganz anders sind.  

6 Kommentare:

  1. Betriebsausflug - was für ein Alptraum. Kenne ich nur aus dem Zivildienst, da ist ein Krankenschwester mal in der Geisterbahn über mich hergefallen. Seitdem habe ich Angst vor Geisterbahnen :o)

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    1. Schau, den ganzen Tag Krankheit und Siechtum, abends der innovative Ausflug auf den Rummel, kein Wunder, da warste fällig.

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    2. Danke , Borglady !
      Werde mal wieder Pulp Fiction und Saturday Night Fever rauskramen .
      Scheisse... wo ist die Zeit hin ?

      daraufhin die Stimme aus dem Off :

      Zeit ist das Feuer in dem wir verbrennen

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  2. Mir persönlich hat der Besuch der letzten Weihnachtsfeier sehr viel Angst gemacht. Im Vorfeld hatte man angekündigt, dass das Ausschenken von Schnaps ab Mitternacht untersagt wird und dass man dazu übergegangen ist, dass ab vier Morgens dann wirklich die Party zu Ende sein sollte. Die operative Ebene feiert sehr ausgelassen.

    Ich habe die Feier gegen 23 Uhr verlassen. Ich überlege, ob ich dieses Jahr wieder hingehen soll.

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  3. "Die operative Ebene feiert sehr ausgelassen." - ein wahres Wort. :)

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