Sonntag, 16. Oktober 2016

Die Erlkönigin

Die Chefin vom Reitstall hat ein ganz klares Menschenbild.
  1. Einen Lebensberechtigungsschein haben nur Leute, die Privatpferde in ihrem Stall stehen haben und selbst auf ihnen reiten. 
  2. Leute, die auf (sowieso inakzeptablen) Schulpferden reiten lernen, werden zähneknirschend toleriert, weil sie Geld bringen, aber richtige Menschen sind sie eigentlich nicht. 
  3. Leute, die Bodenarbeit machen, haben automatisch jedes Lebensrecht verwirkt. 
  4. Menschen wie ich, die aufgrund der Großzügigkeit einer *siehe 1* auf einem Privatpferd lernen dürfen, existieren praktisch nicht und die *siehe 1* läuft Gefahr, sich wegen ihrer bedenkenswert sozialromantischen Ader in Kategorie 2&3 zu katapultieren.

Das hat zur Folge, dass wir auf die guten Plätze oder in die Halle nur dürfen, wenn niemand in der Nähe ist. Also verschwinden wir auf irgendwelche Randplätze, die tagsüber Aufenthaltsorte für Pferde sind, weil die doch lieber in einer Herde an der frischen Luft ihre Freizeit verbringen anstatt blöde in der Box zu stehen. 

Diese Randplätze sind nicht beleuchtet und da beginnt in dieser Jahreszeit das Dilemma. Ich komme in der beginnenden Dämmerung an und versuche affenartig schnell, mit dem satteln zurande zu kommen, aber da sich meine Idee mit den Klettverschlüssen noch nicht durchgesetzt hat, dauert es Stunden und bis ich endlich im Sattel sitze, ist die halbe Nacht rum. 

Die Trainerin, die mir jede Stunde Neues abverlangt und vor allem die Dinge, vor denen mir am meisten graut, lässt mich allein bis zum Randplatz in Timbuktu reiten, geht nur neben mir her, während ich quasi meinen ersten Ausritt ins Gelände mache. Das hatte ich eigentlich erst in fünf Jahren vor. Beunruhigt nehme ich zur Kenntnis, dass eine Wildschweinrotte die gesamte Wiese vor dem Platz vertikutiert hat. Die sind also irgendwo in der Nähe.

Kaum bin ich auf dem Platz, verlässt mich die Trainerin und stellt sich draußen vor den Zaun. Ich mutterseelenallein mit dem 600 Kilo Brummer unter mir. Es ist 18.45 Uhr, jeder weiß, wie dunkel es dann schon ist. Tapfer reite ich Runde um Runde, Volte um Volte und ich bin tatsächlich tapfer, denn der Brummer ist gedanklich längst im Feierabend und zeigt das nicht eben subtil.

Selbst als er wirklich sauer wird und den Kopf wild nach unten und oben schlägt (normalerweise holt er sich so den nötigen Schwung fürs angaloppieren) und ich meine Mühe und Not habe, die Zügel in der Hand zu behalten, bleibe ich schön sitzen und versuche weiter, ihn zum traben zu bringen, aber nach fünf Schritten geht er wieder im Schritt. Nichts zu machen. Kein Wunder, nachtschwarz ist es inzwischen.

"Du willst es einfach nicht und das merkt er, deshalb macht er's auch nicht", tönt es aus der Dunkelheit über den Zaun rüber. Wohl will ich traben, aber ich seh nichts mehr, das Pferd sieht nichts mehr - das kann uns niemand vorwerfen. 

Auf dem Rückweg zum Stall greift die Trainerin nach den Zügeln und gibt mir Anweisungen für das, was jetzt eventuell passiert. Es sei nämlich dunkel und da sei ein Pferd schreckhaft und falls jetzt... soll ich einfach tief im Sattel sitzen bleiben. Hä?

"Du machst mir ja Mut!"
"Naja, er kann hier nichts mehr sehen auf dem Weg und falls irgendwas aus dem Busch kommt... ich will dich ja nur vorbereiten."

Hallo? Ich bin eben eine Stunde in völliger Finsternis allein auf dem Platz geritten, da konnte es sich nicht erschrecken?

Nächste Woche schnalle ich mir eine Grubenlampe um und um das Pferd drapiere ich eine Lichterkette.

10 Kommentare:

  1. Was machst Du eigentlich mit dem Pferd, wenn Du es abends triffst ?
    Sagst Du hallo zu Ihm ? Sprichst Du mit Ihm ? Dem Pferd ?
    Berührst Du es zärtlich ? Sagst Du Hey, alles klar ?
    Vergiss Leckerlis.
    Begegne Ihm wie einem Freund, den du lange nicht gesehen hast.
    Hast Du angst vor dem Tier ? Warum möchtest Du dann überhaupt reiten ?

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  2. Ich finde dich irre mutig und wenn du dem Pferdchen tatsächlich jemals eine batteriebetriebene Lichterkette umhängst, vor der es nicht scheut, bitte ich untertänigst um ein Bild, denn für mich bist du eine Mensch, und zwar einer, der auf der Liste ganz oben stehen muss!!!!

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    1. Hedi, was bin ich?
      Schätze, automatische Wortvervollständigung :)

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    2. nix da, eine Heldin!

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    3. Sehr lieb, aber ich fürchte, man denkt, ich hätte dich gekauft :)

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  3. Ich bewundere ebenfalls deinen Mut!
    Und ich beneide dich so!
    Bitte, liebe Wendy, noch mehr Pferdegeschichten!

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    1. Ich glaub, ich mach's wie du: einen Geheimblog für den Pferdekrams.

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  4. Blödsinn zu Pferde ereilte mich heute von einem Kollegen...

    Und an wen denke ich , wenn ein Pferd im Schrittempo durchgeht?! Genau: Frollein Annika

    Viel Vergnügen


    Betreff: Wieder mal Jean Paul gelesen und sehr gelacht


    Jean Paul Richter: Des Feldpredigers Schmelzle Reise nach Flätz - Kapitel 3

    Zirkelbrief des vermutlichen katechetischen Professors Attila Schmelzle an seine Freunde, eine Ferien-Reise nach Flätz enthaltend, samt einer Einleitung, sein Davonlaufen und seinen Mut als voriger Feldprediger betreffend

    Noch eine Geschichte sei genug, um zu beweisen, wie lächerlich gerade die ernsthafteste Vorsicht bei allem innern Mute oft außen dem Pöbel erscheint. Reiter kennen die Gefahren auf einem durchgehenden Pferde längst. Mein Unstern wollte, daß ich in Wien auf ein Mietpferd zu sitzen kam, das zwar ein schöner Honigschimmel war, aber alt und hartmäulig wie der Satan, so daß die Bestie in der nächsten Gasse mit mir durchging, und zwar - leider bloß im Schritte. Kein Halten, kein Lenken schlug an; ich tat endlich auf dem Selbststreitroß Notschuß nach Notschuß und schrie: »Haltet auf, ihr Leute, um Gottes Willen aufgehalten, mein Gaul geht durch!« Aber da die einfältigen Menschen das Pferd so langsam gehen sahen wie den Reichshofrats-Prozeß und den ordinären Postwagen: so konnten sie sich durchaus nicht in die Sache finden, bis ich in heftigster Bewegung wie besessen schrie: »Haltet doch auf, ihr Pinsel und Pensel, seht ihr denn nicht, daß ich die Mähre nicht mehr halten kann?« Jetzt kam den Faulpelzen ein hartmäuliges, schrittlings ausziehendes Pferd lächerlich vor - halb Wien bekam ich dadurch wie einen Bartstern-Schwanz hinter meinen Roß-Schweif und Zopf nach - Fürst Kaunitz, sonst der beste Reiter des Jahrhunderts (des vorigen), hielt an, um mir zu folgen - ich selber saß und schwamm als aufrechtes Treib-Eis auf dem Honigschimmel, der in einem fort Schritt für Schritt durchging - ein vieleckiger rockschößiger Briefträger gab rechts und links seine Briefe in den Stockwerken ab und kam mir stets mit satirischen Gesichtszügen wieder nach, weil der Schimmel zu langsam auszog - der Schwanzschleuderer (bekanntlich der Mann, der mit einer zweispännigen Wassertonne über die Straßen fährt und sie mit einem drei Ellen langen Schlauch aus einem blechernen Trichter benetzt) fuhr den Hinterbacken meines Pferdes nach und feuchtete während seiner Pflicht jene und mich selber kühlend an, ob ich gleich kalten Schweiß genug hatte, um keines frischern zu bedürfen - ich geriet auf meinem höllischen trojanischen Pferd (nur war ich selber das untergehende Troja, das ritt) nach Matzleinsdorf (einer Wiener Vorstadt), oder warens für meine gepeinigten Sinne ganz andere Gassen. - Endlich mußte ich abends spät nach dem Retraiteschuß des Praters im letztern zu meinem Abscheu und gegen alle Polizeigesetze auf dem gesetzlosen Honigschimmel noch herumreisen, und ich hätte vielleicht gar auf ihm übernachtet, wenn nicht mein Schwager, der Dragoner, mich gesehen und noch fest auf dem durchgegangenen Gaule gefunden hätte. Er machte keine Umstände - fing das Vieh - tat die lustige Frage: warum ich nicht voltigiert hätte, ob er gleich recht gut weiß, daß dazu ein hölzerner Gaul gehört, der steht - und holte mich herab - und so kamen alle berittene Wesen unberitten und unbeschädigt nach Hause.

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